Hamburg. Eine magische Nacht: Fakt trifft Imagination in Regina Kings mit ihrem Drama „One Night In Miami“ und dem Kampf um Gleichberechtigung.
„Bist du bereit für diesen Abend?“ wird Cassius Clay gefragt. Und der entgegnet, siegessicher, aber auch ein bisschen arrogant, er sei so bereit, wie ein Mann nur bereit sein könne. Kurz darauf ist der Boxer Weltmeister im Schwergewicht. Es ist der 25. Februar 1964, als der gerade mal 22-Jährige in Miami seinen Gegner Sonny Liston mit seinem legendären, scheinbar federleichten Umtänzeln überrascht und bezwingt. „Bist du bereit für diesen Abend?“ Die Frage hat in diesem Film aber noch eine andere Bedeutung. Denn Clay feiert zwar seinen Triumph. Aber nicht mit einer großen Party. Sondern im kleinsten Kreis mit engen Freunden - und unter schärfster Bewachung.
Im Hampton House Motel in Overtown, dem Schwarzenviertel von Miami, trifft sich der frisch gekürte Weltmeister mit dem Bürgerrechtsaktivisten Malcolm X, dem Footballer Jim Brown und dem Soulsänger Sam Cooke. Und auch wenn drei von ihnen anfangs noch an einen feuchtfröhlichen Abend unter Kumpels glauben, wird es vielmehr ein heftiger Schlagabtausch. Denn Malcolm X, der streitbare Wortführer der Nation of Islam, möchte sie alle, die so erfolg- und einflussreich sind, einschwören im Kampf gegen den Rassismus.
Mix aus Fakt und Imagination: „One Night in Miami“
Der Abend hat wirklich stattgefunden. Was dabei tatsächlich geschah, ist aber nicht überliefert. Kemp Powers hat daraus, als eine Mischung aus Fakt und Imagination, sein Theaterstück „One Night in Miami“ entwickelt, das 2013 in Los Angeles Premiere hatte. Powers schrieb auch das Drehbuch zum Film. Regie bei diesem so prominenten Männerquartett führte allerdings eine Frau: Regina King, die als Schauspielerin für das Schwarzendrama „Beale Street“ vor zwei Jahren einen Oscar gewann und hier ihr Regiedebüt bei einem Kinofilm vorlegt. Premiere hatte diese Amazon-Produktion auf den Filmfestspielen in Venedig – es war das erste Werk einer afroamerikanischen Regisseurin, das dort je gezeigt wurde. Und für die kommende Oscar-Verleihung sagt man dem Film, der ab diesem Freitag bei Prime Video gestreamt werden kann, bereits große Sieger-Chancen voraus.
Dabei ist es höchst spannungs- und reizvoll, dass eine Frau diese vier Alphamännchen in Szene setzt, die es gewohnt sind, dass sie gefeiert werden, und mit ihren Egos aufeinanderprallen. Den Boxer (Eli Goree) hat Malcolm X (Kingsley Ben-Adir) schon auf seiner Seite, er ist für seine Black-Muslim-Vereinigung zum Islam übergetreten. Deshalb wird der Abend auch nicht mit Alkohol, sondern mit Eiskrem gefeiert. Wenigstens offiziell. Denn insgeheim trinkt Clay doch ganz gern aus dem Flachmann des Footballers (Aldis Hodge). Der mag sich noch nicht einspannen lassen. Und der Sänger (Leslie Odom Jr.), ein Vater des Soul, ist tief gekränkt, als Malcolm X ihm vorhält, sein Publikum nur zu unterhalten. Ein einziger Song von Bob Dylan, „Blowin‘ In The Wind“, tue mehr für die Bürgerrechtsbewegung als Cookes ganzes Oeuvre, so das vernichtende Urteil. Und so liegen sich die Freunde bald in den Haaren. Derart, dass sogar die Bodyguards von Malcolm X ins Zimmer dringen.
Virtuos gelingt es Regina King, das Publikum wie die Protagonisten in diesem Hotelzimmer quasi in Haft zu nehmen und damit auch das Eingesperrtsein der schwarzen Ikonen – all ihrer Karrieren zum Trotz – zu thematisieren. Dass sie alle Erfahrungen mit Rassismus gemacht haben, wird anfangs in ein paar Rückblenden gezeigt, mit denen die vier so unterschiedlichen Männer eingeführt werden. Mit diesen – wenigen – Szenen bricht King die Starre des immergleichen Raums der Dramavorlage auf. Zugleich gibt King den Figuren viel Raum, um ihre vielschichtigen Motive auszubreiten. Ihren Darsteller – alle keine Stars, alle noch reichlich unbekannt, sodass man sie eher mit den Figuren identifizieren kann -, gelingt dabei das Bravourstück, nicht nur die Persönlichkeiten hinter den berühmten Namen glaubwürdig zu vermitteln, sondern auch die Positionen, die sie vertreten.
Sowohl Sam Cooke als auch Malcolm X wurden ermordet
Der Abend hat Geschichte geschrieben. Der Boxweltmeister hat sich schon am Tag darauf in Muhammad Ali umbenannt, weil Cassius Clay nur sein Sklavenname gewesen sei. Jim Brown hat seine Football-Schuhe an den Nagel gehängt und eine neue Karriere als Schauspieler begonnen. Und Sam Cooke, einer der Väter des Soul, stellte kurz darauf einen neuen, politischen Song vor: „A Change Is Gonna Come“, der nicht nur sein berühmtestes Lied werden sollte, sondern auch die Hymne der Bürgerrechtsbewegung. Ein historischer Abend war dies aber auch, weil Cooke nur zehn Monate später unter bis heute nicht geklärten Umständen erschossen wurde und Malcolm X im Februar 1965 einem Attentat zum Opfer fiel. Die Angst vor einem Übergriff steht schon im Film stets mit im Raum, mit wenigen Andeutungen erzeugt King eine Atmosphäre der Angst – die es zugleich zu überwinden gilt.
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„One Night in Miami“ ist nicht nur die Dramatisierung eines historischen Abends. Ihr Film sei „ein Liebesbrief an die Erfahrungen des schwarzen Mannes in Amerika“, so Regisseurin King, aber zugleich hochaktuell: „Wie die jüngsten Morde an George Floyd und Breonna Taylor gezeigt haben, ist unser Kampf um Gleichberechtigung noch lange nicht vorbei.“ Ganz wie Malcolm X im Film sucht sie die Menschen für einen gemeinsamen Kampf zu gewinnen: „Wir brauchen einander mehr denn je, unsere Stimmen sind zu einer vereint, unmöglich zu ignorieren und laut genug, um endlich gehört zu werden.“ Auch Cookes Protestsong, der am Ende in voller Länge gespielt wird, klingt – leider – immer noch brandaktuell.
„One Night in Miami“: ab sofort bei Amazon Prime Video