Hamburg. Zweiter Teil der Serie über den Unternehmer: Ein Sonnabend im November 1987 führt zu einer folgenreichen Entscheidung von Dümmel.
An einem Sonnabend, Mitte November, als der Regen auf das Vordach prasselt und von dort wie ein Vorhang in das Blumenbeet rinnt, tritt Ralf Dümmel aus dem Haus seiner Eltern, schlägt den Jackenkragen hoch und läuft zu seinem weißen Fiat. 20 Meter sind es bis zum Parkplatz. Als er nass vom Regen ins Auto steigt und den Motor startet, beschlagen die Scheiben. Mit klammen Fingern sucht er im Handschuhfach nach der Tüte Fisherman‘s Friend Cherry.
Im Auto ist es kalt, es dauert immer, bis die Heizung anspringt. 17 Minuten sind es von Wahlstedt nach Bebensee. Er schiebt eine Kassette in den Rekorder. Es sind die BeeGees, „You Win Again“. Die Aufnahme ist schlecht, er hat das Lied aus dem Radio aufgenommen. Er mag den Song, hört ihn immer und immer wieder. Auf dem Rücksitz liegt ein kleines Geschenk. An diesem Tag im November 1987 wird sich sein Leben verändern. Doch das weiß Ralf Dümmel nicht. Noch nicht.
Wichtiger Termin für Ralf Dümmel
Er hat sich heute extra freigenommen. Sonst muss er sonnabends meistens arbeiten. Er ist Assistent der Verkaufsleitung bei Möbel Kraft in Bad Segeberg, seit ein paar Monaten fertig mit der Ausbildung. Er mag seinen Job, ist stolz darauf. Vor ein paar Wochen hat er ein Funkgerät bekommen, es ist orange. Damit können ihn die anderen im Haus anfunken. Wenn er mit dem Gerät am Gürtel durch das Haus läuft, so, dass es alle sehen können, hat er das Gefühl, es geschafft zu haben. Angekommen zu sein. Hier wollte er immer hin.
Der Termin heute ist ihm wichtig. Dani hat ihn eingeladen. Es ist ihr Geburtstag. Sie wird heute 10 Jahre alt. Ralf ist 21, in drei Wochen wird er 22. Er hat einen guten Draht zu Dani. Seine Freundin passt abends manchmal auf sie auf. Meistens kommt Ralf dann mit.
Vor dem Haus hängt eine Traube aus bunten Luftballons. Der Keller ist aufwendig geschmückt. An der Holzverkleidung kleben Girlanden, überall sind Luftschlangen. Auf dem Tisch stehen Chips und Gummibärchen, ein Geburtstagskuchen mit zehn Kerzen. Die Mädchen tanzen. Für Topfschlagen sind sie zu alt. Ralf schenkt Limonade aus, bringt leere Flaschen weg. Er ist zum Helfen gekommen.
Handelsunternehmen für Haushaltshelfer und Gesundheitsartikel
Alles ist perfekt organisiert. Danis Mutter Edith hat tagelang geplant. Trotzdem: Irgendetwas stimmt nicht. Das merkt Ralf Dümmel sofort. Edith Schwarz blickt immer wieder auf ihre Armbanduhr. Sie wartet auf ihren Mann, Dieter Schwarz. Er wollte um 15 Uhr zu Hause sein, tut alles für seine Tochter. Doch es wird 16 Uhr, dann 17 Uhr. Total untypisch für ihn, an einem Tag wie heute die Familie warten zu lassen.
Dieter Schwarz leitet ein Handelsunternehmen für Haushaltshelfer und Gesundheitsartikel. DS Produkte, benannt nach seinen Initialen. Das Unternehmen beliefert Versandhäuser wie Quelle, Neckermann, Otto, Bader und Klingel. Der Jahresumsatz liegt bei drei Millionen D-Mark.
Worum es in der Sendung "Die Höhle der Löwen" geht:
- Es ist eine der erfolgreichsten Sendungen im deutschen Fernsehen. Seit „Die Höhle der Löwen“ 2014 erstmals ausgestrahlt wurde, erreicht die Gründershow auf VOX regelmäßig die Quotenmarktführerschaft in der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen.
- „Die Höhle der Löwen“ basiert auf dem britischen TV-Format „Dragons‘ Den“.In der Show haben Gründer die Möglichkeit, ihr Geschäftsmodell oder ihre Erfindung erfolgreichen Unternehmern (den „Löwen“) zu präsentieren und bei ihnen um eine Investition zu werben. Es war die erste Gründershow im deutschen Fernsehen und ist bis heute die erfolgreichste. Dabei wollte das Format zunächst niemand haben.
- Als Astrid Quentell, die Chefin der Sony Pictures Film und Fernseh Produktions GmbH, hierzulande eine Adaption des britischen Erfolgsformats „Dragons‘ Den“ produzieren wollte, glaubte zunächst niemand an den Erfolg der Wirtschaftssendung. Fünf Jahre lang präsentierte sie das Konzept verschiedenen Fernsehsendern – bis VOX schließlich zusagte.
- Im Herbst 2014 ging „Die Höhle der Löwen“ erstmals auf Sendung. Inzwischen läuft bereits die achte Staffel des Erfolgsformats – montags um 20.15 Uhr auf VOX.
- Neu im Löwenrudel ist in diesem Jahr der ehemalige Formel-1-Weltmeister Nico Rosberg, der den Platz des IT-Experten Frank Thelen eingenommen hat.
- Ralf Dümmel gehört seit 2016 zu den Investoren. Bei seinem Einstieg war er nahezu unbekannt. Im Internet existierte zu dieser Zeit nur ein einziges Foto von ihm – zusammen mit Vitali und Wladimir Klitschko.
- Als Dümmel zusammen mit Carsten Maschmeyer als Investor vorgestellt wurde, sprachen manche nur von „Maschmeyer und dem anderen“. Inzwischen ist Ralf Dümmel zum Publikumsliebling avanciert – und für viele der„Der König der Löwen“. (nik)
Es ist kurz nach 18 Uhr, als Dieter Schwarz nach Hause kommt. Die Kinder sind gerade beim Abendessen, begrüßen ihn begeistert. Alle mögen ihn. Er ist ein cooler Typ, finden Danis Freunde. Wenn die Schulklasse Ausflüge macht, kommt er oft mit. Er hat einen guten Draht zu den Kindern, kennt alle Freunde mit Namen. Er macht Scherze, bewundert die Geschenke. Dann schnappt er sich ein Würstchen vom Büfett und geht mit seiner Frau nach oben. Als Ralf Dümmel ein paar leere Schüsseln aus dem Keller nach oben bringen will, hört er Stimmen aus der Küche.„Warum kommst du erst jetzt?“, fragt Edith. Sie klingt besorgt. „Der Junge ist abgesprungen“, sagt Dieter Schwarz.
Dieter Schwarz möchte etwas besprechen
Mehr braucht Ralf Dümmel nicht zu hören. Er weiß sofort, um wen es geht. Diesen Typen, den Dieter Schwarz zu seinem Nachfolger aufbauen wollte. In den vergangenen Wochen hat er beim Einhüten immer wieder gehört, wie Dieter Schwarz von diesem jungen Mitarbeiter geschwärmt hat. Welche Hoffnungen er in ihn gesetzt hat.
Die Stimmen werden leiser, Dümmel kann nur noch Bruchstücke verstehen: „Hab so viel Kraft reingesteckt ... ausgerechnet am Geburtstag von Dani … Wäre so gerne schon früher gekommen und hätte mit euch gefeiert.“ Ralf Dümmel will gerade zurück in den Keller, als er einen letzten Satz hört: „Das war‘s – jetzt hole ich mir einen Externen.“ Zwei Wochen nach dem 10. Geburtstag seiner Tochter, am Tag vor dem 1. Advent, greift Dieter Schwarz zum Telefon und wählt eine Nummer. Er hat dort noch nie angerufen, aber jetzt muss er es tun.
15,5 Kilometer entfernt klingelt im Flur eines Reihenhauses ein grünes Telefon mit Wählscheibe. Ein-, zwei-, dreimal. Dann wird abgehoben. Dieter Schwarz erkennt die Stimme, bevor er den Namen hört. „Hier ist Ralf Dümmel.“ Als sich Dieter Schwarz meldet, ist Dümmel irritiert. Er kann sich nicht vorstellen, was Danis Vater von ihm will. Wenn jemand einhüten soll, rufen sie immer bei seiner Freundin an, nie bei ihm.
„Ich möchte etwas besprechen“, sagt Dieter Schwarz und fragt Ralf Dümmel, ob er vorbeikommen könne. Am liebsten heute noch. Völlig perplex sagt Dümmel zu, natürlich, ja, kein Problem. Nach dem Grund fragt er nicht. Aber er stellt sich die Frage selbst auf der Fahrt, immer wieder.
Noch hat der Firmenchef Zweifel, ob Ralf Dümmel der Richtige ist
Er weiß nicht, ahnt nicht, dass Dieter Schwarz in den letzten Wochen ein Vorstellungsgespräch mit ihm geführt hat. Edith hat ihn auf die Idee gebracht, Ralf zu seinem Nachfolger auszubilden. Sie hat ein gutes Gespür für Menschen. Sie glaubt, dass Ralf der Richtige sein könnte. Doch der Firmenchef hat Zweifel, Vorbehalte gegenüber diesem jungen Burschen, den er eigentlich gar nicht kennt. Nur von ein paar unverfänglichen Gesprächen. Aber reicht das, um ihn in die Firma aufzunehmen, irgendwann zu seinem Nachfolger zu machen?
Dümmel liefert Dieter Schwarz die Antwort, ohne es selbst zu wissen. Er überzeugt ihn mit seiner Euphorie, seiner Leidenschaft. Wenn Ralf von seinem Job bei Möbel Kraft spricht, redet er nicht. Er schwärmt, begeistert sich. Er mag die Arbeit, die Kunden und die Kollegen. Er mag die Verantwortung und den großen Schlüsselbund, mit dem er abends abschließen darf.
Meinung der Eltern ist Ralf Dümmel wichtig
Weggehen? Neu anfangen? Das kann sich Ralf Dümmel nicht vorstellen. Als Dieter Schwarz ihm ein Jobangebot macht, bittet Dümmel um Bedenkzeit. Er überlegt hin und her. Schwankt. Manchmal hat er das Gefühl, es einfach wagen zu wollen – dann wieder will er es auf keinen Fall.
Irgendwann, als er auf dem Weg zu seiner Freundin ist, hält er spontan an einem Waldstück zwischen Leezen und Bebensee. Er will spazieren gehen, den Kopf frei bekommen. Und eine Entscheidung treffen. Hier und jetzt. Er war noch nie der Typ, der sich mit einem Zettel hinsetzt und eine Pro-und-Kontra-Liste erstellt. Es ist kalt an diesem Tag, das Laub unter den Füßen ist gefroren und knistert bei jedem Schritt. Je länger er durch den Wald stapft, umso klarer wird ihm eins: Er will lieber einen Fehler machen und diesen vielleicht bereuen – als sich sein Leben lang zu fragen, was er verpasst hat.
Lesen Sie hier den ersten Teil der Serie
Noch am selben Abend, wenige Tage nachdem er 22 Jahre alt geworden ist, spricht er mit seinen Eltern. Ohne ihre Zustimmung will er es nicht machen. Zu wichtig ist ihm ihre Meinung, ihre Anerkennung. Vor allem die seines Vaters Norfried, der selbst bei Möbel Kraft arbeitet. Der morgens immer so früh aus dem Haus geht und abends so spät wiederkommt, dass Ralf Dümmel als Kind dachte, ihm gehöre das Möbelhaus. Erst Jahre später hat er erfahren, dass sein Vater der Leiter des Lagers war. An seiner Bewunderung für seinen „Vadder“ hat das nichts geändert.
Wenn man Ralf Dümmel fragt, wo er sich in 20, 30 oder 40 Jahren sieht, sagt er immer das Gleiche. Bei Möbel Kraft. Von Kollegen hört sein Vater, dass der Ralf eine große Zukunft im Möbelhaus vor sich hat. Das alles aufgeben? Für einen Job in einer kleinen Klitsche mit gerade mal zehn Mitarbeitern? Das ist für den Vater unvorstellbar.
Der Job soll ihn reizen – nicht das Gehalt
Ralf Dümmel verdient 3000 D-Mark. Viel Geld für ihn. Er hat sich gerade einen weißen Fiat Uno mit 45 PS gekauft und muss ihn noch abbezahlen. 11.500 D-Mark, 1,9 Prozent effektiver Jahreszins. Dieter Schwarz lockt ihn nicht mit Geld. Er will, dass Ralf sich frei entscheidet. Dass ihn der Job reizt – und nicht das Gehalt.
Als Ralf Dümmel seine Eltern bittet, mit ihm zu Dieter Schwarz zu fahren, weiß er selbst nicht genau, was das Unternehmen macht. Er weiß nur, dass Schwarz Waren importiert und an Versandhäuser verkauft. Die Produkte überzeugen ihn nicht. Aber Dieter Schwarz tut es. Der Mann reißt ihn mit, fasziniert ihn. Er, der im Zweiten Weltkrieg mit seiner Mutter aus Ostpreußen fliehen musste. Der ohne Vater aufwuchs und daher selbst total als Vater aufging. Der irgendwann damit begann, Produkte zu kaufen, in seiner Garage einzulagern und von dort zu vertreiben.
Dieter Schwarz brennt für DS Produkte, er lebt dafür. Instinktiv spürt Dümmel, dass es da mehr geben muss als Hammerzeh-Korrekturhilfen, Nähgarn und aufblasbare Kleiderbügel. Und er spürt, dass Dieter Schwarz wie er selbst ist.
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Es ist einer der letzten Tage des Jahres 1987, als Ralf mit seinen Eltern in den grünen Audi 80 der Familie steigt und mit ihnen zu Dieter Schwarz fährt. Man begrüßt sich, tauscht Floskeln aus. Dann zieht sich Dieter Schwarz mit Norfried Dümmel in das Kaminzimmer zurück, Edith Schwarz und Elke Dümmel verschwinden in der Küche. Ralf bleibt allein zurück, weiß nicht, wo er hingehen soll. Ziellos läuft er durch das Haus. Er setzt sich überall mal dazu – und gehört doch nirgendwo hin. Das Gespräch dauert vier Stunden.
Um 21.30 Uhr verabschieden sich die Dümmels und steigen in ihr Auto. Ralf hinten, die Eltern vorne. Norfried Dümmel fährt. Ein paar Meter nur, dann stoppt er plötzlich. Er sucht den Blick seines Sohnes im Rückspiegel, dann dreht er sich langsam um und guckt ihm in die Augen. „Ich würde es machen“, sagt er. Mehr nicht.
Das Magazin
Am 17. September bringt das Abendblatt ein Magazin über Ralf Dümmel in den Handel. Es kostet 9 Euro und ist auch im Abendblatt-Shop am Großen Burstah 18–32 sowie unter shop.abendblatt.de erhältlich. (Treuepreis für Abonnenten bei Kauf übers Abendblatt: 8 Euro).