Hamburg. Regisseur Dominik Graf über seine Kästner-Verfilmung „Fabian“ mit Tom Schilling und Saskia Rosendahl, die an diesem Donnerstag anläuft.

Am 10. Mai 1933 verbrannten uniformierte NS-Studenten in Berlin auf einer Art Scheiterhaufen „undeutsche“ Literatur. Darunter war auch der Roman „Fabian“ von Erich Kästner, der selbst als Augenzeuge bei dem kruden Akt zugegen war. Jetzt hat Dominik Graf das Buch aus dem Jahr 1931 verfilmt, das die Zustände in Deutschland vor der NS-Machtergreifung beschreibt und autobiografische Züge trägt.

Zum ersten Mal seit acht Jahren hat der 68 Jahre alte Regisseur wieder einen Kinofilm gedreht. Mit seiner großen Experimentierfreudigkeit hat er seit den 70er-Jahren sowohl im Kino als auch im TV viele Erfolge gefeiert und allein elf Grimme-Preise gewonnen.

Hamburger Abendblatt: Was für eine Art Held ist Fabian?

Dominik Graf: Er ist jemand, mit dem ich mich sehr gut identifizieren kann, weil er nicht deuten kann, wohin das, was um ihn herum geschieht, führen wird. Er operiert ja immer noch mit Begriffen wie „Anständigkeit“ und „Moral“. Trotzdem sieht er dabei die Welt vor die Hunde gehen. Und andererseits ist er auch wieder fasziniert von diesem Lemming-Sturz in die nächste Katastrophe. Man sollte solche Filme, finde ich, nicht so machen, als wüsste man schon, was in der Historie als Nächstes kommt. Die Figuren wissen es ja auch nicht. Fabian ahnt es. Deshalb hat Kästner ja auch gesagt, der Roman sollte eine Mahnung sein. Davon bin ich allerdings nicht so ganz überzeugt. Ich glaube vielmehr, dass ihm die vielen rabiaten Sequenzen auch ziemlich Spaß gemacht haben.

Warum haben Sie sich für einen Erzähler aus dem Off entschieden? Das erlebt man heute nicht mehr so oft.

Graf: Tja, der dämliche Zeitgeist-Geschmack macht auch vor dem Kino nicht halt. Aber wenn man sich auf Hochliteratur einlässt, und das ist „Fabian“ zweifellos, dann muss auch Hochliteratur vorkommen. Die Stimme, die Sprache des Autors, muss vorhanden sein, in Beschreibungen, in Gefühlen, und das Kino kann das ja alles. Vielleicht ist das aber vor lauter runtergeschrubbten Serien-Content in Vergessenheit geraten.

Sie erzählen verschiedene Ebenen gleichzeitig, nutzen Split-Screen-Technik und Stummfilm-Elemente – könnte das die Zuschauer überfordern?

Graf: Vielleicht. Das alles dient aber zur Beschreibung einer Zeit, die selbst überfordert und überfordernd war.

Wie schwer war es, die Rechte für die Verfilmung zu bekommen?

Graf: Da müssen Sie Produzent Felix von
Boehm fragen. Als er die Rechte hatte, ist er damit zum mir gekommen. Das Drehbuch war auch schon geschrieben. Und es hat mich relativ schnell überzeugt, auch wenn es viele Jahre her war, dass ich den Roman gelesen hatte. Mein Co-Autor Constantin Lieb und ich haben dann noch einiges an der Struktur des Drehbuchs gemacht und viele düstere Szenen aus dem Roman wieder hineingenommen. Wir wollten es nicht aufwendig verfilmen, sondern klein, aber dafür intensiv.

Wie sehen Sie den Zustand von Deutschland zwischen den Weltkriegen?

Graf: Es ging immer um die Schmach von Versailles, die Reparationszahlungen, die vielen Arbeitslosen, die Versehrten. Der so wichtige Nationalstolz war angegriffen. Es war schon ein Irrenhaus, wie Kästner es auch ganz richtig beschreibt. Dann gab es zwischendurch auch mal ein paar ganz gute Jahre – zu besichtigen in „Babylon Berlin“ – mit Talmi, alle tanzten auf den Tischen. Und schon kam die nächste Wirtschaftskrise. Das Land war im Taumel und im Umbruch. Hitler hatte in München bereits seinen Putsch ausgerufen. In Berlin regierte dagegen immer noch das Preußentum. Eigentlich wollten alle den Kaiser zurück, was aber nicht ganz geklappt hat. Obwohl Hindenburg ja auch eine kaiserartige Figur war. Im Grunde herrschte das Chaos.

Sie haben einen sehr schönen Satz in den Film eingebaut: „Das Blöde an der Avantgarde ist, dass sie immer so avantgardistisch sein muss.“ Ist der von Kästner?

Graf: Nein, das gebe ich zu. Ich finde, Kunst und Kommerz durchdringen sich gar nicht mehr. Ich habe in neulich meiner Videothek nach US-Filmen aus den 70ern gestöbert und festgestellt, dass sie fast alle avantgardistisch waren: „Apocalypse Now“, „Heaven’s Gate“ – mir fallen gleich noch 20 mehr ein. Bis auf „Heaven’s Gate“ haben sie auch alle an den Kinokassen funktioniert. Wer hätte gedacht, dass Erfolg und große Erzählkunst einmal so auseinanderdriften? Schuld sind die verfluchte Arthouse-Labelisierung einerseits und die Entwicklung zum freudlosen Doof-Kommerz andererseits.

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Beide Hauptdarsteller spielen sehr überzeugend. Haben Sie lange nach ihnen gesucht?

Graf: Beide sind grandios. Wir haben Probeaufnahmen gemacht und nach fünf Minuten war ich mir sicher: Es muss dieses Paar werden, anders geht es nicht.

Der Film heißt „Fabian oder der Gang vor die Hunde“. Der Roman heißt dagegen „Fabian. Die Geschichte eines Moralisten“. Wie hängt das zusammen?

Graf: Kästner hatte den Titel „Der Gang vor die Hunde“ geplant. Der Verlag fand ihn kommerziell wenig erfolgversprechend. Als ich den Roman vor 40 Jahren – oh Gott! – zum ersten Mal gelesen habe, hatte ich das Gefühl, dass der Moralist dabei ein bisschen aufgesetzt ist. Eigentlich ist er als Voyeur doch ziemlich fasziniert von dem, was er da an Untergang und an Un-Anständigem erlebt.