Die ZDF-Krimireihe „Spuren des Bösen“ erweist sich auch mit der fünften Folge als Glanzstück für Heino Ferch.
Die Überraschungen kommen später. Erst einmal beginnt dieser Krimi wie jede andere Polizeierzählung im Fernsehen, mit einer Leiche und einem Panoramablick über die Stadt. Doch abgesehen davon ist „Spur des Bösen – Liebe“, der fünfte Fall der ZDF-Reihe um den Psychologen und Verhörspezialisten Richard Brock, angenehm frei von Klischees und Krimikonventionen. Wie wenig es tatsächlich braucht, um einen spannenden Fall zu erzählen, wie wenig abgebildete Polizeiarbeit, Resümees der einschlägig Verdächtigen und Kompetenzgerangel am Tatort, das zeigt dieser Film des bewährten, preisgekrönten Duos Andreas Prochaska (Regie) und Martin Ambrosch (Buch).
Heino Ferch hat in seiner Karriere oft den mundfaulen Lederjackenhelden gegeben. In dieser Rolle hat er die existenzielle Einsamkeit seiner Figur zur Perfektion getrieben. Brock ist ein Mann, der sich mit dem Leben und dem Leid arrangiert hat. Er macht darum nicht viel Aufhebens, aber in ihm schimmert stets eine Ahnung durch, was alles noch möglich gewesen wäre in diesem Dasein. Aber hier hockt er nun, zwischen nicht ausgepackten Umzugskartons, und lässt die Mecker-Tiraden seiner Haushälterin über sich ergehen. „Meine Nackten gehen sie gar nichts an“, sagt er schließlich mürrisch, bevor er den Laptop zuklappt und in die Dusche verschwindet. Ihre Antwort geht im Prasseln des Wasserstrahls unter.
Die Krimihandlung ist schnell erzählt: Eine junge Frau wurde mit zahlreichen Messerstichen ermordet, noch am Tatort wird ihr Ex-Freund festgenommen, der wie erstarrt vor der Leiche hockt. Er weigert sich, mit den ermittelnden Beamten zu reden – nur mit seinem alten Schulfreund Richard Brock will er sprechen. Die Ermordete, so stellt sich heraus, war schwanger. Der angebliche Vater ist ein reicher Erbe (Christoph Luser), der mit fünf Bekannten in einer Art Künstlerkommune auf einem Fabrikgelände haust. Hier werden in langen Nächten wahlweise Orgien gefeiert oder die Auswirkungen des Kapitalismus verteufelt. Die Bewohner hüllen sich zur Tat in Schweigen; trotzdem (oder gerade deshalb) treibt es Brock mehrmals hin zu dieser mysteriösen Zweckgemeinschaft, die der Gegenwart ihre ganz eigenen Regeln entgegensetzt.
Mit einem Blick, der kaum etwas preisgibt, läuft Heino Ferch durch diesen Film. Der Zuschauer muss seine Gedanken eher erahnen, als dass er ganz konkrete Hinweise zum Stand der Ermittlungen serviert bekommt. Böse Zungen behaupten, Heino Ferch habe seine gesamte Karriere allein mit drei unterschiedlichen Gesichtsausdrücken bestritten. Das ist übertrieben. Richtig aber ist, dass Ferch nicht der überragende Schauspieler seiner Generation ist. Er ist allein meisterhaft als Einzelgänger mit nach innen gekehrtem Blick und einsilbigen, dahingegrunzten Antworten. Als ein Typ wie Richard Brock. Der beste seiner Art im Job und abgeschmiert im Privaten. Seine Tochter lässt sich von ihm längst nichts mehr sagen (weder in Sachen Familienleben noch im Polizeijob), eine dunkelhaarige Schöne ergreift bei einer zufälligen Begegnung beinahe panikartig die Flucht vor ihm (Brock selbst lässt sich zu einem müden „du fehlst mir“ hinreißen), ein wahrer Freund ist ihm allein der Wirt seiner Stammkneipe, der Brock die wahrscheinlich einzige warme Mahlzeit der Woche auftischt.
Auch in den Vorgängerfolgen haben die „Spur des Bösen“-Filme auf eine entschleunigte, man könnte fast sagen: meditative Erzählweise gesetzt. In der aktuellen Folge haben die Macher das Tempo nochmals gedrosselt. Alles geschieht im Takt der traumwandlerischen Ermittlungsarbeit von Psychologe Brock, der die Dinge eher erspürt als sie mittels Beweislast zu erdrücken. Wie er in seinem Job gelandet ist? „Ich wollte immer die Menschheit retten“, sagt Brock.
Dass man mit einer solchen Weltrettergeste nur scheitern kann, weiß der Mann natürlich selbst am besten. Die Frage, ob man im Leben dort ist, wo man hinwollte, verhandelt der Film denn auch beiläufig über die gesamten 90 Minuten hinweg mit. Für Richard Brock gilt in diesem Fall wohl: Ja und nein.
Passend zur melancholischen Stimmung des Films, der mehr ein Beziehungsdrama ist als ein lauter Krimi, haben Regisseur Prochaska und Kameramann David Slama den Handlungsort eingefangen. Wien wirkt wie von jeder Sachertorten-Romantik befreit. Leer gefegte Straßen und dunkle Seitengassen prägen die Stadt, die manchmal wie erstarrt scheint. „Spuren des Bösen – Liebe“ ist ein Schattenfilm, der die Geister der Vergangenheit beschwört. Die Räume sind oft so schwach ausgeleuchtet, dass der Zuschauer kaum etwas erkennen kann. Die Kamera sitzt den Figuren fest im Genick. Entkommen kann hier niemand.
„Spuren des Bösen – Liebe“ Mo 20.15 Uhr, ZDF