Nach 16 Jahren „TV Total“, nach Wok-Rennen, Turmsprüngen und großen Erfolgen beim ESC, sagt Stefan Raab dem Fernsehen Adieu.

Über Stefan Raab gibt es viele Geschichten. Eine davon spielt 2010, Raab stand auf dem Gipfel seines Ruhms. Was geschah, fasste der Kölner „Express“ mit der Schlagzeile „Liveshow-Schock“ zusammen. Der Entertainer duellierte sich für seine Show „Schlag den Raab“ mit einem Kandidaten Hans Martin auf dem Mountainbike. Sie sollten, wie der „Express“ schrieb, „einen Parcours überwinden – wer drei Runden gewinnt, kann den Zwischensieg einfahren. Doch schon im zweiten Rennen passierte es: Mit zu viel Schwung fuhr Raab über ein Hindernis – und flog nach vorne von seinem Rad. Raab schlug mit dem Gesicht auf dem Boden auf, sein Fahrrad stürzte ihm von hinten auf Kopf und Rücken.“ Die medizinische Diagnose nach der Sendung lautete auf Gehirnerschütterung und angebrochene Kieferhöhlenwand. Eine Unterbrechung der Show hatte Raab beharrlich abgelehnt.

Eine zweite Geschichte hat etwas mit einem Mettbrötchen zu tun. Der „Focus“ hatte im selben Jahr den Versuch unternommen, sich der privaten Seite des Moderators anzunähern. Das mehrseitige Porträt, erschienen nur ein halbes Jahr nach Raabs Unfall, wollte auch über seine Essgewohnheiten informieren – und zeigte besagtes Brötchen, versehen mit der Bildunterschrift „Sein Mettbrötchen – in der Kölschkneipe“. Der Text machte in Medienkreisen deshalb von sich reden, weil Raab fast allen darin enthaltenen Tatsachenbehauptungen in einer Gegendarstellung widersprach. Sie umfasste 20 Punkte. Der letzte lautete: „In der Bildunterzeile des Fotos auf S. 166, das ein Mettbrötchen zeigt, heißt es: ,Sein Brötchen – in der Kölschkneipe‘. Hierzu stelle ich fest, dass es sich nicht um mein Mettbrötchen handelt.“

Stefan Raab mit seinem ewigen Show-Praktikanten Elton
Stefan Raab mit seinem ewigen Show-Praktikanten Elton © obs | ProSieben Television GmbH

Beide Geschichten eignen sich ganz gut, um Stefan Raabs Charakter zu umreißen. In seinen besten Zeiten überschritt er auf der Bühne spielerisch jede körperliche Schmerzgrenze. Er wusste ja, dass ihm die Zuschauer das mit Begeisterung und Aufmerksamkeit entlohnten. Es gibt einen denkwürdigen Auftritt des großen US-Talkmasters David Letterman, der sich 1984 einen Anzug aus Alka-Seltzer-Brausetabletten basteln ließ und dann mit den Worten „Don’t try this at home“ in ein großes Wasserbassin abgeseilt wurde. Für Raab wären solche Spielereien eine Nummer zu klein gewesen. Lieber ließ er sich von der Boxerin Regina Halmich verprügeln oder raste in Bratpfannen durch Eiskanäle. Zu seiner erstaunlichen Risikofreude gehörte auch immer ein an Verbissenheit grenzender Ehrgeiz – das machte es seinen Konkurrenten bei „Schlag den Raab“ so schwer, gegen ihn zu bestehen.

Aber da war noch der andere Raab, und das war einer, der so gar nichts mit der lärmenden und breit grinsenden Figur zu tun hatte. Der Mann, der sich immer schützend vor sein Privatleben stellte, mit Journalisten nur in Ausnahmefällen sprach und sich gegen Übergriffe hartnäckig wehrte. Der auch dann misstrauisch und zurückhaltend blieb, als nach seinen Erfolgen plötzlich die halbe Welt sein Freund sein wollte.

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Ohne Rücksicht auf Verluste oder Verletzungen - Stefan Raab beim Turmspringen
Ohne Rücksicht auf Verluste oder Verletzungen - Stefan Raab beim Turmspringen © Getty Images | Joerg Koch

u gut kannte er dafür die Gesetze der Medienwelt. Zu lange hatte er aber auch erlebt, was es hieß, eine Randfigur zu sein und jemand, dem das Hochamt der deutschen Kulturkritik nur Missgunst und Häme entgegenbrachte. Während seiner Anfangsjahre als Produzent von Werbejingles, vor allem aber als Moderator verschiedener Sendungen auf „Viva“ hatte er sich in den frühen 90er-Jahren den Ruf eines vorlauten Halbstarken erworben, der mit Kamera und Mikrofon gern auf der Straße Leute überfiel, um deren verdatterte Reaktionen dann später im Studio süffisant vorzuführen. Der Vorwurf, er mache sich gern über arglose Leute lustig, haftete immer noch an ihm, als längst sein korpulenter Showpraktikant Elton für „TV total“ solche Missionen übernehmen musste.

Dass Raab sich im Lauf der Zeit mehr und mehr herunterdimmte, dass „TV total“ zur lustlosen Routine wurde und dass seine Mitarbeiter seine einst berauschende Energie zuletzt nur noch in Spurenelementen wiederfanden: Dafür mag wohl ausschlaggebend gewesen sein, dass Raab in der Fernsehunterhaltung fast alle Erfolge kassiert hatte, die zu haben waren. Das leuchtendste Beispiel hierfür sind sicher seine Beiträge zum „Eurovision Song Contest“, in denen der Metzgersohn aus Köln-Sülz sein musikalisches Talent regelmäßig in Triumphe umsetzte – und dabei die deutschen Auftritte vom Senkblei der Spießigkeit befreite, das sie jahrzehntelang so schwer erträglich gemacht hatte. Da kommt natürlich Lena Meyer-Landruts Sieg mit „Satellite“ von 2010 zuerst in den Sinn –, aber zur guten Bilanz gehört auch, dass Interpreten mit Raabs Schützenhilfe immer in der oberen Hälfte der Platzierungen zu finden waren: Guildo Horn erreichte 1998 Platz sieben, Max Mutzke sechs Jahre später Platz acht. Und Raab selbst mit seinem Song „Wadde hadde dudde da?“ schaffte es im Jahr 2000 auf Platz fünf des Eurovision Song Contests.

Mit der heutigen Sendung von „TV total“ wird er sich im Jahr vor seinem 50. Geburtstag von den Schirmen verabschieden. Was er in Zukunft tut, weiß nur er – und was mit seinem Format „Schlag den Raab“ geschehen wird, das am 19. Dezember letztmalig mit ihm ausgestrahlt wird, weiß man nicht. Sicher aber ist, dass Raab mit seinem letzten Auftritt auch einer Ära des Fernsehens ein Abschiedsliedchen singen wird, in der es für junge Menschen noch zum Zeitvertreib und als Gesprächsthema taugte. Vielleicht tut er das ja, die Älteren würde es freuen, tatsächlich in Gestalt eines musikalischen Kurzvortrags. Als „Raabigramm“. Mit einer Ukulele in der Hand.

„TV total“, Mi 23.15 Uhr, ProSieben