Erinnerungen an die Zeit mit „Dr. Sommer“, „Foto-Lovestory“ und Starschnitt. Vier Abendblatt-Redakteure blicken zurück.
Auf Mädchenfang
Frühjahr 1988: Ich wollte endlich ein Girl knutschen, aber dafür musste man die Mädels aus der Klasse erst mal beeindrucken. Mit Musik vielleicht? Musik geht doch immer. Also habe ich in der „Bravo“ geschaut, welche Band gerade bei der jungen Damenwelt angesagt war. Aha, Bros, ein britisches Boy-Trio. Nicht ganz meine Musik, aber der Zweck heiligt die Mittel. Ich kaufte im Supermarkt (!) für unfassbar teure 20 Mark das Bros-Debütalbum „Push“, ich pflasterte meine Kinderzimmer-Wände mit „Bravo“-Bros-Postern, ich las alle Bros-Artikel, Mama nähte sogar einen Bros-Aufnäher auf meine Jacke. Ich war der größte, bestinformierte männliche Bros-Fan an der ganzen Schule, ja sogar in ganz Bargteheide. Und auch der Einzige. Ausgefuchst! Genial! Ich hatte das Bros-Monopol! So stolzierte ich mit dem Bros-Aufnäher an der Jacke über den Pausenhof. Das Ergebnis: Meine erste selbst gekaufte Schallplatte und meine erste Kutte drehten sich um eine heute völlig vergessene Band, die schon 1988 kein Mädchen an der Schule interessierte. Alles für die Katz. Aber es waren zwei wilde Wochen. Tino Lange
Beim Küssen zugucken
Winter 1987: Ich war 13 Jahre alt, hatte ein Abo von „Ein Herz für Tiere“, war Pfadfinderin und Mitglied im World Wildlife Fund. Ich wollte die Umwelt retten, Tierärztin werden, stritt mit meinen Eltern über Atomkraft und spendete für Pandabären. Die „Bravo“ wollte nicht so recht in mein ökologisch bewegtes Selbstbild passen, wurde aber dennoch leidenschaftlich gelesen. Zum Beispiel bei meiner Freundin Katja. Die war etwas älter. Und, wie man damals so sagte: frühreif. Ihr Zimmer war mit „Bravo“-Postern von Patrick Swayze aus dem Film „Dirty Dancing“ plakatiert. Katjas Freund hatte eine Haartolle wie der Angebetete. So saßen wir also mit unserer Clique bei Katja unterm „Dirty Dancing“-Dach, schauten zu, wie sie stundenlang mit ihrem Freund knutschte (mit Zunge!) und lasen ihre Poster-Quelle, die „Bravo“. Wir kicherten über die „Dr. Sommer“-Ratschläge. Und wir verschlangen die Foto-Lovestory – die wir ja in gewisser Weise auch 3-D vor Augen hatten. Doppelter Anschauungsunterricht, bevor es bei einem selbst ernst wird. „The Time Of My Life“ hatten wir dann später. Birgit Reuther
Dr. Sommer: Raus!
Frühjahr 1989. Ich wollte nicht mehr als „Sportschau“ und Spaghetti Bolognese jeden Tag. Gab es aber nur einmal die Woche. Oder einmal im Monat. Was ich bekam, war: die „Bravo“. Aber zensiert. Meine Mutter hatte sich in der Nachbarschaft umgehört, und auf dem Besorgte-Mütter-Gipfel war ein Entschluss gefasst worden. Liebe, Sex und Zärtlichkeit – nicht für unsere Buben! Also wurden Dr. Sommers erotische Unterweisungen herausgerissen.
Nur Kathrin, die ältere Schwester der Nachbarszwillinge Maik und Manuel, die wiederum zwei Tage älter waren als mein Zwillingsbruder und ich, durfte die „Bravo“ in ihrer schmuddeligen Pracht lesen. Machte mir das etwas aus? Nein! Ich wusste noch gar nicht, was mir entging. Fußball war meine Leidenschaft und Musik. Ich hätte gar nicht gewusst, von was dieser Doktor da faselt. Aber schon ein Jahr später lagen wir zu viert am Baggersee, die Explosion hatte sich ereignet, wir hatten nur noch Augen für das ganz andere Geschlecht. Es war die Hochzeit von oben ohne. Jetzt las ich jede „Bravo“, die ich kriegen konnte, unzensiert. Thomas Andre
Der größte Fan
„Oh Gott, was ist das denn?“ Meine Mutter stand kurz vor dem Herzinfarkt, als sie eines Abends den gerade feinsäuberlich zusammengeklebten Alice-Cooper-Starschnitt an meiner Jugendzimmerwand entdeckte. Im ersten Moment hatte sie den lebensgroßen Langhaarigen rechts neben der Tür für einen Einbrecher gehalten. Dabei war der „Schock-Rocker“ doch nur meine erste große Musikliebe, von der „Bravo“ als zwölfteilige Bastelarbeit an die Kioske geliefert. Meine zweite große Liebe, nur wenig später entdeckt, verdankte ich ebenfalls der Zeitschrift, deren Erscheinen ich Woche für Woche mehr herbeisehnte. Mochten andere vor allem die „Dr. Sommer“-Seiten verschlingen und sich mit Fragen wie „Ab wieviel Jahren ist Petting erlaubt?“ beschäftigen, mein erster Blick galt den doppelseitigen, aufregend geschriebenen Bandporträts. Besonders Led Zeppelin mit ihrem „gottgleichen Gitarristen“ hatte es mir angetan. Also schnitt ich jeden Led-Zep-Artikel aus und heftete ihn im Leitz-Ordner ab. Meine Zimmerwände waren tapeziert mit Postern der Band, ich blickte auf Schulfreunde herab, die „noch nicht so weit“ waren und simplen Pop liebten. Kleiner Haken: Led Zeppelin lief nie im Radio, in meinem Heimatdorf gab es keinen Plattenladen. Um ehrlich zu sein: Ich hatte noch nie einen Song der Band gehört. Und war doch ihr größter Fan. Dank „Bravo“. Holger True