Berlin. Was, wenn der Individualismus das Problem ist? Regisseur Omer Fast veranstaltet ein faszinierendes Maskenspiel tief im deutschen Wald.

Sie ist nicht Angela Merkel, sie trägt nur ihre Maske und wird deshalb von allen Angela genannt. Bis auf wenige Sekunden ist das Gesicht von Schauspielerin Stephanie Amarell in diesem Film nicht zu sehen. Anabgela gehört zu einer Gruppe von Aktivistinnen und Aktivisten in einem Wald, dessen Abholzung verhindert werden soll.

Sie filmt die anderen, während sie das schwere Gerät besetzen und ihre Transparente entrollen. Wie immer, wenn sie nervös wird, beginnt sie dabei Reden und Wortbeiträge der früheren Kanzlerin zu murmeln, in diesem Fall die Rede an die Nation während der Pandemie.

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In den ersten 20 Minuten des Films, während Angela vor Polizisten flüchtet und in eine Schlucht stürzt, wo sie auf andere maskierte Menschen trifft, verspürt man den dringenden Wunsch, sie möge das Plastikteil endlich abnehmen.

Die Abwesenheit mimischer Regungen erweist sich dann aber schnell als spannendes Experiment, als Meditation über die Zuschreibungen von Identitäten und öffentlich eingenommene Rollen – so wie die reale Angela Merkel ja stets eine Rolle zu spielen hatte und ihre private Identität sorgsam schützte, noch in diesen Tagen, wo sie als Co-Autorin ihrer Autobiografie vorübergehend auf die Bühnen dieser Welt zurückgekehrt ist.

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Die Angela des Film ist eine Fremde in der Welt, die sie betritt. Mit verletztem Bein und großer Mühe schafft sie den Weg aus der Schlucht, um sich plötzlich in einer Gruppe von Maskierten wiederzufinden, die tief im Wald ihr Lager aufgeschlagen hat.

Angela wird als Eindringling behandelt, vor allem von einer ebenfalls Merkel-Maske tragenden Bewohnerin schlägt ihr Misstrauen entgegen. Ist sie eine Spionin der Außenwelt, trägt sie ein Virus in die Gruppe ein, was führt sie im Schilde? Ratlos über das weitere Vorgehen schickt man sie zunächst in Quarantäne.

Aktivistin Angela auf der Flucht vor der ebenfalls maskierten Polizei.
Aktivistin Angela auf der Flucht vor der ebenfalls maskierten Polizei. © Filmgalerie 451 | Filmgalerie 451

Die Dynamik in dieser Gruppe, die nichts verändern, sondern sich abgrenzen will von konventionellen Lebensweisen, bildet das Kraftzentrum des Films. Angela entdeckt ihr Ritual, Kleider und Masken regelmäßig zu wechseln und so mit fluiden Identitäten zu leben.

Omer Fast, Professor für Film an der Hochschule für bildende Künste Hamburg, verschiebt seine Geschichte so vom symbolisch Politischen ins Ontologische: Was, wenn der Individualismus die Falle ist, aus der wir nicht entkommen? Ein offener, kluger, inspirierender Film.

Drama, Deutschland 2023, 121 min., von Omer Fast, mit Stephanie Amarell, Marie Tragousti, Ivy Lissack