Hamburg. Die TV-Show auf Vox ist ein Dauerbrenner, gerade ist die achte Staffel angelaufen. Ein Blick mit Löwe Ralf Dümmel hinter die Kulissen.
Der Stuhl fehlt. Mit einem Blick hat Ralf Dümmel die Situation erfasst. Alles andere ist da, der Stuhl nicht. Vergangenes Jahr stand er direkt neben dem Eingang, rechts von der Tür. Jetzt steht dort ein leerer Mülleimer.
Es ist 8.25 Uhr am ersten Drehtag der neuen Staffel von „Die Höhle der Löwen“. Ralf Dümmel ist gerade am Set eingetroffen und bezieht seine Garderobe. Zweiter Stock, Zimmer 217 auf dem Studiogelände MMC in Köln. 21 Tage lang wird er hier drehen. 23 Tage lang wird das Zimmer zu seinem Büro, seinem Pausenraum, seiner Garderobe. Ein Zuhause auf Zeit. Nur zum Schlafen geht er ins Hotel. Er braucht den Stuhl. Letztes Jahr hat er nach jedem Dreh, nach jedem Pitch, darauf gesessen, Cola Zero getrunken und Pause gemacht. Letztes Jahr war ein gutes Jahr. Er hat 24 Deals gemacht – so viele wie kein anderer Löwe.
Alles andere ist wie immer: zwei graue Sofas, Stoffbezug, zwei Kleiderständer, zwei Schreibtische mit Stühlen, zwei Beistelltische von Ikea. Ein Rollcontainer, Buchenfurnier, ein Spiegel, ein Eckschrank mit Fernseher, Kühlschrank, Espressomaschine. Ralf Dümmel zieht seine Jacke aus und hängt sie an den Garderobenständer, dann sieht er sich unschlüssig um. Er hat schlecht geschlafen. Um 3 Uhr war er heute Nacht wach, dann noch mal um fünf. Danach ist er nicht mehr richtig weggenickt.
Auch wenn er zum fünften Mal dabei ist, aufgeregt ist er noch immer, besonders vor den ersten Drehtagen. „Ist ein bisschen, als wenn man nach einer langen Reise nach Hause kommt“, sagt er. Man muss sich erst mal wieder einruckeln. Er ist schon gestern angereist, sein Team heute Morgen. Seine Assistentin und seine Pressesprecherin, der stellvertretende Vertriebschef, der Geschäftsführer seiner Firma DS Invest sowie sein Mitinhaber und Chef von DS Produkte. Später werden sie mit den Gründern, die einen Deal mit Dümmel gemacht haben, die ersten Gespräche führen. Jetzt räumen sie erst einmal ein. Und um.
Die Zeichen stehen gut
Sie tragen einen der Schreibtische in die Mitte des Raumes, verrücken den Kleiderständer und schieben ein Sofa auf die gegenüberliegende Seite. Fertig. Die Laptops werden aufgebaut, die Anzüge und Hemden hingehängt, die Schachteln mit Socken, Einstecktüchern und Manschettenknöpfen ausgepackt. Dann kommt der Stuhl. Draußen auf dem Gang stand noch einer, den können sie nehmen. Ein Bankettstuhl, stapelbar. Chromgestell mit grauem Stoffbezug. Genau so einer wie vergangenes Jahr. Die Zeichen stehen gut!
Ralf Dümmel setzt sich und trinkt heißes Wasser mit Ingwer. Gleich geht es los. Auf dem Bildschirm des Fernsehers ist die Zeit eingeblendet. 9.23 Uhr. Und 28 Sekunden. 29 Sekunden, 30, 31, 32. Pressesprecherin Sanja Stankovic macht die ersten Fotos und Videos für die sozialen Medien. Dann wird Dümmel abgeholt. Er muss in die Maske, kommt aber sofort wieder zurück. Carsten Maschmeyer ist noch nicht fertig, die beiden teilen sich heute eine Visagistin.
Dümmel nimmt sich eine Cola Zero aus dem Kühlschrank und setzt sich auf seinen Stuhl. Dann steht er wieder auf. Er ist nervös.
9.37 Uhr. Die Maske ist frei, er ist jetzt dran. Es dauert nur neun Minuten, dann ist er fertig. Bei den Frauen ist es fast eine Stunde.
Elf Minuten vor zehn. Zeit, sich umzuziehen. Er zieht seine Schuhe aus und stellt sie ordentlich zum Stuhl, dann geht er zum Kleiderständer. Seine Assistentin Anja Westphal reicht ihm ein fliederfarbenes Hemd. Ist mit der Stylistin abgestimmt. Nils Glagau, ebenfalls einer der „Löwen“, wie die potenziellen Investoren genannt werden, trägt heute auch Lila.
Während Dümmel das Hemd zuknöpft, läuft er hin und her. Hin und her. Nachher muss er noch lange genug sitzen. Eine bis eineinhalb Stunden dauert jeder Pitch, jede Präsentation eines Gründers. Später, bei der Ausstrahlung, werden davon 15 bis 20 Minuten zu sehen sein. Die Löwen haben die Anweisung bekommen, die Uhr im Auge zu behalten, die Zeit eines Pitchs zu begrenzen. Doch das wird heute nicht klappen.
Im Studio ist es dunkel, nur das Set ist hell erleuchtet
Fertig. Dümmel trägt einen schwarzen Anzug. Sein grauer mit Muster ist bei der Stylistin durchgefallen, er flimmert. Dümmel greift nach einem Paar Schuhe und schlüpft in seine Turnschuhe. Die Sneaker trägt er nur auf dem Weg nach unten, zwei Stockwerke durch das Treppenhaus bis zum Set. Dort wechselt er dann noch mal. Im ersten Jahr hat er die Schuhe für den Dreh schon oben angezogen – und die Sohle war bis zum Studio kratzig und staubig geworden. Vor der Kamera sah es dann so aus, als ob er damit von Hamburg zu Fuß hergelaufen sei. Das soll nicht noch mal passieren. Weder ihm noch den anderen. Seit 2019 werden die Sohlen passend zur Farbe von Hemd und Anzug ausgewählt. Heute sind sie schwarz.
Im Studio ist es dunkel, nur das Set ist hell erleuchtet. Dümmel setzt sich in den braunen Ledersessel ganz rechts. Direkt neben der Feuerstelle, das Feuer brennt. Ihm ist jetzt schon warm. Seine Assistentin Anja Westphal reicht ihm eine Flasche Cola Zero. Er nimmt einen Schluck, den letzten für die nächsten eineinhalb Stunden. Noch schnell ein Blick zu Anja Westphal. Sitzt der Anzug? Hat er nirgendwo einen Fleck? Ist alles okay? Sie nickt. Dann geht es los.
Der Löwenkäfig wird geöffnet. Es ist 10.39 Uhr, als die ersten Gründer durch den Gang aus Gitterstäben kommen und vor die Löwen treten. Unten klappt Ralf Dümmel sein Notizbuch auf, oben seine Kollegen ihre Laptops. Es geht los. Hanno Hagemann rückt ein Stück näher an den Bildschirm, beobachtet die Miene von Ralf Dümmel. Die beiden kennen sich seit mehr als zehn Jahren, führen gemeinsam die DS Unternehmensgruppe. Er weiß genau, wie Ralf tickt. Ob er den Gründern ein Angebot macht oder nicht. Ihre Deckungsquote liegt bei nahezu 100 Prozent. Doch heute werden es nur 90 sein. Heute werden sie noch unterschiedlicher Meinung sein. Unten im Studio beginnt die Diskussion, oben in der Garderobe ist sie bereits in vollem Gange. Welches Potenzial steckt in dem Produkt? Gibt es so was schon? Wie könnte man das vermarkten. Vertriebler Timo Neumann und der DS-Invest-Chef Stefan Haßdenteufel sondieren den Markt, besprechen die Vor- und Nachteile des Produktes. Sollte es zu einem Deal kommen, findet heute noch, direkt im Anschluss an die Aufzeichnung, das erste Gespräch mit den Gründern statt. Darauf müssen sie sich vorbereiten.
Ralf Dümmel ist auf sich alleine gestellt. Es gibt keine Möglichkeiten, mit ihm zu kommunizieren. Er muss sich auf seinen Instinkt verlassen, seine Erfahrungen. Es ist 11.28 Uhr, und die Aufzeichnung läuft bereits eine Stunde, als die Kamera auf Dümmel schwenkt. „Ich habe Rieseninteresse“, sagt er. „Ich weiß, was man da machen kann.“ Dann eine Pause. Seine Kollegen wechseln verwunderte Blicke. Echt jetzt? Er will ein Angebot machen? Bei dieser Firmenbewertung? Nein, will er nicht. Er steigt aus. Seine Kollegen sind erleichtert.
Zeit für eine kurze Pause? Möchte jemand einen Kaffee? Es ist 11.54 Uhr, als die Kameras ausgehen und die Übertragung aus dem Studio endet. Anja Westphal springt auf und läuft nach unten, um Ralf Dümmel in Empfang zu nehmen. Auf dem Bildschirm des Fernsehers in Zimmer 217 wird das Logo von „Die Höhle der Löwen“ eingeblendet. Zwei Minuten später kommt Dümmel in den Raum gestürmt. Wieder in seinen Turnschuhen und mit zwei Kosmetiktüchern, die ihm eine Visagistin zum Schutz des Kragens vor Schminkrändern in das Hemd gesteckt hat.
Der Löwe hat die Witterung aufgenommen
Er lässt sich auf seinen Stuhl fallen, steht wieder auf. Dann läuft er zum Fenster, öffnet die Rollos. Dann zum Kühlschrank. Er nimmt sich eine Cola Zero und läuft mit ihr in der Hand hin und her. Von einer Seite des Raumes zur nächsten. Ein Löwe im Käfig. Rastlos, ruhelos. Getrieben. Das Produkt war so gut. Aber diese Firmenbewertung! Und dann die vielen Investoren, die da schon drinnensteckten. „Da musst du für eine Gesellschafterversammlung eine ganze Turnhalle anmieten“, sagt er. Trotzdem. Irgendwie ärgerlich. Aber immerhin hat ihm niemand den Deal weggeschnappt. Das ist das Schlimmste für ihn. Wenn er ein Angebot macht – und abgelehnt wird. Damit kann er überhaupt nicht umgehen.
Er weiß noch nicht, dass genau das beim nächsten Pitch passieren wird. Noch ein letzter Schluck Cola Zero, dann geht es weiter. Das Set wurde umgebaut. Es ist 12.40 Uhr. Das Mittagessen ist für den Nachmittag angesetzt. Der Pitch beginnt. Ein Food-Produkt wird präsentiert, dann von den Löwen verkostet. Während Georg Kofler und Judith Williams noch über den Geschmack diskutieren, fragt Dümmel bereits nach den Zahlen. Der Löwe hat die Witterung aufgenommen. Er ist nicht der Einzige.
Es ist 13.33 Uhr, als dem Gründer das erste Angebot gemacht wird. Von Nils Glagau. Er ist Dümmel zuvorgekommen. Die Nervosität steigt, Dümmel beißt sich auf die Lippe. Macht er in solchen Momenten immer. Keine Show. Für Spielchen hat er keine Zeit. Ihm geht es nicht um Einschaltquoten, sondern ums Geschäft. Um den Deal. Und den will er machen. Verlieren ist keine Option.
Das konnte er noch nie gut. Noch nicht mal, wenn er mit seinen Kindern „Mensch ärgere Dich nicht“ gespielt hat. Der Gründer zieht sich zum Überlegen zurück. Dann entscheidet er sich. Pause. Pause. Für Nils Glagau. Die Kamera fängt den Blick von Ralf Dümmel ein. Hanno Hagemann schließt kurz die Augen. Er weiß, was jetzt kommt. Schweigen.
Niemand schafft es, Dümmel aufzubauen
In solchen Momenten will er mit niemandem reden. Ralf Dümmel geht langsam die Treppe hoch, sagt kein Wort. Noch nicht einmal, als er das Zimmer betritt. Er lässt sich auf den Stuhl fallen, lehnt sich zurück. Vorhin konnte er kaum still sitzen, ist immer wieder aufgesprungen. Jetzt fehlt ihm jede Energie. Leise murmelt er vor sich hin: Das fängt ja gut an, schon beim zweiten Deal. „Steckste ja nicht drin ... Hasse das! Wäre geflogen das Ding. Das sag ich euch.“ Er sagt es mehr zu sich selbst als zu den anderen. Irgendwann sagt er gar nichts mehr. Jemand reicht ihm eine Cola Zero. Doch er trinkt sie nicht.
Essenszeit. Kein Appetit. Die anderen wollen ihn aufbauen. Doch niemand schafft es. Immer wieder schüttelt er den Kopf. Was ist bloß schiefgelaufen? Schweigend geht er zurück in die Garderobe, öffnet eine Haribo-Tüte und sucht sich die Himbeeren und Lakritz-Stafetten raus. Die mag er am liebsten. Dann greift er zu einer Tafel Schokolade, Sorte Marzipan, und bricht ein Stück ab. Langsam geht es ihm besser. Wird schon!
Drei Pitchs gibt es heute noch. Fünf weitere morgen. Da wird ja wohl was für ihn dabei sein! Es ist keine Frage. Es ist eine Kampfansage. Toi, toi, toi, rufen ihm die anderen zu, als er zurück ins Studio geht. Sie wollen nicht in seiner Haut stecken. Er ist nervös. Das sieht man sofort. Es geht um ein Beautyprodukt, das es so noch nicht gibt. Das er unbedingt will. Da ist sich sein Team sicher. Sie fangen an zu googeln. Wie groß ist der Markt? Wie viele Menschen sind von dem Problem betroffen? Gibt es Vergleichsprodukte?
Ralf Dümmel ist auf seinem Sessel ein Stück nach vorne gerutscht. Zu Beginn eines Pitchs lehnt er sich meistens entspannt zurück, doch je spannender es wird, umso weiter rückt er nach vorne. Bis er manchmal nur noch auf der Kante sitzt. Er fragt nach Herstellungs- und Verkaufspreisen, den Produktionsbedingungen und Lagermöglichkeiten. Dann prescht er vor, macht der Gründerin ein Angebot. „Ich gebe Ihnen das Geld, für ...“
„Bis zum Ende der Staffel passt der Anzug wieder“
Während er unten im Studio noch überlegt, ruft Hanno Hagemann bereits „20 Prozent“. Doch Dümmel kann ihn nicht hören. Es gibt keine Möglichkeit der Kommunikation. Dann beendet er seinen Satz: „für 20 Prozent.“ Er lehnt sich zurück, doch die Anspannung bleibt. Jetzt muss er abwarten. Vier Löwen sind noch im Rennen. Dann macht Georg Kofler ein Angebot, Maschmeyer und Glagau steigen aus.
Jetzt hängt es an Williams. Gegen Kofler hätte man bei diesem Produkt vielleicht eine Chance. Aber gegen Williams? Gegen die Beauty-Queen? Welche Gründerin würde ein Angebot von ihr schon abschlagen? Es ist keine Frage. Es ist eine Erfahrung!
In der Garderobe wird man langsam nervös. Auch hier will man das Produkt – inklusive der charismatischen Gründerin. Unbedingt! Und dann passiert es. „Kann das sein?“ Ungläubige Blicke. „Glaubt ihr auch, dass ...“, „Hört sich ja so an, als ob sie ...“ Die Sätze werden angerissen, aber nicht ausgesprochen. Niemand traut sich zu sagen, was sich vor der Kamera abzeichnet. Williams steigt aus. Der König der Löwen macht den Deal.
Als Ralf Dümmel um 16.20 Uhr zurück in seine Garderobe kommt, reißt er die Arme in die Luft. Himmel, er hat so einen Schiss gehabt. Kann sich keiner vorstellen. „Hab mir die ganze Zeit gesagt: Lächele – damit mir niemand was ansieht.“ Vor der Kamera war das Lächeln ein bisschen gezwungen, jetzt ist es echt. Er ist berauscht. Seine Hand zittert leicht, als er eine Flasche Cola Zero nimmt und den Verschluss aufdreht. Er ist so erleichtert. Aber auch total erledigt. Als ob er Höchstleistungssport gemacht hätte. Also – nicht dass er Hochleistungssport macht. Nicht mehr zumindest. Früher schon. Daher weiß er, wie sich der Puls dann anfühlt. So wie jetzt! Vielleicht nimmt er mal einen Pulsmesser mit.
Worum es in der Sendung geht:
- Es ist eine der erfolgreichsten Sendungen im deutschen Fernsehen. Seit „Die Höhle der Löwen“ 2014 erstmals ausgestrahlt wurde, erreicht die Gründershow auf VOX regelmäßig die Quotenmarktführerschaft in der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen.
- „Die Höhle der Löwen“ basiert auf dem britischen TV-Format „Dragons‘ Den“.In der Show haben Gründer die Möglichkeit, ihr Geschäftsmodell oder ihre Erfindung erfolgreichen Unternehmern (den „Löwen“) zu präsentieren und bei ihnen um eine Investition zu werben. Es war die erste Gründershow im deutschen Fernsehen und ist bis heute die erfolgreichste. Dabei wollte das Format zunächst niemand haben.
- Als Astrid Quentell, die Chefin der Sony Pictures Film und Fernseh Produktions GmbH, hierzulande eine Adaption des britischen Erfolgsformats „Dragons‘ Den“ produzieren wollte, glaubte zunächst niemand an den Erfolg der Wirtschaftssendung. Fünf Jahre lang präsentierte sie das Konzept verschiedenen Fernsehsendern – bis VOX schließlich zusagte.
- Im Herbst 2014 ging „Die Höhle der Löwen“ erstmals auf Sendung. Inzwischen läuft bereits die achte Staffel des Erfolgsformats – montags um 20.15 Uhr auf VOX.
- Neu im Löwenrudel ist in diesem Jahr der ehemalige Formel-1-Weltmeister Nico Rosberg, der den Platz des IT-Experten Frank Thelen eingenommen hat.
- Ralf Dümmel gehört seit 2016 zu den Investoren. Bei seinem Einstieg war er nahezu unbekannt. Im Internet existierte zu dieser Zeit nur ein einziges Foto von ihm – zusammen mit Vitali und Wladimir Klitschko.
- Als Dümmel zusammen mit Carsten Maschmeyer als Investor vorgestellt wurde, sprachen manche nur von „Maschmeyer und dem anderen“. Inzwischen ist Ralf Dümmel zum Publikumsliebling avanciert – und für viele der„Der König der Löwen“. (nik)
Aber vielleicht auch lieber nicht. Womöglich löst das Ding Alarm aus, wenn sein Herz zu rasen anfängt. Als die Tür aufgeht, rechnet er damit, zum nächsten Dreh geholt zu werden. Doch es ist Astrid Quentell. Sie ist die Geschäftsführerin der Sony Pictures Film- und Fernsehproduktions GmbH. Sie hat „Die Höhle der Löwen“ nach Deutschland geholt, groß gemacht. Hier ist sie Ralfs Chefin. „Na, wieder glücklich?“, fragt sie. Dümmel winkt ab. „Tu doch nicht so, als ob du Mitleid hattest. Dir geht es doch nur um die Quote.“ Beide grinsen. Sie sind in den letzten Jahren Freunde geworden.
Astrid Quentell streicht mit den Fingern über die neuen Anzüge. Sie sind „mega“, wie Dümmel gerne sagt. Vor allem die mit Glitzer. Und der graue. „Der graue ist rausgeflogen“, brummt Ralf Dümmel. „Die Stylistin meint, er würde auftragen.“
„Auftragen?“ Astrid Quentell dreht sich um. Also bitte! Wo das denn? Gespielte Empörung. Sie darf das, so mit ihm reden. Die Produzentin greift nach der Haribo-Tüte, reicht sie dann an Ralf Dümmel weiter. Ein Moment stillen Einvernehmens. „Bis Ende der Staffel passt der Anzug wieder. Bei dem Stress, den ich habe, werde ich garantiert abnehmen“, sagt Dümmel. „Vielleicht gehe ich aber nach dieser Staffel auch in Rente und spiele bei ,Der Lehrer‘ mit. Da ist es bestimmt nicht so anstrengend.“ Er grinst. Ein Scherz, natürlich! Doch Astrid Quentell ist begeistert. „Ja, mega! Lass mal darüber sprechen.“ Sie meint die Sache mit „Der Lehrer“. Die Sendung wird ebenfalls von ihr produziert. Es ist eine der beliebtesten Serien im deutschen Fernsehen.
Draußen wird es langsam dunkel. 17 Uhr gleich. Es geht weiter. Das erste Treffen mit der Gründerin steht an. Ganz kurz nur. Sanja Stankovic macht Fotos und ein kurzes Video. Zur Ausstrahlung werden die Aufnahmen in den sozialen Medien veröffentlicht. Vorher nicht. Dann muss Dümmel zurück ins Studio. Sein Team übernimmt ab hier. Hanno Hagemann, dem DS Produkte zusammen mit Ralf Dümmel gehört und der die Rollenverteilung gerne mit Außenminister (Ralf) und Innenminister (Hanno) beschreibt. Timo Neumann, stellvertretender Vertriebsleiter und Herr über 4000 Produkte von DS. Und Stefan Haßdenteufel, Geschäftsführer für den Bereich Beteiligungen, DS Invest.
Im Konferenzraum im zweiten Stock, drei Zimmer neben der Garderobe, steht das erste Sondierungsgespräch an. Es gibt Kaffee und Komplimente für den souveränen Auftritt der Gründerin und ihr Produkt. Dann legen sie los. „Du hast den Löwenanteil geschafft, jetzt sind wir dran“, sagt Hagemann. Es gibt viel zu tun, die Zeit ist knapp. Etwa sieben Monate sind es zu diesem Zeitpunkt noch bis zur Ausstrahlung der neuen Staffel. Wann genau die heute aufgezeichneten Sequenzen erscheinen, wissen sie selbst erst kurz vorher. Daher muss jedes Produkt bis zum Start der Staffel fertig für die Markteinführung sein. Sieben Monate, um Produktionsmengen festzulegen, die Verpackung zu optimieren, die Website vorzubereiten, damit sie dem Ansturm standhält. Wenn die Folge gesendet wird, werden Tausenden von Zuschauern die Website anklicken – pro Sekunde.
15 Minuten Pause nach dem vierten Pitch
In sechs Tagen steht der erste Termin in Stapelfeld bei Hamburg an. Mit allen Abteilungen, allen Beteiligten. Rechtsabteilung, Import, Einkauf, Produktmanagement, Presse, Marketing, Vertrieb, Onlinespezialisten. Mehr als 20 Leute sind es etwa, die bei dem Termin dabei sind. An dem Produkt arbeiten werden später weit mehr als 200 – das sind etwa 50 Prozent der Belegschaft. Sechs Tage, damit sich beide vorbereiten können. Damit beide ihre Hausaufgaben machen können, wie man es bei DS nennt. „Unser Team in Stapelfeld weiß bereits Bescheid und arbeitet in diesem Moment die ersten Ideen aus“, sagt Stefan Haßdenteufel. Noch läuft alles auf Vertrauensbasis. In den nächsten Tagen werden beide Parteien einen NDA unterzeichnen – einen Geheimhaltungsvertrag. Stillschweigen gehört bei „Höhle der Löwen“ zum Geschäft.
Das Gespräch geht zu Ende, der Pitch vor der Kamera auch. Viel mitbekommen hat man oben nicht. Als das DS-Team zurück in die Garderobe kommt, laufen unten gerade die letzten Minuten der Aufzeichnung. Man hört nur noch, wie Dümmel sagt: „Ich bin raus.“ Dann sieht man eine der Gründerinnen weinen. Die Ratlosigkeit hängt im Raum wie die abgestandene Luft. Was war denn da los? Die Spekulationen überschlagen sich, die letzten Minuten ziehen sich hin. Dann kommt Dümmel zurück in die Garderobe, lässt sich auf seinen Stuhl fallen. Er ist geschlaucht. Vor der Kamera merkt man ihm nichts an, jetzt schon.
Das war der vierte Pitch, einer kommt noch. 15 Minuten Pause. Dümmel geht zum Fenster und reißt es auf. Einmal frische Luft tanken. Einmal runterkommen. Nein, lag nicht an ihm, dass die Gründerin geweint hat. Also bitte! Als ob er jemals irgendjemanden niedermachen würde! Er schüttelt den Kopf. Das ist nicht sein Ding. Aber er kann auch nicht aus Mitleid oder Sympathie investieren. Das ist noch weniger sein Ding. Er ist schließlich Geschäftsmann.
Das sind die Start-ups aus Hamburg und Umgebung, die bisher in der Löwenhöhle punkten konnten:
- „Kleine Prints“ – Deal mit Investorin Lencke Steiner: 40.000 Euro für 30 Prozent der Firmenanteile;
- „CoffeeBags“ – Deal mit Vural Öger: 150.000 Euro für 33 Prozent;
- „Heimatgut“ – Deal mit Jochen Schweizer: 125.000 Euro für 15 Prozent;
- „Sugar Shape“ – Deal mit Judith Williams und Frank Thelen: 500.000 Euro für 20 Prozent;
- „Towell“ – Deal mit Ralf Dümmel und Jochen Schweizer: 100.000 Euro für 20 Prozent;
- „Ankerkraut“ – Deal mit Frank Thelen: 300.000 Euro für 20 Prozent;
- „Limberry“ – Deal mit Judith Williams und Carsten Maschmeyer: 250.000 Euro für 20 Prozent;
- „Chef.One“ – Deal mit Frank Thelen und Judith Williams: 150.000 Euro für 25 Prozent;
- „Tastillery“ – Deal mit Dagmar Wöhrl: 100.000 Euro für 20 Prozent;
- „Foodguide“ – Carsten Maschmeyer: 450.000 Euro für 31,6 Prozent;
- „Veluvia“ – Carsten Maschmeyer und Ralf Dümmel: 300.000 Euro für 25,1 Prozent;
- „Kajnok“ – Deal mit Georg Kofler: 400.000 Euro für 26 Prozent;
- „Luicella’s Eismix“ – Frank Thelen: 120.000 Euro für 20 Prozent;
- „Caps Air“ – Ralf Dümmel: 200.000 für 30 Prozent;
- „Trockenfix“ – Ralf Dümmel: 200.000 Euro / 49 Prozent;
- „sleeperoo“ – Dagmar Wöhrl: 250.000 Euro für 25,1 Prozent;
- „WeeDo“ – Georg Kofler: 100.000 Euro / 30 Prozent;
- „Easy Pan“ – Deal mit Ralf Dümmel: 25.000 Euro für 20 Prozent;
- „Soummé“ – Ralf Dümmel: 150.000 Euro für 20 Prozent;
- „Jagua for Xou“ – Judith Williams und Nils Glagau: 150.000 Euro für 30 Prozent;
- „drinkbetter“ – Ralf Dümmel und Carsten Maschmeyer: 300.000 für 30 Prozent;
- „YAB Fitness“ – Georg Kofler: 200.000 für 25 Prozent;
- „flexylot“ – Deal mit Ralf Dümmel: 125.000 Euro für 30 Prozent.
18.29 Uhr. Der letzte Pitch beginnt. Während die beiden Gründer unten noch ihr Produkt präsentieren, hat man sich oben schon ein Urteil gebildet. Ein großartiges Produkt, ganz tolle Gründer – aber ein äußerst schwieriges Geschäftsmodell. Hanno Hagemann lehnt sich in seinem Stuhl zurück. Das ist nichts für sie – leider. In dem Bereich haben sie zu wenig Erfahrung. Selbst wenn die Erfindung genial ist. Ralf Dümmel wird keinen Deal machen. Da ist er sich sicher. Als die Fragerunde beginnt, ist das DS-Team gedanklich bereits ausgestiegen. Damit lässt sich kein Geld verdienen. Hanno Hagemann klappt seinen Laptop zu. Eine Stunde und vier Minuten später bestätigt Ralf Dümmel, was sein Team schon lange denkt. „Ich habe eine schlechte Nachricht für euch“, setzt er an. „Da kommt noch viel Arbeit auf euch zu.“
Die anderen hören kaum noch zu. Das war’s für heute, gleich ist Feierabend. Doch dann beugt sich Ralf Dümmel vor. So, wie er es immer tut, wenn ... „Er wird doch nicht etwa ...“, sagt Hanno Hagemann und beugt sich ebenfalls vor, um besser den Bildschirm sehen zu können. Dann sagt er nichts mehr. Ralf Dümmel hat den Gründern gerade ein Angebot gemacht. Hektisch werden die Laptops wieder aufgeklappt, eilig Notizen gemacht. Hanno Hagemann steht auf und läuft in dem 16 Quadratmeter großen Raum hin und her. Hin und her. Das kann doch nicht wahr sein – er war sich so sicher, dass Ralf aussteigt.
Es ist 19.53 Uhr, als Dümmel zurück in die Garderobe kommt. Mit erhobener Faust, euphorisiert. Das wird der Hammer. Davon ist er überzeugt. Er entkräftet Bedenken, steckt alle mit seiner Begeisterung an. Einmal durchatmen, dann geht es los. Der erste Termin mit den Gründern.
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Meistens, wenn Dümmel einen Deal gemacht hat, kann er bei dem Gespräch nicht dabei sein. Weil dann bereits der nächste Pitch aufgezeichnet wird. Heute nicht. Heute ist Feierabend. Er mag das, diese ersten Treffen mit den Gründern. Das erste Kennenlernen, Pläne schmieden, gemeinsam Visionen haben. Ein bisschen wie am Anfang einer Beziehung. Er muss sich beeilen, die anderen warten schon auf ihn. Eine Stunde dauert das Gespräch. Klar, es könnte auch schneller gehen. Aber der Termin ist wichtig – ihm und den Gründern. Er weiß, wie lange sie auf den Moment hingearbeitet haben. Ist ein Zeichen des Respekts, sich Zeit für sie zu nehmen.
Es ist kurz vor neun, als Dümmel seine Jacke holt und das Licht in der Garderobe ausmacht. Sie sind die Letzten im Gebäude. In zwölf Stunden geht es weiter. Auf seinem Stuhl liegt eine leere Flasche Cola Zero.
Das Magazin
Am 17. September bringt das Abendblatt ein Magazin über Ralf Dümmel in den Handel. Es kostet 9 Euro und ist auch im Abendblatt-Shop am Großen Burstah 18–32 sowie unter shop.abendblatt.de erhältlich. (Treuepreis für Abonnenten bei Kauf übers Abendblatt: 8 Euro).