Hamburg. Thomas Roth moderiert Sonntag zum letzten Mal die Tagesthemen – der Reporter möchte künftig Privatmann sein.

Die dümmste Frage, die man Thomas Roth in den vergangenen drei Jahren stellen konnte, war die nach dem Traumjob. Sie ist ihm trotzdem immer und immer wieder gestellt worden, wahrscheinlich so oft wie keine andere: „Ist die Moderation der ,Tagesthemen‘ ihr Traumjob? Haben Sie darauf ihr Leben lang geantwortet?“ Roth hat die Frage, wie es seine Art ist, geduldig ertragen. Aber die Antwort war, bis zum Schluss, immer dieselbe: „Nein.“ Und das hätte man wissen können, selbst wenn man sich nur oberflächlich mit dem Menschen und dem TV-Journalisten beschäftigt hätte.

Roth ist Reporter, nicht „Mr. Tagesthemen“

Thomas Roth und die „Tagesthemen“. Das war, natürlich, am Ende doch die Krönung eines großen Journalistenlebens. Eben so, wie die Moderation der „Tagesthemen“ für jeden eine Ehre wäre. Etwas, das man nicht abschlägt, wenn es einem angeboten wird. Auch dann nicht, wenn man erstens weder damit gerechnet noch es sich besonders gewünscht hatte. So wie Roth, der von der per E-Mail vorgetragenen Bitte, die „Tagesthemen“ als Nachfolger von Tom Buhrow zu übernehmen, vielleicht am meisten überrascht war. Der Reporter Roth, dieser an sich ruhige, aber doch unstete, reiselustige Zeitgenosse, in einem Fernsehstudio im vergleichsweise beschaulichen Hamburg? Statt irgendwo auf Recherche in Südafrika, in Russland oder den USA? Das konnten und wollten sich vielleicht die Verantwortlichen der ARD vorstellen. Der Betroffene selbst musste sich an den Gedanken erst gewöhnen. Was vielleicht auch erklärt, dass er keine Angst vor der Zeit hat, die jetzt kommt, vor den Tagen nach den „Tagesthemen“: „Es fühlt sich gut an“, sagt er, und man nimmt ihm das ab.

Nein, Thomas Roth wird in das TV-Gedächtnis der Nation nicht als ein neuer „Mr. Tagesthemen“ eingehen, auch wenn die Ähnlichkeiten mit seinem großen Vorbild Hanns-Joachim Friedrichs unübersehbar sind. Hochseriös und kompetent waren sie beide, weißhaarig und erfahren, und dazu keine, die mehr sein wollten als angesehene Journalisten. Roth mag die Vergleiche mit Friedrichs, diesem Übervater der deutschen Fernsehmoderatoren, nicht, und irgendwie mag er sie doch. Dass er der erste Empfänger des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises war, dass er sein Vorbild persönlich kennengelernt hat, war zumindest nicht unerheblich bei der Entscheidung, am Ende des Berufslebens an den Ort zu gehen, den Friedrichs so geprägt hat. Und dort, im „Tagesthemen“-Studio, die Erinnerung an die hehren Grundsätze des Journalismus hochzuhalten. Allen voran natürlich den Fried­richsschen Imperativ, den jeder Volontär in der ARD an einem seiner ersten Tage hört: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache – auch nicht mit einer guten Sache.“

Thomas Roth hält diesen Satz für richtig, aber er sagt auch: Ihn zu befolgen heiße nicht, dass einem alles egal ist, dass Nachrichten den Moderator kalt lassen. So war, so ist er nicht, er hat Gefühle gezeigt, gerade als Reporter. Und man merkt ihm bis heute die Leidenschaft für seine Sache, also für den Journalismus an. Insbesondere, wenn er über die Zeit in Russland und den USA redet, über die aktuelle Lage in beiden Staaten, über Putin und Trump. Beides eher keine guten Sachen, sprich: Themen, beides eher etwas, was selbst einem Nachrichtenmann Sorgen machen kann. Sorgen, die, immerhin das, Thomas Roth künftig nicht mehr in die deutschen Wohnzimmer transportieren muss.

Seine Präsenz dort hat ihn im öffentlich-rechtlich hohen Alter noch einmal richtig bekannt werden lassen. Auch etwas, was er nicht wollte, was ihm nicht behagt. Und weswegen er froh war, diesen Teil seiner Karriere in Hamburg erleben zu können. Also dort, wo Prominente traditionell eher in Ruhe gelassen werden und wo sich der Bürgermeister ganz normal in die Schlange beim Geldautomaten einreihen kann, ohne dass er gleich um ein Selfie gebeten wird. „Ich habe die hanseatische Zurückhaltung sehr genossen“, sagt Roth.

Er hat zudem alles dafür getan, seine Bekanntheit über die „Tagesthemen“ hinaus nicht zu fördern. So oft er in der Nachrichtensendung zu sehen war, so selten tauchte er sonst im Fernsehen oder in der Stadt auf. Ein Kurzbesuch bei
„3 nach 9“ und seinem Freund Giovanni di Lorenzo zum Beginn seiner „Tagesthemen“-Zeit – das war es dann auch schon. Ansonsten verschwand Roth, wann immer es ging. Und das ging: Schließlich hat so ein „Tagesthemen“-Moderator, nachdem er sieben Tage am Stück im Dienst war, die gleiche Zeit frei. Thomas Roth war dann Privatmann, zuletzt zwischen Niendorf und Berlin. Künftig wird er wieder voll und ganz in der Hauptstadt leben. Dort sind die meisten Freunde, dort passt einer, der in Moskau und New York gelebt hat, besser hin. Auch hier: „Es fühlt sich gut an.“

Färbt er die Haare? Nuschelt der etwa?

Thomas Roth wird in diesen, seinen letzten Tagen bei den „Tagesthemen“ noch mehrmals erstaunt bilanzieren, mit welcher Wucht die Nachrichtensendung aus einem TV-Journalisten eine Person des öffentlichen Lebens macht. Kaum stand er im Studio, begannen die Diskussionen: Färbt er seine Haare? Sind die Zähne gebleicht? Nuschelt der etwa? Dem Moderator ist wenig Menschliches fremd geblieben. Er hat Sprachunterricht genommen und unzählige, auch unfreundliche Mails beantwortet. Er, der Fußballfan, hat in den Halbzeitpausen der großen Spiele die Ruhe behalten müssen. Und er hat, ausgerechnet in seinem letzten Jahr, so lange am Stück moderiert wie nie zuvor. Beim Attentat aus München. Zu lange, sagt er im Rückblick.

An diesem Sonntag wird Thomas Roth zum letzten Mal die „Tagesthemen“ moderieren. Er wird an Ingo Zamperoni übergeben, und sagen, wie sehr er den Kollegen schätzt, dass es Zeit ist für die neue Generation. Und dann? Dann reicht es auch.

Kommen Sie gut durch die Nacht.