Der Spielfilm zum ARD-Serienhit kann sich sehen lassen. Das liegt an den Schauspielern und an der fein austarierten Komik.
Hengasch gehört nicht unbedingt zu den Orten, in denen man sich ein Ferienhaus kaufen will. Das Eifeldorf ist kein Landschaftsereignis, kein beschauliches Fleckchen im Grünen, kein Realität gewordener Traum vom Leben in freier Wildbahn.
Hengasch ist Provinz von seiner allerschlimmsten Seite: piefig, kleinkariert, tratschsüchtig. Geschmacklos verbaut und technisch auf dem Stand der frühen Steinzeit ist es obendrein. Ähnlich verhält es sich mit den Verbrechen, die sich hier ereignen. Entlaufene Kühe und überschrittenes Tempolimit gehören zu den Top-Aufregern in der Region. Das Ermittlerleben ist so gesehen ein leichtes. Oder eben nicht.
„Mord mit Aussicht“ ist 90-minütige Langfassung des TV-Eifel-Ereignisses
Polizeichefin und Vollblutgroßstädterin Sophie Haas wacht jedenfalls morgens schweißgebadet auf, weil sie sich bis zur Rente in dem fiktiven Kaff Hengasch auf Entenjagd und Schützenfestvergnügungen wähnt. Ihre Bewerbung für eine Stelle in Köln wurde ohne jede Begründung abgelehnt. Hengasch ist für sie zu einer Art Vorhölle aus Landstraßen und blökenden Schafen geworden. Wie passend, dass die passionierte Trenchcoatträgerin in „Ein Mord mit Aussicht“ denn auch nicht mehr die Ermittlungen leitet, sondern selbst des Mordes an einem hochrangigen Polizeimitarbeiter verdächtigt wird: eben jenem Mann (Matthias Matschke), auf dessen Schreibtisch einst ihre verschmähte Bewerbung gelandet war.
„Ein Mord mit Aussicht“ ist nach drei immens erfolgreichen Serienstaffeln die 90-minütige Langfassung des TV-Eifel-Ereignisses. Mit durchschnittlich sechseinhalb Millionen Zuschauern liegt „Mord mit Aussicht“ in der ARD-internen Bestenliste auf Platz eins – noch vor dem Nonnenhit „Um Himmels Willen“ und der Krankenhausschmonzette „In aller Freundschaft“.
Grund dafür ist neben der großartigen Besetzung (allen voran Ex-Schauspielhausstar Caroline Peters und „Tatortreiniger“ Bjarne Mädel) die fein austarierte Komik, die wenig zu tun hat mit all den Schmuzelkrimis, die zum Glück größtenteils wieder aus dem Programm verschwunden sind. Der Humor in „Mord mit Aussicht“ entsteht ganz beiläufig aus den (zugegebenermaßen sehr absurden) Situationen heraus, die selten einen Ausweg jenseits von Totaldesaster und Dreiviertelkatastrophe bereithalten.
Es sind die unausgesprochenen Sehnsüchte der Figuren, die unüberwindbare Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit, die die Serie (und den Film!) so tragikomisch machen. Der pantoffelheldige Dorfpolizist Dietmar Schäffer (Mädel) träumt vom Wilden Westen und landet doch nur bei einer Käsesahnetorte von Mutti und einem anschließenden Geburtstagsbesäufnis in der „Blauen Maus“. Seine Kollegin Bärbel Schmied (Meike Droste) würde gern dem medialen Bild der toughen Ermittlerin entsprechen, während sie mit postnataler Depression und von zu viel Stilltee ausgelöstem Harndrang kämpft. Und Sophie Haas will natürlich zuvorderst ihren erzwungenen Provinzaufenthalt beenden und ist dabei längst heimisch geworden im wohl altmodischsten und schrägsten Revier im deutschen Fernsehen sowie in der Lebensgemeinschaft mit dem Bürgermeisterkandidaten Jan Schulte (Johann von Bülow). Der viel diskutierte Stadt-Land-Konflikt in einer Person: Das ist Sophie Haas.
Die Geschichte ist besser als die Überführung des Täters
Regisseur Jan Schomburg hat in „Ein Mord mit Aussicht“ eine starke Antagonistin auf dem Polizeichefsessel Platz nehmen lassen: Nina Proll als Hammelforster Kommissarin Sandra Holm ist nicht der Typ für Späßchen oder Kumpeleien unter Beamtinnen. Jeder Blick von ihr ist ein Schlag in die Magengrube, jedes Räuspern der Auftakt für ein Kreuzverhör wie aus dem Handbuch für FBI-Agenten. Aber selbst einem harten Knochen wie Holm stehen nach einer stundenlangen nächtlichen Befragung des eigenwilligen Hengascher Trios die Tränen in den Augen vor Erschöpfung. Sie hat zwar Babyfotos gesehen, Details aus dem Schlafzimmer erfahren und ist für ihre Käse-Salami-Brötchen gelobt worden – der Lösung im Fall um den ermordeten Polizeihierarchen ist sie keinen Schritt näher gekommen.
Nun war die Aufklärung des Falls für den Eifelkrimi stets nur zweitrangig. Anders gesagt: Die Geschichte ist auch in diesem Fall besser als die Überführung des Täters. „Mord mit Aussicht“ lehrt aufs Schönste, dass man es auch im Krimigenre mit dem Realismus nicht allzu genau nehmen muss, solange der Zuschauer Figuren hat, an denen er sich festhalten kann. (Gut, Dietmar Schäffer möchte man eher bei der Hand nehmen und ihm über die Straße helfen). Zudem ist es immer wieder erleichternd, eine Fernsehkommissarin zu sehen, die weder selbstmitleidig-einsam noch Alkoholikerin, noch sonstwie seelisch verwundet ist. Sondern einfach ganz normal gestört.
Man muss weder ein Freund von Fernsehkrimis noch von Wochenendausflügen ins Grüne sein, um „Ein Mord mit Aussicht“ zu genießen. Man muss im Grunde nur Lust haben, über das Leben und seine absurden Einfälle mal wieder zu lachen.
„Ein Mord mit Aussicht“, heute, 20.15 Uhr, ARD