In seiner ZDF-Personality-Doku „Kessler ist ...“ tauscht der Schauspieler mit Prominenten die Rollen. In der ersten Folge ist er Gregor Gysi.
Wandlungsfähig. Dieses Attribut wird Schauspielern gern und oft zugeschrieben. Nicht immer trifft es zu. Für Michael Kessler jedoch passt es. Außer dem mit mehreren Grimme-Preisen geehrten Hamburger Menschendarsteller Olli Dittrich und ihrem Freiburger Kollegen Max Giermann, der vor allem mit seinen Parodien auf Stefan Raab, Markus Lanz oder zuletzt „Tagesthemen“-Moderator Thomas Roth und Vizekanzler Sigmar Gabriel die Lachmuskeln zu kitzeln wusste, gibt es im deutschen Fernsehgeschäft keinen Besseren für derlei Kunst als Kessler.
Als bester Schauspieler ausgezeichnet
Der aber hat seine Paraderolle, Deutschlands TV-Liebling Günther Jauch, längst abgelegt und verschwendet auch an gemeinsame Zeiten mit Giermann in der ProSieben-Mediensatire „Switch Reloaded“ nicht mehr viele Gedanken – obwohl die Sendung 2008 mit dem Deutschen Fernsehpreis und mit dem Deutschen Comedypreis ausgezeichnet wurde. Dass Kessler in jenem Jahr auch mit dem Comedypreis als „Bester Schauspieler“ ausgezeichnet wurde, hat mehr bleibenden Wert.
Als Schauspieler sieht sich Kessler, der einst eine vierjährige Ausbildung an der Westfälischen Schauspielschule Bochum genoss, in erster Linie. Dazu noch als Moderator. Und in dieser doppelten Funktion hat es der gebürtige Wiesbadener mit seiner eigenen Sendung jetzt erstmals komplett ins ZDF-Hauptprogramm geschafft. „Kessler ist ...“ heißt es von heute an viermal jeweils donnerstags. Gast der ersten neuen Folge ist heute Linken-Altstar Gregor Gysi. Wie jeder Prominente ist auch Gysi aufgefordert, am Ende sein Alter Ego, verkörpert von Kessler, zu befragen.
Sendung ist ein Beispiel für Innovation
„Kessler ist ...“ sei mehr „Experiment als Comedy“, sagt der Namensgeber. Gerade das macht die Sendung so spannend. Sie firmiert beim ZDF als Personality-Doku; die etwas andere Talkshow ist auch ein gutes Beispiel dafür, dass im Mainzer Ableger ZDFneo doch einige innovative TV-Formate entstehen können, die neue Sichtweisen eröffnen – sowohl den Menschen vor der Kamera als auch jenen vor dem Bildschirm. Im Herbst 2014 waren die ersten sechs Folgen von „Kessler ist ...“ auf ZDFneo zu sehen, drei schafften es in der Vorweihnachtszeit ins ZDF, etwa mit Heino und Schauspielerin Michaela Schaffrath. Im Vorjahr wurden sechs weitere Teile im Zweiten ausgestrahlt, darunter mit Horst Lichter, Michael Mittermeier und Entertainer Götz Alsmann.
Verwandlungskünstler ist Kessler auch in dieser Sendung, jedoch eben auch Rechercheur und Moderator. Er möchte seine Gäste mehr charakterisieren denn parodieren. Nach dem Vorgespräch mit dem oder der Auserwählten befragt der 49-Jährige, der abseits des Fernsehens auch als Theaterregisseur und Autor tätig ist, stets das engere Umfeld der Prominenten. Dann holt Kessler sein Büchlein raus und macht sich Notizen über deren Eigen- und Besonderheiten oder schaut sich an einer großen Fotowand reichlich Bilder des jeweiligen Gastes an. Das sehen die Zuschauer ebenso wie Kesslers Übungen, sich Gestik, Mimik und Sprachduktus seines späteren Gegenübers anzueignen. Erst am Ende der gut 30 Minuten Sendezeit wird aus Michael Kessler der jeweilige Gast – bis zu vier Stunden lang sitzt Kessler dafür in der Maske.
„Die meisten lachen, weil sie sich so noch nie gesehen haben“, hat Kessler festgestellt. Das Outfit von Original und Fälschung ist beim finalen Gespräch nach Möglichkeit immer gleich. „Sie können sich dann das fragen, was sie schon immer von sich selbst wissen wollten“, erzählt Michael Kessler. Das klappt mal sehr gut, mal nicht ganz so gut, birgt aber immer wieder neue Überraschungsmomente: Michael Mittermeier etwa, sonst alles andere als auf den Mund gefallen, war baff, als ihm Kessler gegenübersaß. Gute-Laune-Koch Horst Lichter, den Kessler – ein Meister fast sämtlicher deutscher Dialekte – schon vor Jahren für ProSieben in typisch rheinischem Tonfall parodiert hatte, wurde richtig sentimental. Michaela Schaffrath prustete wie wild, und Heino gab sich nahezu staatsmännisch, indem er sein Double fragte: „Wie sind Sie eigentlich auf die Idee gekommen, Volkssänger zu werden?“ Kessler, gut vorbereitet, verwies auf Heinos Entdecker, Schlagerproduzent Ralf Bendix.
Rededuell zwischen Kessler und Gysi
Ob es für Michael Kessler bei Politikern wie Gysi leichter ist, in deren Rolle zu schlüpfen? „Das Schwierigste wird sein, die Mischung aus Ironie und Selbstironie hinzubekommen“, warnt der langjährige Linken-Bundestagsfraktionschef in der neuen Folge anfangs den Moderator. Wie das finale Rededuell zwischen dem ausgebildeten Rechtsanwalt Gysi und dem ausgebildeten Schauspieler Kessler ausgeht, ist besonders ergiebig. Ähnlich interessant, sogar kurios, verspricht der nächste Donnerstag zu werden, wenn es heißt „Kessler ist ...“ Dunja Hayali: Die Moderatorin ist unmittelbar zuvor in ihrer Sendung „ZDFdonnerstalk“ selbst Gastgeberin. An den folgenden Donnerstagen verwandelt sich Kessler dann noch in Hugo Egon Balder und Jürgen Drews.
Und eines hat Michael Kessler bei den Arbeiten zu seiner Sendung längst erkannt: „Wir alle spielen eine Rolle – ob nun Politiker, Medienleute oder Schauspieler.“