Die in Hamburg spielende Roman-Verfilmung „Amnesie “ ist mit Ulrich Noethen und Jürgen Maurer im ZDF zu sehen.

Eine Ratte kriecht über den Schenkel des am steinigen Elbufer liegenden Mannes. Der Mann ist Kommissar Vincent Ruiz (Juergen Maurer). Er blutet aus mehreren Schusswunden. Sich daran zu erinnern, wie er an den Strand gespült worden ist und wer ihm die Wunden zugefügt hat, das kann er nicht. Im Krankenhaus retten sie sein Leben. Sein Gedächtnis aber bleibt dunkel. Wie ausgelöscht.

Der Hamburger Psychiater Johannes „Joe“ Jessen (Ulrich Noethen) wird Vater, zum zweiten Mal, eine kleine Tochter hat er bereits. Doch wirklich glücklich wirkt Jessen nicht, als seine Frau Nora (Petra van de Voort) am Frühstückstisch der Tochter von ihrer Schwangerschaft erzählt. Etwas bedrückt ihn. Jessen ist krank, er hat Parkinson im Anfangsstadium. Wie er denn damit umgehe, wird er später von Ruiz gefragt. „Im Restaurant bestelle ich keine Suppe mehr“, antwortet „Joe“ Jessen.

„Amnesie – Neben der Spur“ heißt der ZDF-Krimi nach dem Thriller des australischen Autors Michael Robo­tham. Inszeniert hat ihn das Regie-Duo Cyrill Boss und Philipp Stennert, das auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet. Nach „Adrenalin“ ist es bereits die zweite Robotham-Verfilmung mit dem ungleichen Gespann aus Kommissar und Psychiater. Der Schauplatz der Geschichten: Hamburg. Es sind meist dunkle, geheimnisvolle Bilder von den schmutzigen, den grauen Seiten der Stadt, die Kameramann Moritz Anton eingefangen hat.

Niemand schenkt Ruiz’ Gedächtnisverlust anfangs Glauben. Am wenigsten Philip Kampmann (Joachim Król), Leiter der internen polizeilichen Ermittlungen. „Es gibt kein Anzeichen für eine Gehirnblutung“, sagt der Neurologe, nachdem er Ruiz untersucht hat. „Gibt es Anzeichen für ein Gehirn?“, fragt Kampmann. ­Ruiz und Kampmann – ziemlich beste Feinde.

Ruiz ist auf einem Boot auf der Elbe angeschossen worden. Doch man findet nicht nur sein Blut, sondern das eines weiteren Menschen. In seiner Brieftasche entdeckt Ruiz das Foto eines vor drei Jahren offenbar getöteten Mädchens, der jungen Lilly, deren Leiche nie gefunden wurde. Doch warum trägt er dieses Foto überhaupt bei sich? Auch daran kann Ruiz sich nicht erinnern. Dabei, sein Gedächtnis wiederzufinden, weiß Ruiz, kann ihm nur Jessen helfen, steht der doch in seiner Schuld, schließlich hat er ihm in „Adrenalin“ das Leben gerettet.

Mit Ruiz und Jessen treffen zwei Charaktere aufeinander, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Raubein kontra Feingeist. Ruiz ist der bärbeißige Dickschädel, der Instinkt-Bulle, der auch dann noch weitermacht, als man ihm seine Polizeimarke samt Pistole abnimmt und ihn vom Dienst suspendiert. Ein Mann geht den Weg, den er gehen muss, den Kronkorken auf der Bierflasche knackt er mit den Zähnen, mit dem Gerstensaft spült er die Morphiumtabletten hinunter. Es ist ein Weg, der auch bei ihm Spuren hinterlässt. Jessen hingegen ist der vorsichtige Familienvater, der – qua Profession – stille Seelenversteher, einer, der mit leiser Stimme in die Menschen hineinfragt, um zu pflegen, was gut in ihnen ist. Der zwar auch seinen Weg kennt, aber, um das Ziel des Weges zu erreichen, klaglos einen Umweg in Kauf nimmt.

So kommen sie zueinander, Ruiz und Jessen, wie das Feuer manchmal das Wasser braucht. Fragt Jessen: „Haben Sie noch Kontakt zu Ihrer Exfrau?“ Antwortet Ruiz: „Nein, das ist doch der Witz an einer Trennung.“ Keiner lacht.

Gleichwohl der Kommissar im Gespräch mit dem Therapeuten einen Schutzschild aus Sarkasmus und Ungeduld vor seine Gefühle hält, beginnt er langsam, sich an das zu erinnern, was geschah auf dem Schiff, als die Kugeln flogen, das viele Blut Deck und Aufbauten verschmierte, er um sein Leben fürchten musste.

Und Ruiz gibt letztlich das Geheimnis um einen kleinen Jungen preis, den er nicht retten konnte, damals, als er selbst noch ein Kind war und voller Angst und voller Sorge. So macht Ruiz sich also auf, dieses andere Kind zu finden, die offenbar tote, wie er aber verzweifelt hofft, noch lebende Lilly – und setzt dabei, ohne es zu wollen, auch das Leben seiner jungen Kollegin Anna (Marie Leuenberger) aufs Spiel. Jener Anna, die immer zu Ruiz gehalten hat, wenn ihn seine Kollegen schon längst geschnitten hatten.

Cyrill Boss und Philipp Stennert haben den Stoff durchaus thriller­gemäß inszeniert – dunkle Bilder, undurchsichtige Typen, verkommene schräge Figuren, wohldosierte Action, ein Schuss Tragödie. Und neben Noe­then und Maurer brilliert zudem Hildegard Schmahl in einer kleinen Rolle als Ruiz’ hartherzige Mutter. Das existenziell Bedrohliche jedoch, das der Nährboden dieser Geschichte um alte Schuld ist, bleibt mehr angedeutet, als dass es ausgespielt wird. Das war in „Adrenalin“, der ersten Verfilmung, noch anders.

Michael Robotham hat mit „Amnesie“ einen hypnotischen Thriller geschrieben. Die Verfilmung hat fraglos auch ihren ganz eigenen Thrill. Dem Roman von Robotham allerdings hält sie nicht stand.

„Amnesie – Neben der Spur“ Mo, 20.15 Uhr, ZDF