Hamburg. Für den Hamburger Verlag ist Homeoffice während der Pandemie selbstverständlich geworden. Ein Gespräch mit Firmenchefin Jäkel.

Der Sitz des Verlagshauses Gruner + Jahr („Stern“, „Brigitte“, „Schöner Wohnen“) gehört zu den imposantesten Bauten am Hamburger Hafen. Doch im Moment ist die riesige Immobilie so gut wie leer. Gruner hat seine rund 2200 Mitarbeiter ins Homeoffice geschickt, wo sie auch nach dem Ende der Pandemie bleiben können, wenn sie wollen.

Unternehmenschefin Julia Jäkel äußert im Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt wenig Verständnis für Firmen, die angesichts der aktuellen Lage nicht so viele Menschen wie möglich von zu Hause arbeiten lassen: „Wir befinden uns in einer Pandemie, und deshalb höre ich genau zu, was Wissenschaft und Politik raten. Wir wollen als Unternehmen unseren Beitrag dazu leisten, dass wir diese Phase möglichst schnell hinter uns lassen können.“

Hamburger Abendblatt: Ich erlebe derzeit in Gesprächen zwei Sorten von Vorstandsvorsitzenden: Die einen sind überrascht, wie gut Homeoffice funktioniert und können nicht genug davon kriegen, die anderen hassen es. Zu welcher Gruppe gehören Sie?

Julia Jäkel: Ich schätze den Gewinn an Freiheit durch das Homeoffice und möchte die Vorteile gern festhalten. Gleichzeitig sehne ich mich nach persönlichen Kontakten und Interaktionen. Ich gehöre wohl zu keiner der beiden Gruppen so richtig.

Wie funktioniert Homeoffice bei Gruner + Jahr?

Jäkel: Wir waren angesichts unserer Neubaupläne zum Glück weit fortgeschritten, was die Vorbereitungen für neues, auch mobiles Arbeiten anging. Wir hatten uns deutlich vor der Pandemie zum Beispiel von unseren Festnetztelefonen getrennt, was damals ein hoch emotionales Thema war. Heute fragt man sich: Wofür haben wir diese grauen Dinger überhaupt gebraucht? Die Gedanken, die wir uns über die Art und Weise gemacht haben, wie wir künftig in unserem neuen Gebäude in der HafenCity arbeiten wollen, haben uns bei der Umstellung auf mobiles Arbeiten in der Pandemie sehr geholfen.

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Ist das Unternehmen komplett im Homeoffice?

Jäkel: Ja, fast komplett. Wir geben denjenigen die Möglichkeit, im Büro zu arbeiten, denen das zu Hause schwerfällt, aus privaten Gründen oder weil sich das Umfeld dazu nicht eignet. Ich finde es grundsätzlich sehr richtig und wichtig, dass die große Mehrheit jetzt zu Hause bleibt. Wir befinden uns in einer Pandemie, und deshalb höre ich genau zu, was Wissenschaft und Politik raten. Wir wollen als Unternehmen unseren Beitrag dazu leisten, dass wir diese Phase möglichst schnell hinter uns lassen können. Und ich glaube, dass die Pandemie eine Zeit ist, in der die Mitarbeiter genau spüren, wie sich ihr Unternehmen verhält. Das führt entweder zu einer noch tieferen Bindung – oder eben zum Gegenteil.

Es gibt Chefredakteure, die es für unmöglich halten, eine Zeitung, und sei es nur eine wöchentlich erscheinende, aus dem Homeoffice heraus zu machen. Wie funktioniert das beim „Stern“?

Jäkel: Bei uns funktioniert das sehr gut, und das hat viel mit dem Vertrauen zu tun, das ein Chefredakteur oder eine Chefredakteurin oder auch jede andere Führungskraft in die eigene Mannschaft hat. Und es hat etwas damit zu tun, ob man Leistung über das Ergebnis einer Arbeit oder über ihr Zustandekommen definiert. Je mehr man den Kolleginnen und Kollegen vertraut, desto mehr stärkt man sie. Dass Journalismus auf Dauer auch das gemeinsame Wirbeln wieder braucht, ist doch vollkommen klar. Ich glaube aber, dass die Veränderungen, die wir gerade notgedrungen erleben, unsere Arbeitswelt menschlicher machen können. Und wenn das Arbeiten menschlicher wird, werden wir alle auch produktiver und zufriedener werden. Ich persönlich empfinde es als großen Gewinn in meinem Leben, mit meinen Kindern manchmal Mittagessen zu können und trotzdem effizient zu arbeiten.

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Was halten Sie von Homeoffice-Regeln?

Jäkel: Wir haben bei Gruner + Jahr das mobile Arbeiten und das Arbeiten im Büro als gleichwertig definiert und wollen nicht das eine gegen das andere ausspielen.  Wir nennen es bewusst mobiles Arbeiten, weil es uns egal ist, ob die Kollegen zu Hause sitzen oder in einem Park unter einem Baum. Die Leute sollen dort arbeiten, wo sie am besten arbeiten können. Wir haben davon abgesehen, für den ganzen Verlag detaillierte Regeln vorzugeben, das soll in den Teams entschieden werden. Übrigens wird auch die Anforderung an die Attraktivität der Büros steigen, sie müssen einen Magnetismus ausstrahlen. Zum Glück haben wir mit unserem Neubau alle Möglichkeiten dazu.

Die Mitarbeiter bei Gruner + Jahr sind im Schnitt 39 Jahre alt, mehr als die Hälfte sind Frauen. Wie stark trifft es die vielen jungen Leute, dass die Schulpflicht in Hamburg gerade aufgehoben ist und der Senat darum bittet, dass Eltern ihre Kinder möglichst zu Hause behalten?

Jäkel: Ich habe in den vergangenen Monaten die Hamburger Politik als sehr stark, klar und sich kümmernd empfunden. Umso trauriger bin ich, was im Moment an den Schulen passiert. Wir sind bei Gruner + Jahr davon abhängig, dass unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stabil arbeiten können, und dazu gehört die Betreuung ihrer Kinder durch die Schulen. Umso schwerer trifft es uns, dass zum Beispiel die digitale Infrastruktur dort so häufig nicht funktioniert, obwohl sich viele einzelne Direktoren und Lehrer schier Arme und Beine ausreißen. Es ist bedauerlich zu sehen, wie schlecht Schulen immer noch ausgestattet sind. Man hätte die vergangenen Monate besser nutzen müssen, um auf digitalen Unterricht vorbereitet zu sein. Ich habe wirklich großen Respekt vor der Komplexität von politischem Handeln, aber das hat man leider versäumt. Wir haben deshalb als Unternehmen beschlossen, umfassender als gesetzlich vorgesehen zu helfen. Bei den Kolleginnen und Kollegen, die aufgrund besonderer Umstände in diesem Lockdown ausnahmsweise nicht arbeiten können, etwa weil sie allein kleine Kinder betreuen, verzichten wir auf formale Nachweise. Es gibt trotzdem volles Gehalt. Wir tun dies, weil wir unseren Leuten vertrauen. Wir haben mit diesem Vertrauen gute Erfahrungen gemacht.

Was wird bei Gruner + Jahr aus Geschäftsreisen?

Jäkel: Wir haben unsere Reisetätigkeiten schon vor der Pandemie hinterfragt, weil wir ein nachhaltig wirtschaftendes Unternehmen sein wollen. Ich werde nicht mehr für einen einstündigen Termin nach München fliegen und drei andere Termine drum herum bauen, damit es sich vermeintlich lohnt. Das war absurd. Wir werden sicher weiter reisen, um Menschen zu treffen, Umgebungen zu entdecken, Zusammenhänge zu verstehen. Für unsere Redakteurinnen und Redakteure gilt das umso mehr, sie müssen raus, das erwarten die vielen Menschen, die dem Journalismus in dieser Krise so viel Vertrauen schenken. Aber Geschäftsreisen als Statussymbol, das ist vorbei.