Hamburg. Wer einen blauen Haken möchte oder verzweifelt ist, weil seine Followerzahl unter 100.000 gesunken ist, der ruft Heiko Hebig an.

Es ist das eingetreten, was viele Kritiker der sozialen Medien befürchteten: In Zeiten der Kontaktbeschränkungen in der realen Welt werden die digitalen Plattformen noch wichtiger. Einer der Wichtigsten in diesem Business kommt aus Hamburg: Heiko Hebig. Hier duzt man sich im Interview.

Hamburger Abendblatt: Du hilfst bekannten Menschen dabei, erfolgreich Instagram zu nutzen. Was ist das für ein Job?

Heiko Hebig: Am Anfang war ich der Erklärbär. Ich musste erst mal allen beibringen, wie Instagram funktioniert. Ich habe bestimmte Sätze so häufig gesagt, ich glaube, deshalb habe ich keine Haare mehr. Diese Arbeit trägt nun Früchte. Manchmal komme ich mir vor wie ein Psychologe. Der Job ist ein bisschen wie Arzt zu sein. Die Leute rufen selten an, um mir zu sagen: „Gestern war ein super Tag, ich hatte eine Million Likes!“ Sie kontaktieren mich eher dann, wenn es Probleme gibt, wenn die Followerzahl nicht wächst oder es Fragen gibt: „Bin ich gesund? Funktioniert der Algorithmus noch für meine Inhalte?“ Ich kümmere mich also eher um Herausforderungen als um Erfolgsgeschichten. Wie so oft im Leben: Der Erfolg wächst aus der eigenen Kreativität heraus, am Misserfolg haben andere Schuld.

Du?

Hebig: Hoffentlich nicht (lacht). Anhand einer Datenanalyse versuche ich den Menschen dann zu zeigen, dass ihre Befürchtung vielleicht gar nicht stimmt: „Du hast gar nicht Fieber, sondern nur leicht erhöhte Temperatur.“ In vielen Fällen erinnern sich Leute an wahnsinnig hohe Zahlen und denken dann, das sei der Regelfall: „Ich habe immer 50.000 Likes!“ Wenn ich mir das dann genau angucke, stelle ich fest, es gab nur an einem Tag im vergangenen Jahr 50.000 Likes, im Durchschnitt sind es weniger.

Aber du triffst nicht alle persönlich?

Hebig: Ich mache das ja schon acht Jahre lang, ich muss nicht mehr alle persönlich treffen. Manches geht auch über Telefonate, Videokonferenzen oder WhatsApp-Sprachnachrichten. Ich bin viel unterwegs in Europa, doch Deutschland ist aufgrund seiner Einwohnerzahl der mit Abstand wichtigste Markt für uns, hier verbringe ich 80 Prozent meiner Zeit. Gerade war ich aber auch in Polen, Österreich und den Niederlanden

Wie bist du zu Instagram gekommen?

Hebig: Es ist mir in den Schoß gefallen. Ich habe im Februar vor acht Jahren meinen Vertrag bei Facebook unterschrieben, sollte eigentlich etwas anderes machen. Zu Ostern kaufte Facebook dann Instagram für eine Milliarde Dollar. Als ich im Mai anfing, fragten viele: „Was habt ihr da gekauft für so viel Geld?“ Das Instagram-Kernteam hatte zu dem Zeitpunkt gerade mal 14 Mitarbeiter. Die konnten sich bei dem schnellen Wachstum sicher nicht noch um Anfragen aus Deutschland oder Südkorea kümmern. So wurde mein Team zu einer Art unfreiwilligem Außenminister von Instagram.

Wenn man von Facebook gekauft wird, fühlt sich das dann so an, als wolle einen der FC Bayern verpflichten?

Hebig: Ein großer Teil unseres Wachstums wäre nicht möglich gewesen, wenn Instagram nicht Teil der Family of Apps von Facebook wäre, in der es bereits Spezialisten für alle wichtigen Themen gab. Beim FC Bayern gibt es halt die besten Masseure, Trainer und alles, was man vielleicht nicht hat, wenn man in Pinneberg spielt. Wir arbeiten Plattform-übergreifend, haben beispielsweise inzwischen ein sehr großes gemeinsames Spam-Fighting-Team und Anti-Belästigungs-Team.

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    An welchem Punkt hast du gemerkt, dass Instagram ein Riesenerfolg werden wird?

    Hebig: Als ich gemerkt habe, dass immer mehr Menschen, mit denen ich gesprochen hatte, die App verwenden. Das war ein gutes Zeichen, dass die Leute es nicht nur verstanden hatten, sondern es ihnen anscheinend einen Mehrwert verschaffte.

    Über welchen Pionier hast du dich am meisten gefreut?

    Hebig: Am meisten gefreut habe ich mich über einige Nachzügler. Leute, die gemeint hatten, Social Media sei nichts für sie. Da habe ich grundsätzlich ja vollstes Verständnis. Als Dieter Bohlen aber im Juli 2018 Instagram dann doch für sich entdeckte, fand ich das großartig. Bohlen ist ein Prominenter, der auch über unser Land hinaus eine Strahlkraft besitzt.

    Gibt es noch Wunschkandidaten?

    Hebig: Ich glaube nicht. Sogar die Bundeskanzlerin, der Papst und das britische Königshaus sind inzwischen auf Insta­gram. Instagram ist in der Popkultur ange­kommen und akzeptiert, es gehört zum guten Ton, dort ein Profil zu haben.

    Woran misst du den Einfluss von Insta­gram?

    Hebig: Milliarden Menschen scheinen es irgendwie täglich zu brauchen. Aber Zahlen beweisen nicht alles. Meine Berufskrankheit besteht darin, an öffentlichen Plätzen zu gucken, was die Menschen im Flieger, im Bus, an der Kasse, in der U-Bahn auf ihren Smartphones machen. Unsere App erkenne ich auch aus der Entfernung, und je mehr Leute ich dabei beobachte, wie sie unsere App nutzen, desto sicherer bin ich über unseren kulturellen Impact.

    Wie schätzt du deine Macht ein? Du bist immerhin der Master der blauen Haken. Den bekommen besonders wichtige Personen.

    Hebig: Nein, nicht ich alleine entscheide darüber, ob jemand einen blauen Haken bekommt. Es gibt ein Team, das überprüft, ob ein Mensch gemäß unseren eigenen Regeln berechtigt ist, einen blauen Haken zu tragen. Er muss echt und prominent genug sein. Würden mich persönlich alle anschreiben, die einen blauen Haken wollen, dann gute Nacht.

    Was war ein Meilenstein in der Entwicklung? Die Umstellung vom chronologischen auf den gewichteten Feed?

    Hebig: Es gab viele wichtige Produktentwicklungen. Die Feedumstellung war einer dieser Momente, weil wir gemerkt hatten, dass die Leute viele Inhalte verpassen, weil sie nicht 24 Stunden auf Instagram sind. Das sollen sie auch nicht sein. Aber in den Minuten, in denen sie die App nutzen, sollen sie genau die Inhalte sehen, die für sie persönlich wichtig sind. Das Foto der Freundin im Urlaub etwa, oder als Beyoncé-Fan sollte der Post meines Stars möglichst weit oben sein und nicht durch die Zeitverschiebung mit den USA ganz weit unten.

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      Ihr macht gerade einen globalen, bahnbrechenden Test, in dem ihr bei einem Teil der User die Like-Anzahl für ihre Posts versteckt. Aber sind die Likes nicht maßgeblich für den Aufstieg der Plattform verantwortlich?

      Hebig: Sicher, deshalb handelt es sich bislang nur um einen Test. Du kannst die Like-Anzahl deiner Fotos auch selbst noch sehen, aber andere eben nicht mehr. Die allermeisten Nutzer bei Instagram sind eben nicht erfolgreiche Influencer wie Caro Daur. Dann fragt sich die Schülerin, warum hat mein Sitznachbar 13 Likes und ich keinen? Das führt zu Druck, den Social Media mit sich bringen kann. Wir haben uns die Frage gestellt, ob wir nicht auch einen gesellschaftlichen Auftrag haben, dem entgegenzusteuern? Müssen sich Menschen über Kennzahlen vergleichen? Deswegen testen wir das mit dem Ziel, dass weniger Stress dadurch entsteht. Das Liken an sich geht ja nicht weg, nur ist eben die Anzahl der Likes nicht mehr für jeden sichtbar. Das würde sicherlich ein Meilenstein werden, wenn es denn kommt.

      Welche Posts haben dich am meisten überrascht?

      Hebig: Mir fällt @­nikkitutorials ein, ein Mädchen mit 13,8 Millionen Followern, ein echter Make-up-Star aus den Niederlanden. Die hat plötzlich bekannt gegeben, in Wirklichkeit ein Mann zu sein und dass sie sich operieren lassen wird. Sie wurde erpresst, und um dem Erpresser zuvorzukommen, hat sie das Thema selbst öffentlich gemacht. Das war ein Post, der mich und viele andere Menschen überraschte. Besonders gefällt mir gerade die IGTV-Serie „Dumm gefragt“ von 1Live. Diese ist sehr unterhaltsam und gleichzeitig informativ und ein tolles Beispiel dafür, wie IGTV für längere Videoinhalte auf Instagram genutzt werden kann.

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      Du hast selbst auch einen sehr privaten Moment mit der Welt geteilt: „She said yes!“

      Hebig: Richtig, und ich freue mich privat auch am meisten, wenn meine Verlobte etwas postet. Persönliche Momente sind immer die, die die meisten Reaktionen hervorrufen. In den UK gab es eine Umfrage: „Wer ist deine beste Freundin?“ Da landeten viele bekannte Creators auf Platz 1 und 2. Darüber kann man sich jetzt natürlich wundern, aber ich kann es durchaus nachvollziehen, wenn ich versuche, mich in die Situation einiger Teens hineinzuversetzen.

      Du nennst dich auf einem deiner Profile „holistic life coach“, was soll das sein?

      Hebig: Dabei handelt es sich um einen alten Familienwitz. Mit meiner Schwester diskutiere ich gerne, welche Berufs­­bezeichnungen man sich aneignen kann ohne jede Ausbildung. Du darfst dich beispielsweise einfach so Stuntman nennen. Und gerade im Bereich Coaching gibt es viele mögliche Varianten.

      Wenn du nicht auf Instagram bist, spielst du Pokémon-Go. Bist du gut darin?

      Hebig: Das höchste Level ist 40, ich bin auf 37. Bei dem Spiel muss man virtuelle Güter in der echten Welt einsammeln mit seinem Handy. Je weiter weg du die von zu Hause einsammelst, desto mehr Punkte. Kritiker sagen ja, das Spiel sei schon längst wieder out. Dachte ich auch bis letzten Dezember. Dann hatte ich eine Dienstreise in die USA, und meine Verlobte bat mich, ihr aus San Francisco ein paar Pokémons mitzubringen. Also musste ich mir das Spiel runterladen und bin jetzt schwer abhängig.

      Wünschst du dir auch hierzulande mehr Spielraum? Du hast mal gepostet: „Deutschland in einem Wort: Datenschutzgrundverordnungsabmahngefahr.“

      Hebig: Ich wünsche mir in Deutschland mehr positive Neugier an digitalen Themen. Es wird ja hier zuerst gefragt: Ist das schlecht? Fallen mir davon die Haare aus? Da sind andere Länder offener. Da fragt man sich eher: Verbessert das mein Leben? Muss ich deshalb weniger reisen? Durch unsere Einstellungen hängen wir in Deutschland in vielen Themen hinterher. Als ressourcenarmes Land sind wir meiner Ansicht nach angewiesen auf digitale Innovationen. Der gute Jan Böhmermann schlug vor, in Deutschland das Wort „Digitalisierung“ durch „Fortschritt“ zu ersetzen. Wir sollten die Chancen sehen.

      Liegt vielleicht auch daran, dass durch Apps wie Instagram Machtstrukturen durcheinandergebracht wurden. Früher entschied „Vogue“-Chefin Anna Wintour, was in ist. Heute entscheiden das Influencer.

      Hebig: Ich weiß noch, als ich damals bei Burda­ die Bloggerinnen neben die etablierten­ Modejournalistinnen gesetzt habe. Puh. Schreiben im Internet? Eine Meinung und Geschmack reichen jetzt, um über was zu berichten? Tja, aber auch der Buchdruck hat schon neue Wege geschaffen.

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      Du bist von der Verlagswelt (Burda, Spiegel) in ein sehr technologiegetriebenes Unternehmen gewechselt, was waren die größten Unterschiede?

      Hebig: Es hat Monate gebraucht, bis ich die interne Struktur nur ansatzweise durchdrungen habe. Warum sitze ich in diesem Meeting? Was machen die anderen Leute hier? Wieso darf ich was dazu sagen? Titel und Levels spielen hier keine Rolle. Die Meetings dauern immer nur eine halbe Stunde, das war bei meinen vorherigen Stationen deutlich anders, die interne Geschwindigkeit war für mich faszinierend. Das Unternehmen bewegt sich so schnell, deshalb ist mein Job auch nach acht Jahren noch nicht langweilig geworden. Wir arbeiten viel in sogenannten crossfunktionalen Prozessen. Ich versuche meinen Freunden immer vergeblich zu erklären, wie das abläuft. Ich bin meistens an fünf, sechs Projekten parallel beteiligt. Von außen fragt man sich, wie kann dieses Chaos denn überhaupt funktionieren? Tut es aber und gehört stark zu unserer Unternehmenskultur.

      Wie lange hält sich Instagram?

      Hebig: Ich habe schon viele Apps und Anwendungen kommen und gehen gesehen, insofern bin ich der Letzte, der behauptet: für immer. Aber einige der großen Plattformen halten sich jetzt eben doch bereits länger als zehn Jahre und das in einem Ökosystem, das nicht viel älter als 20 Jahre alt ist. Kann es übermorgen eine neue coole App geben? Bestimmt. Wenn wir hier einen guten Job machen, dann erkennen wir aber auch weiterhin aktuelle Trends und machen was draus. So ist zum Beispiel IGTV entstanden. Wir haben gesehen, dass unsere Community immer mehr Zeit mit dem Anschauen von Videos verbringt – vor allem im Vertikalformat.

      Was können soziale Medien in der ­Corona-Krise leisten?

      Hebig: Als Erstes helfen sie den Menschen, in dieser Zeit in Kontakt zu bleiben – sei es über Nachrichten, Videochats oder gemeinsame Aktionen. Unter dem Hashtag #launestattlagerkoller geben sich zum Beispiel Familien Tipps und Inspiration, was sie mit ihren Kindern auch zu Hause unternehmen können. Seien es Backrezepte, Bastel- oder Spielideen, die Community hält zusammen. Und der Berliner Personaltrainer Erik Jäger, bekannt als @hauptstadttrainer, bietet seiner Community einfache und kreative Home-Work-outs an. Darüber hinaus unterstützen wir die Kampagne #wirbleibenzuhause des Gesundheitsministeriums. Wir wollen ihr auf unseren Plattformen eine noch größere Bühne geben und besonders auf Risikogruppen aufmerksam machen. Gleichzeitig arbeiten wir und andere soziale­ Plattformen gemeinsam daran, Falschinformationen­ über das Corona­virus zu bekämpfen, offizielle Inhalte – zum Beispiel von der Weltgesundheitsorganisation oder lokalen Behörden – auf unseren Plattformen hervorzuheben und entscheidende Aktualisierungen in Koordination mit staatlichen Gesundheitsbehörden auf der ganzen Welt zu teilen. Auf unseren Facebook-Plattformen haben wir zum Beispiel Werbung verboten, die Panik auslösen oder implizieren soll, dass bestimmte Produkte eine Heilung garantieren oder Menschen vor der Ansteckung mit dem Coronavirus schützen.

      Ist die Krise die Chance der Kreativen?

      Hebig: Soziale Medien bieten den Menschen darüber hinaus die Möglichkeit, anderen in dieser Zeit zu helfen. Auf Instagram finden viele kleinere, lokale Unternehmen, die die aktuellen Entwicklungen besonders schwer treffen, kreative Lösungen oder rufen Aktionen ins Leben und halten ihre Communitys über die Plattform auf dem Laufenden. Dabei stehen Hashtags wie zum Beispiel #shoplocal oder #supportlocal im Mittelpunkt. Kleinere Unternehmen nutzen die Plattform, um auf geniale Work­arounds aufmerksam zu machen. Zum Beispiel mit 2gather.jetzt: Bei diesem gemeinnützigen Projekt versammeln sich kleine Unternehmen und Freiberufler online und unterstützen sich gegenseitig. Die Plattform bietet einen digitalen Raum für Ideen, die aktuelle Situation gemeinsam zu überstehen.

      Das ganze Interview lesen Sie im Magazin „Philipp – Volume 2“

      • „Philipp – Volume 2 – Platz für Neues“ erscheint – passend zum ursprünglichen Termin der OMR – als digitales E-Paper. Im Magazin begegnen die Leserinnen und Leser vielen inspirierenden Menschen der digitalen Welt: Von Philipp Wes­termeyer, Jan Delay, Fynn Kliemann über Scott Galloway bis hin zu Gwyneth Paltrow.
      • Das erste „Philipp“-Magazin im vergangenen Jahr war eine Kooperation von OMR und Hamburger Abendblatt. Chefredakteur Lars Haider hatte die Idee. In diesem Jahr sind die Kollegen vom Fachmagazin „Horizont“ auch mit dabei. Auch OMR und „Horizont“ bieten das Magazin zum Download an.

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