Berlin. Regisseur Gabor Reisz seziert die ungarische Gesellschaft: Dabei geht es in „Eine Erklärung für alles“ doch nur um eine Anstecknadel.

Der Wasserhahn tropft, der Kühlschrank leckt, und mit György Trem (István Znamenák) schneidet sich ausgerechnet ein glühender Anhänger von Viktor Orban beim Paprika-Schneiden in den Finger. Da schlägt in Ungarn gerade ein Gesellschaftssystem Leck, und Regisseur Gábor Reisz bohrt in seiner bösen Komödie „Eine Erklärung für alles“ vergnüglich in der Wunde.

„Eine Erklärung für alles“: Über Wichtigtuer und Mitläufer

Denn zukleistern tun die schon genug, alle Wichtigtuer und Mitläufer in diesem Film, in dem es eigentlich nur darum geht, dass der Abiturient Abel Trem (Gáspár Adonyi-Walsh) in der mündlichen Geschichtsprüfung versagt. Weil ihn sein linker Lehrer Jakab (András Rusznák) allerdings auf seine ungarische Anstecknadel anspricht, díe an die Ungarn-Revolution von 1956 erinnert, wird aus der Prüfung plötzlich ein nationaler Skandal.

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Denn die ehrgeizige Journalistin Erika (Rebeka Hatházi) bekommt über buchstäblich fünf Ecken Wind von der Geschichte, konstruiert mit fetter Schlagzeile eine linke Verschwörungstheorie, die den Geschichtslehrer an den Rand der Entlassung, den staatshörigen Direktor in Erklärungsnot und den Jungen selbst in peinliche Gespräche mit seinem nationalistischen Vater bringt, der nicht einmal seinen leckschlagenden Haushalt im Griff hat.

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Dieses Mücke-zum Elefanten-Machen erinnert an Radu Judes böse rumänische Satire „Bad Luck Banging or Loony Porn“, wo ein Fehltritt einer Lehrerin zum Rundumschlag gegenüber einer hinterhältigen Gesellschaft wird. Es gibt sie auch in Ungarn: die unfreund­lichen Kellner, die geschwätzigen Taxifahrer, die liebesverblendeten Teenager, die verbohrten Linken, die sturen Nationalisten und die sensationslüsternen Medien, die zum Höhepunkt des Films rangeln um einen Platz, um Abels Wiederholungsprüfung live zu übertragen.

„Eine Erklärung für alles“: Unglücklich in Mitschülerin verliebt

Dabei geht es doch lediglich um einen unglücklich in die Mitstudentin Janka (Lilla Kizlinger) verliebten Jungen, der eine Prüfung verbockt. Der lieber mit dem Rennrad durch die Nacht fährt oder mit seinen Freunden illegal einen Pool erobert. Um sich freizuschwimmen – auch vom Opfermythos in einer dysfunktionalen Gesellschaft.

Drama, Ungarn 2023, 127 min., von Gábor Reisz, mit Gáspár Adonyi-Walsh, Istvan Znamenak, András Rusznák