Hamburg. Die Woche mit Lanz: Warum es einen brisanten Schlagabtausch mit Markus Söder gab und wie der FC Chelsea entzaubert wurde.
Jahrelang wurde er nicht ernst genommen und zum Teil übel verspottet – jetzt hat Markus Lanz „die wirkungsvollste politische Bühne, die es im Fernsehen gibt“ (Giovanni di Lorenzo), wurde für seine Talksendung mit dem Deutschen Fernsehpreis in der Kategorie Information ausgezeichnet. Was ist da passiert? Wie hat Lanz es geschafft, aus seinen viel kritisierten Schwächen („er fällt seinen Gesprächspartnern immer ins Wort“) viel gelobte Stärken („endlich fragt mal einer nach!“) zu machen? Lars Haider will es, wie der Moderator, genau wissen und sieht sich deshalb ein halbes Jahr jede Sendung an.
15. März (Gäste: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, CSU, Politologin Daniela Schwarzer, Journalistin Katrin Eigendorf, Politologin Sabine Fischer und Ökonom Marcel Fratzscher)
Es gibt einen einfachen Trick, wenn man als Politiker zwar bei Markus Lanz zu Gast sein, die direkte Konfrontation aber vermeiden will: Man lässt sich zuschalten. Markus Söder macht das seit Langem so, und er weiß, warum. Denn in ihren Duellen schenken sich der bayerische Ministerpräsident und der Moderator normalerweise nichts, auch diesmal nicht.
Lanz konfrontiert Söder einen großen Teil der Sendezeit mit den engen Bindungen, die „gerade die CSU“ in der Vergangenheit zu Wladimir Putin gehabt habe, er blendet Bilder von Treffen des russischen Präsidenten mit Söders Amtsvorgängern Horst Seehofer und Edmund Stoiber ein, und er zitiert einen Satz des aktuellen Ministerpräsidenten vom 20. Januar: „Russland ist ein schwieriger Partner, aber kein Feind Europas“, hat Markus Söder damals gesagt. Der könnte jetzt einräumen, dass diese Worte und vieles mehr falsch gewesen seien, so wie es Wirtschaftswissenschaftler Marcel Fratzscher fordert, der es „verstörend findet, dass die Politik in Deutschland Fehler nicht eingesteht“.
Söder spricht zwar davon, dass „wir jetzt alle Ukrainer sind“, hält es aber für wichtig im „ureigensten europäischen und deutschen Interesse, mit Russland im Gespräch zu bleiben. Das ist nie falsch, und am Ende wird es irgendeine Form von Diplomatie wieder geben müssen.“
Lanz und Söder im Schlagabtausch aus der Ferne
„Nicht ablenken“, ruft Markus Lanz irgendwann dazwischen. Söder kontert aus München: „Herr Lanz, ich weiß schon, was ich sage, ähnlich wie Sie“, und attestiert dem Moderator einen „hohen Belastungseifer“, was die bayerischen Ministerpräsidenten angeht. Lanz fragt zum Verhältnis von Deutschland und Russland: „Stand die Wirtschaft über der Moral?“ Söder sagt: „Wir müssen immer beides im Blick haben, den Einsatz für unsere Werte genauso wie Millionen Arbeitsplätze.“
Und: „Es wird nicht lange dauern, dass sehr viele Deutsche, die jetzt bereit sind, an allem mitzuwirken, skeptisch sind, ob und wie das funktionieren soll.“ Lanz wirft Bayern vor, besonders von russischen Rohstoffen wie Gas, Öl und Kohle abhängig zu sein und zu wenig für den Aufbau erneuerbarer Energien getan zu haben, Söder schießt zurück, dass sein Land eigentlich überall das beste sei, außer bei der Windkraft. Und dann geht es richtig ab:
Wie die Diskussion eskalierte
Lanz: „Ich bin immer wieder baff erstaunt, was Sie für ein brillanter Verkäufer von Politik sind. Sie sagen, dass Sie bei erneuerbaren Energien auf allen Positionen die Nummer eins sind, bei Windkraft die Nummer acht. Ich habe mir das mal genauer angesehen, und man wird auch schnell fündig. Sie argumentieren immer mit den absoluten Zahlen … Wenn man sich die relativen Zahlen anschaut, sieht die Welt völlig anders aus. … Sie sind insgesamt ungefähr auf Platz sieben, so großartig läuft es nicht bei Ihnen.“
Söder: „Sie suchen sich aber auch jede Statistik so aus, dass sie in Ihre Argumentation passt.“
Lanz: „Ich lerne von den Besten.“
Söder: „Ich bin auch immer beeindruckt, was Sie für ein Verkäufer Ihrer eigenen Argumentation sind. Es beeindruckt mich nicht. … Ich kann ja nun mal nichts dafür, dass wir an vielen Stellen gar nicht so schlecht sind, auch wenn es dem einen oder anderen nicht so gefällt.“
Lanz: „Wir diskutieren das bei nächster Gelegenheit mal bitte hier im Studio aus. Ich würde mich sehr freuen, wenn wir von Angesicht zu Angesicht …“
Söder: „… ich freue mich auf die neuen Statistiken, die Sie dann präsentieren, und wie es dann doch gelingt, Bayern auf den letzten Platz zu rechnen. Viel Erfolg.“
Lanz: „Und schon wieder dreht er mir alles um …“
16. März (Gäste: Autor Dietrich Schulze-Marmeling, Ex-Fußballprofi Sebastian Kneißl und Journalistin Diana Zimmermann)
Heute hat Markus Lanz Geburtstag, er wird 53 Jahre alt, aber das Geschenk einer früheren Sendezeit macht ihm das ZDF nicht. Der Talk beginnt einmal mehr um Mitternacht, direkt nach der Fußball-Champions-League, in der gerade der FC Chelsea den Einzug ins Viertelfinale geschafft hat. Und der Verein ist auch die Verbindung zum Krieg in der Ukraine: Chelsea gehört dem russischen Oligarchen Roman Abramowitsch, der das Geld, mit dem er den Club einst gekauft hat, Wladimir Putin zu verdanken hat.
Was den Fans offensichtlich lange egal war: „Hat sich wirklich jemand dafür interessiert, als Abramowitsch Chelsea übernommen hat?“, fragt Jürgen Klopp, Trainer von Liverpool, in einem kurzen Einspieler und fügt hinzu: „Ich denke, es ist offensichtlich, wo das Geld herkommt.“ Nur habe das jahrelang niemand hinterfragt, sagt Diana Zimmermann. Für die London-Korrespondentin des ZDF ist die Hatz des Westens auf die Oligarchen in Putins Umfeld „ein Schaulauf“, der Profisport im Westen habe das „schmutzige Geld“ gern genommen.
So entstand, wie bei den Energielieferungen der Europäischen Union, eine Abhängigkeit von Russland, die sich durch den Krieg in der Ukraine ändert, das Grundproblem aber nicht löst. Abramowitsch will, nein, er muss Chelsea verkaufen, die Sanktionen Großbritanniens treffen ihn so hart, dass er in London nicht einmal mehr eine Putzfrau bezahlen könnte. Angeblich gibt es auch einen Interessenten für den aktuellen Champions-League-Sieger, er soll aus Saudi-Arabien kommen, „wo gerade an einem Tag 81 Menschen hingerichtet worden sind“, so Lanz. „Der Fußball“, sagt Dietrich Schulze-Marmeling, „hat die Türen für Autokraten und Diktatoren weit geöffnet.“
17. März (Gäste: Politikerinnen Svenja Schulze, SPD, und Serap Güler, CDU, sowie Soziologe Gerald Knaus, Ökonom Vincent Stamer und ZDF-Korrespondent Ulf Röller)
Wer als Politiker zu Markus Lanz geht, müsste inzwischen wissen, dass er mit ausweichenden Antworten auf Fragen nicht durchkommt. Svenja Schulze versucht es trotzdem. Die Bundesministerin für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit ist wenige Stunden nach der Rede von Wolodymyr Selenskyj im Deutschen Bundestag in der Sendung. Der ukrainische Präsident war live aus dem Kriegsgebiet zugeschaltet, er bedankte sich bei den Deutschen, kritisierte sie aber auch hart: „Sie sind durch eine Art Mauer von uns getrennt. Es ist keine Berliner Mauer, es ist eine Mauer zwischen Freiheit und Unfreiheit. Und diese Mauer wird größer mit jeder Bombe, die auf die Ukraine fällt, mit jeder nicht getroffenen Entscheidung … Lieber Herr Bundeskanzler Scholz, zerstören Sie diese Mauer.“
Lanz sieht sich mit seinen Gästen diese Sequenz an und sagt: „Frau Schulze, er hat Olaf Scholz persönlich angesprochen. Und was nicht nur ich mich gefragt habe: Warum steht Olaf Scholz nicht auf und antwortet?“
Der Bundestag hatte auf Selenskyjs Rede mit langem Applaus reagiert, war dann aber zur Tagesordnung übergegangen, auf der die Einführung einer allgemeinen Corona-Impflicht für Deutschland stand.
Schulze sagt: „Das ist eine Entscheidung des Parlaments. Wir haben Diskussionen über die Ukraine geführt, am Abend davor …“
Lanz: „Ja, warum?“
Schulze: „Das entscheidet nicht die Bundesregierung.“
Lanz: „Fanden Sie das gut?“
Schulze: „Olaf Scholz steht dauernd in Kontakt mit Selenskyj. Er tut alles, was er kann, um Putin wieder an den Verhandlungstisch zu bekommen.“
Lanz: „Das ist nicht die Antwort auf die Frage.“
Schulze: „Ich bin froh, dass Selenskyj in einem Deutschen Bundestag sprechen kann … Dass wir überhaupt die Möglichkeit haben, einem anderen Staatspräsidenten in unser Parlament zu schalten, ihm mal zuzuhören. Ein Parlament muss auch zuhören können.“
Lanz: „Und dann debattieren Sie über Impfpflicht, als wäre nichts gewesen. Finden Sie das gut?“
Schulze: „Ich finde es gut, dass ein Deutscher Bundestag zuhört und dass wir dann handeln … Zentral ist für mich nicht, dass eine Debatte stattfindet, das sind doch alles Kinkerlitzchen. Zentral ist, dass diesen Frauen und Kindern geholfen wird.“
Lanz: „Sie nennen das Kinkerlitzchen?“
Schulze: „Das, was Sie jetzt hier mit mir machen, dieses Spiel, muss man direkt reden oder nicht, sind Kinkerlitzchen. Was wir tun müssen, ist helfen. Helfen, dass dieser Krieg beendet wird.“
Lanz spricht über die „seltsame Energiepolitik der SPD“ in der Vergangenheit, über Nord Stream 2 und die Nähe von Gerhard Schröder zu Wladimir Putin und will wissen, ob es nicht spätestens heute im Bundestag an der Zeit gewesen wäre, mit den Fehlern und Versäumnissen aufzuräumen. Der Dialog wird hitziger, und Schulze wirkt zwischenzeitlich, als sei ihr die Verteidigung der SPD und der Regierung wichtiger als die Verteidigung der Ukraine und der Freiheit.
Lanz: „Wenn man sagt, dass die Grenzen der SPD zur russischen Energiewirtschaft fließend waren, muss man sagen, das ist eine Übertreibung. Es gab schlicht keine.“
Schulze: „Das ist eine Unverschämtheit. Das weise ich auch in aller Deutlichkeit zurück.“ (…)
Lanz: „Niemand in der SPD hat das kommen sehen, was da jetzt passiert. Aber wäre jetzt nicht der Moment, sich mal ehrlich zu machen? War das nicht genau die verpasste Gelegenheit, heute im Bundestag mal darüber zu reden? ,Herr Selenskyj, wir haben Ihnen zugehört, und wir haben große Fehler gemacht.‘“