Hamburg. Erinnerungen eines großen Regisseurs: So schuf Helmut Dietl Meisterwerke wie “Schtonk“ oder Rossini. Seine Witwe erzählt.
Wer wissen will, wie die Bundesrepublik in den vergangenen Jahrzehnten getickt hat, darf ruhig bei Helmut Dietl „nachschlagen“. Der Regisseur hat in Filmen wie „Schtonk“, „Rossini“ oder TV-Serien wie „Kir Royal“ einen feinen Sinn für den Zeitgeist gezeigt, noch dazu im schwierigen Genre der Gesellschaftssatire. Geschliffene Dialoge voller funkelnder Ironie zählten zu seinen Markenzeichen. Im vergangenen Jahr ist er mit 70 gestorben. Seine Witwe Tamara Dietl hat nun seine Autobiografie „A bissel was geht immer“ herausgebracht. Ein Fragment zwar, aber ein originelles und ein literarisches.
„Andere feiern ihre Geburtstage. Ich nicht. Das liegt vielleicht daran, dass ich auf diesem Gebiet als Kind schon eindrucksvolle und daher unvergessliche Enttäuschungen erleben durfte. Keiner meiner Geburtstage vom dritten bis zum zehnten Lebensjahr war nur annähernd so verlaufen, wie ich mir damals einen Geburtstag im Hochsommer vorgestellt hatte: Die Sonne sollte scheinen, es sollte aber nicht heiß sein. Zwischendurch oder auch gleichzeitig sollte es schneien, und zwar in gleichmäßig dicken Flocken. Auf keinen Fall sollte es jedoch kalt sein. (...) Baden sollte man können, aber auch Schlittschuh fahren, Drachen steigen lassen, Blinde Kuh spielen, singen, tanzen, lachen.“ So beginnen Helmut Dietls Erinnerungen. Er erzählt darin von seinem stets abweisenden alkoholkranken Vater, von der Bundeswehrzeit, die für ihn sehr prägend war, und von den vielen Frauen in seinem Leben.
Eifersucht? Tamara Dietl lacht. „Ich habe einen Mann geheiratet, der immer Frauen verehrt hat. Das habe ich sehr an ihm geliebt. Er ist auch selbst von Frauen verehrt und geliebt worden. Das hat mich eher stolz gemacht.“ Richtige Männerfreunde habe ihr Mann nur zwei gehabt. Patrick Süskind hat das Nachwort zu diesem Buch geschrieben. Der andere war Bernd Eichinger. „Sie haben sich im Alter verloren“, sagt Tamara Dietl. Zerstritten hätten sie sich unter anderem über Eichingers Hitler-Film „Der Untergang“.
Tamara Dietl lebt seit vielen Jahren in München. Man braucht aber nur Sekunden, um zu hören, woher sie kommt: aus dem Norden. In der Wohnung ihres Vaters, des ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Freimut Duve, erzählt sie am Küchentisch von der besonderen Art der Trauerarbeit, die dieses Buch für sie bedeutet. Sie ist eine temperamentvolle Erzählerin. Ihren Ehemann hat sie während seiner Krebserkrankung bis zum Tod eng begleitet. „Ich habe schon immer versucht, schwierige Dinge im Leben in etwas Gutes zu transformieren.“ Zunächst schrieb sie selbst ein Buch: „Die Kraft liegt in mir. Wie wir Krisen sinnvoll nutzen können“. Danach widmete sie sich dem Manuskript ihres Ehemanns. „Ich wollte nicht, dass der Flop ,Zettl‘ als sein letztes künstlerisches Werk stehen bleibt. Es war heilsam und eine Freude an diesem Buch zu arbeiten.“
Auslöser für das Buch war eine Schreibblockade von Helmut Dietl. Nach zwei Misserfolgen hatte er keine Lust auf einen neuen Film. Eine Depression machte ihm das Leben schwer. Dann begann er, seine Lebenserinnerungen aufzuschreiben. Seine Frau war erstaunt, weil er vorher genau das immer abgelehnt hatte. „Es war ein denkwürdiger Tag, als er mir endlich auf der Terrasse mal den Anfang vorgelesen hatte. Das hat mich zutiefst berührt. Eigentlich wollte er Schriftsteller werden.“ Die Arbeit hatte einen positiven Einfluss auf ihn. „Beim Schreiben wurde seine Laune zunehmend besser. Er hat nicht nur sein früheres Leben, sondern auch seine Lebensfreude zurückgeholt. Es war ein Antidepressivum.“
Natürlich denkt sie positiv an ihn. „Er hatte Tiefgang und Feinsinnigkeit. Das ist auch das, was ich schmerzlich vermisse. Ich brauche für eine Liebe auch den Eros des Geistes.“ Sie hat ihn neurotisch erlebt, aber dann auch wieder klug und selbstdistanziert. Zu Mitmenschen sei er meist offen gewesen. Bei Dreharbeiten dagegen meistens streng. „Er war ein diktatorischer Regisseur, der nicht wollte, dass die Schauspieler von sich aus etwas anbieten.“ Als Drehbuchautor hat er fast immer mit Koautoren gearbeitet, weil er einen Punching-Partner brauchte. „Dann konnte er besser denken. ,Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden‘ hat Heinrich von Kleist das in einem Aufsatz genannt.“
Als Tamara Duve ihren späteren Ehemann kennenlernte, mit dem sie zehn Jahre verheiratet gewesen ist, war sie überhaupt kein Dietl-Fan. Zum ersten Mal hat sie von ihm gehört, als sie ihr Volontariat bei der „Morgenpost“ machte. Ihr Volontariats-Vater Gerd-Peter Hohaus schwärmte ihr von „Kir Royal“ vor. „Ich habe mir damals die nächste Folge angesehen und war entsetzt. Die Häme habe ich nicht verstanden.“ Später war sie für „Spiegel TV“ Gerichtsreporterin beim Prozess um die Hitler-Tagebücher. „Chefredakteur Stefan Aust sagte damals zu mir, dann solle ich auch gleich den Bericht über ,Schtonk‘ machen. Das habe ich damals abgelehnt mit den Worten: ,Derart egozentrische und cholerische Regisseure sind mir zu anstrengend. Das soll jemand anders machen.‘“
Dann lernte sie ihn kennen. Wie eng Fakten und Fiktion beim Zusammenleben mit einem Regisseur ausfallen können, belegt eine andere Episode. „Wenn wir uns gestritten haben, sagte er manchmal: ,Spar dir deine Worte. Ich brauche diesen Streit jetzt nicht. Das habe ich alles schon künstlerisch verarbeitet.‘ Dann ging er an sein Regal mit VHS-Kassetten und holte eine Folge von ,Monaco Franze‘ oder ,Der ganz normale Wahnsinn‘ heraus.“
Zurzeit hat Tamara Dietl alle Hände voll zu tun. Sie bewirbt dieses Buch, überlegt, an welches Museum der filmische Nachlass von Helmut Dietl gehen soll und wohin die Bibliothek. Im Oktober wird in München eine multimediale Ausstellung über Leben und Werk von Helmut Dietl eröffnet.
Tamara Dietl hat noch einmal eine neue Ausbildung gemacht und berät Firmen in Fragen der Menschenführung und des Zeitgeists. „Frau. Macht. Sinn“ steht auf ihrer Visitenkarte.