Gelsenkirchen. Welch feuriger Auftakt! Rammstein ließ es am Freitagabend beim ersten von fünf Konzerten in der Schalker Arena gehörig zündeln und krachen.
Würde der römische Feuergott Vulcanus in diesem Musik-Sommer vom Himmel herabsteigen, hätte er ganz sicher ein Rammstein-Fanshirt übergestreift. Keine andere Band im irdischen Alltag fackelt derart konsequent ihre eigene Bühne ab, bei niemand anderem brennen Herzen und Hirne der Gefolgschaft so lichterloh. Zu sehen und zu spüren war das gleich am ersten von insgesamt fünf Konzertabenden in der Schalker Arena. Die stand emotional gleich zum Auftakt in Vollbrand. Willkommen, ihr Massen, im Circus Flammicus.
Sänger Till Lindemann erscheint erst nach einem ersten Knalleffekt auf der Bühne
Es ist 20.38 Uhr, als die Band zu Fanfarenklängen in einem offenen Lastenzug den stählernen Turm hinuntergeschwebt kommt, der in der Mitte des gigantischen Bühnenaufbaus thront. Die fünf Musiker steigen aus und nehmen ihre Plätze ein. Nur einer fehlt noch: Sänger Till Lindemann. Der taucht nach einem ersten blendenden Knalleffekt wie von Geisterhand herbeigezaubert aus dem Boden auf. Es dauert keine zehn Sekunden, schon nähert sich die Betriebstemperatur in der brodelnden Menge zu seinen Füßen dem Siedepunkt.
Hitzig waren auch die Diskussionen, die im Vorjahr um Lindemann entbrannt waren: Mehrere junge Frauen hatten schwere Vorwürfe gegen den Frontmann von Deutschlands heißestem Musik-Exportschlager erhoben. Von Übergriffen und sexueller Ausbeutung war in den Anschuldigungen die Rede. Die zuständige Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen auf - stellte diese im August 2023 aber wieder ein. Zur Erhebung einer Anklage hatte die Beweislage nicht ausgereicht. Der Ruf Lindemanns hatte dennoch in Teilen der Öffentlichkeit nicht nur Kratzer, sondern tiefe Schrammen abbekommen. An der Nibelungentreue der eigenen Anhängerschaft konnte das aber nichts ändern. Sie verteidigte ihr Idol. Wenn es nötig war, auch mit Zähnen und Klauen.
Brettharter Sound ließ die Tribünensitze in der Schalker Arena vibrieren
Vielleicht ist auch deshalb der Jubel so ohrenbetäubend, als die letzten Takte des Einstiegssongs „Ramm4“ verklungen sind. Noch lauter ist nur der folgende, brettharte Sound. Bei „Links 2-3-4“ vibrieren die fest verschraubten Tribünensitze, beben die stählernen Brüstungen. Trotz der immensen Lautstärke ist der Sound satt und klar. Die Tontechnik, und das war in der Arena in der Vergangenheit bei Konzerten nicht immer der Fall, leistet diesmal Maßarbeit.
Auffällig: Niemand aus der sechsköpfigen Formation richtet auch nur ein persönliches Wort ans Publikum. Aber was braucht es viele Worte, wenn solch irrwitzige Pyro-Effekte abgefeuert werden?!? Die Fäuste fliegen dazu synchron durch die Luft, alle singen aus voller Kehle einstimmig mit. Das Individuum verschwindet in der Masse. Und Lindemann, der mit seiner verschwitzt-verlaufenen Gesichtsschminke wie der ältere Cousin des Batman-Bösewichts Joker daherkommt, dirigiert dieses Meer aus Händen und erhitzten Körpern. Das alles wirkt bombastisch, brachial, berauschend. Aber auch irgendwie bedrohlich und beängstigend.
Die Flammenfontänen erreichen die Höhen eines Hochhauses
Die volle Dosis Hitze springt den über 55.000 Besuchern dann praktisch ins Gesicht, als mit „Sonne“ der reguläre Konzertteil endet. Denn es züngelt und flackert quasi überall in der Arena. Die Flammenfontänen erreichen Hochhaus-Dimensionen. Merke: Ein Rammstein-Konzert ist immer auch eine Ganzkörpererfahrung.
Einige Hits sparen sich die Brandstifter für die Zugaben auf. Etwa „Engel“, das auf einer kleineren Bühne mitten im Innenraum als abgespeckte Version nur mit Piano-Begleitung serviert wird. Oder „Du riechst so gut“. Zum Rausschmeißer-Stück „Adieu“ schießen Kanonen dann noch weißes Konfetti auf die immer noch voll entflammt mitgehenden Fans. Es sieht von oben aus betrachtet fast aus wie Löschschaum.
Und siehe da: Beim Abschied spricht Lindemann dann doch noch. Und sagt: „Gelsenkirchen, die Erste, ihr wart tadellos! Vielen, vielen Dank.“ Also Daumen nach oben vom Rammstein-Imperator für seine tapferen Gladiatoren im Circus Flammicus.
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