Hamburg. Das Schmähgedicht gegen Präsident Erdogan führte zu einer Pause für den Satiriker Jan Böhmermann. Nun meldete er sich brillant zurück.
Vier Wochen war Jan Böhmermann mit seinem „Neo Magazin Royale“ nicht auf Sendung. Donnerstagabend dann, wie angekündigt, die Rückkehr. Und obwohl es der PR gar nicht bedurft hätte, gab es als Vorspeise tagsüber schon ein neues Kapitelchen in der Skandalakte Böhmermann – und wie so oft hatte der Satiriker damit eigentlich nichts zu tun. Der CDU-Hinterbänkler Detlef Seif las in angeblich nichts als aufklärerischer Absicht Böhmermanns jetzt schon legendäres „Schmähgedicht“ im Bundestag vor, um die fragwürdige, seiner Meinung nach rechtliche Grenzen überschreitende Qualität des Werks hervorzuheben.
Man darf Böhmermanns Reaktion auf Twitter durchaus wörtlich nehmen, wo er nachmittags schrieb, dass Seif „das Schmähgedicht aus dem Kontext gehoben und im Deutschen Bundestag vorgetragen“ habe. Dies sei „Beschämend, würde- und geschmacklos“. Die Politikeraktion nichts anderes als eine Vorlage also, die sich Böhmermann gänzlich unironisch nicht entgehen lassen wollte: Um noch mal klarzustellen, wie er denn seine Satire genau gemeint hatte.
In der Sendung dann sagte Böhmermann gleich, er selbst wolle ja keine Gags mehr machen, um nicht mehr Ärger zu bekommen. Also auch „keine Gags mehr gegen Hitler“, weil man ihn dann wegen „Störung der Totenruhe“ drankriegen könne. 103 Euro (wegen Paragraf 103 Strafgesetzbuch, nach dem man keine ausländischen Oberhäupter beleidigen darf) hatte Böhmermann jedem seiner Zuschauer geboten, der ihm einen Gag schickte.
Undercover-Einsatz bei „Schwiegertochter gesucht“
Die er dann verlas, garniert mit kleinen Seitenhieben gegen Erdogan und die Erdoganaffäre. Alles auf vorsichtig und auf vorauseilenden Gehorsam getrimmt – er will sich ja zukünftig nicht mehr mit den Großen anlegen. Guter Witz, in der Tat!
Seine Aufdeckung der Praktiken bei der RTL-Sendung „Schwiegertochter gesucht“ war dann wieder ein kleines Meisterstück: Das „Neo Magazin Royale“ schleuste einen Debil-Kandidaten in die aktuelle Sendung ein, um den Charakter der Sendung zu entblößen: Sie führt die Kandidaten grundsätzlich vor.
Gysi findet Erdogan-Gedicht nicht gut
Dann kam als Studiogast Linkspolitiker Gregor Gysi (“Studierte Rechtswissenschaften, weil es keine Linkswissenschaften gibt“) und geigte Böhmermann die Meinung: Gedicht nicht gut, Kunstfreiheit aber wichtig und Kritik an Erdogan ebenso. Merkel unverständlich: Für den einen gilt der Paragraf 103 noch, dann nicht mehr. „Wie inkonsequent“, monierte Gysi.
Insgesamt zeigte sich Böhmermann, der dem deutschen Fernsehhumor insgesamt mehr als guttut und trotz mäßiger Einschaltquoten eine große Fangemeinde hat, bestens erholt. Erdogan-Anzeige, Merkel-Einlassung, Staatsaffäre, Drohungen und Polizeischutz – Böhmermann war über Wochen hinweg jeden Tag in den Medien. Es sei ihm, wie Böhmermann nach wochenlangem Abtauchen Anfang Mai im „Zeit“-Interview kundtat, nie um Beleidigung gegangen. „Präsident Erdoğan zu beleidigen ist mir zu doof. Ich denke, das hat man auch dem reichlich bescheuerten Schmähgedicht angemerkt“, sagte Böhmermann, der das Land dennoch entzweite. Wohl auch deswegen, weil sein smarter, ironischer und auf Meta-Ebenen spielender Humor von manchen nicht verstanden wird – oder verstanden werden will.
Böhmermanns Haupt-Stilmittel ist das Spiel mit Klischees, wobei ihm da nicht immer jeder folgen mag, wie die „Schmähgedicht-Affäre“ – angesichts der Wirkung, die die Aktion hatte, ein Maximalcoup – zeigte. Auch wenn Böhmermann im Gedicht „Schmähkritik“ bewusst Klischees („Ziegenficker“) verwendet: Es bleiben Klischees. Das wurde ihm unter anderem von der deutschtürkischen Community vorgehalten.
Mit Ernsthaftigkeit war nicht zu rechnen
Ein Umstand, den Böhmermann wohl tatsächlich nicht erwartet hatte, es sei die für ihn „schmerzhafteste Vorstellung“, „dass mich jemand wegen dieser Nummer ernsthaft für einen Rassisten oder Türkenfeind halten könnte“.
Wenn Böhmermann Interviews gibt, ist er trotz mancher Ausflüge ins Uneigentliche in der Regel ernst. Mit Ernsthaftigkeit war in der ersten Sendung nach der Pause natürlich nicht zu rechnen. Sie geriet aber, wieder einmal, zu einer Lehrstunde über das ironische Codieren von Botschaften, war also rundum gelungen.