Medienexperte Oliver Hahn mahnt aber mehr Sorgfalt an

Der Rücktritt von Bundespräsident Christian Wulff ist nach Ansicht des Passauer Medienexperten Oliver Hahn nicht durch eine Medienkampagne erfolgt. Zugleich kritisierte der Medien- und Kommunikationswissenschaftler an der Universität Passau aber die journalistische Sorgfaltspflicht in manchen Medien.

Ist Wulff nur wegen des öffentlichen Drucks zurückgetreten?

Oliver Hahn:

Der Rücktritt war eine logische Konsequenz, nachdem die Staatsanwaltschaft Hannover beantragt hat, seine Immunität aufzuheben. Das ist in der bundesdeutschen Geschichte bisher einmalig. Dazu ist eine Verkettung von medialen Ereignissen zu beobachten, in der Wissenschaft sprechen wir von "Co-Orientierung": Das heißt, wenn ein Leitmedium ein Thema auf die Agenda setzt, springen andere darauf und recherchieren weitere Aspekte.

Haben die Medien eine Kampagne gegen das Staatsoberhaupt geführt und so seinen Rücktritt erzwungen?

Hahn:

Es ist Aufgabe der Medien, als vierte Macht im Staat, Kontrolle über die Mächtigen auszuüben. Anfangs waren die Medien jedenfalls erfolglos, wenn es denn eine Kampagne gegen den Bundespräsidenten gewesen wäre. Der Antrag der Staatsanwaltschaft zur Aufhebung der Immunität Wulffs erst hat den Fall gedreht. Aus meiner Sicht hat es keine Medienkampagne gegeben, dafür aber viel Medienschelte des Bundespräsidenten und denjenigen, die ihn mitleidsvoll als Opfer sahen und die Journalisten als Täter.

Welche Voraussetzungen sollte ein Bundespräsident in Zukunft mitbringen, und wie sollte das künftige Staatsoberhaupt mit den Medien umgehen?

Hahn:

Der Medienwandel ist an diesem Fall eindeutig zu erkennen. Um mehr Aufmerksamkeit zu erreichen, hat hier offenbar eine Verbindung zwischen Mainstream- und alternativen Internetmedien stattgefunden. Spitzenpolitiker der Zukunft müssten vermutlich die neuen Kommunikationsformen gezielter nutzen. Die heutigen zivilen Protestbewegungen nutzen bereits vielfach Medien wie Twitter und Facebook. Im Fall Wulff wurden Gerüchte über seinen möglichen Rücktritt bereits vor seiner Erklärung gepostet.