Hamburg. Am Sonntag läuft um 21.45 Uhr in der ARD die letzte Ausgabe der Talkshow von Günther Jauch. Bedauerlich? Ein Pro und Kontra.

Günther Jauch – Der Tröstliche

Weniges im Fernsehen ist so verlässlich wie der Sonntagabend. Zuerst wird die (fiktionale) Welt im „Tatort“ in Trümmer zerlegt. In der anschließenden Plauderrunde wird sie wieder zusammengesetzt, analysiert, gemeinsam betrauert. „Tatort“ ist für den Bauch, der Sonntagstalk für den Kopf.

Nach viereinhalb Jahren (und 157 Sendungen) nimmt Günther Jauch an diesem Sonntag Abschied von einem der wichtigsten Sendeplätze im deutschen Fernsehen. Er hat dort bessere und weniger gute Sendungen moderiert. Doch wer vor wenigen Wochen Zeuge wurde, wie Jauch den leukämiekranken Ex-Außenminister Guido Westerwelle befragte, kann nicht ernsthaft bestreiten, dass dieser Mann einer der besten Moderatoren ist, die den Öffentlich-Rechtlichen zur Verfügung stehen. Er schafft emotionale Momente – ob nun als Quizonkel im Privatfernsehen, als Interviewer von Schicksalsgebeutelten oder eben als Journalist im Politgespräch. Nun ist die für das Publikum heilige Sonntagsrunde im Ersten natürlich keine Boulevardstunde. Aber auch hier sind Emotionen die Währung, mit der am Ende die Rechnung gezahlt wird.

Jauch hat sich nie dafür geschämt, auch sehr schlichte, man könnte fast sagen: naive Fragen zu stellen. Oder einfach mal gar nichts zu sagen, sondern ein wenig ratlos in die Runde zu blicken. Dafür ist er von Fernsehkritikern gescholten, vom ARD-Rundfunkrat gerügt worden. Er hake zu wenig nach, hieß es. Was klingt, als sei er ein Lehramtsstudent, der bei der Biologieprüfung durchgefallen ist. Dabei ist dies Teil der Jauch-Taktik. Auch ohne dröhnendes Welterklärer-Gehabe des Moderators ist der Zuschauer ja durchaus in der Lage, sich sein eigenes Bild zu machen.

Jauch ist nicht schneidig wie Kollege Plasberg, er ist nicht ironisch-gebrochen wie Anne Will oder pragmatisch-zupackend wie Sandra Maischberger. Sein Gesichtsausdruck buchstabiert niemals abgefeimte Prominentenarroganz. Jauchs Kunst besteht darin, seinen Gesprächspartnern maximales Vertrauen einzuflößen. Das strahlt auch auf den Zuschauer aus. In Zeiten zwischen Finanzskandalen und Flüchtlingskrisen hatte die Jauch’sche Bildschirmpräsenz am Sonntagabend immer auch etwas sehr Tröstliches. In der irrealen Welt der Fernsehstudios hat er die sehr realen Sorgen des Publikums verhandelt, dem Kunstprodukt „Talkshow“ eine Normalität verpasst und war damit oft: sehr nah am Publikum.

Günther Jauch hat in seiner Karriere schon stundenlang vor einem umgefallenen Fußballtor moderiert. Er könnte eine Talkshow notfalls mit zwei Schimpansen und einem Roboter bestreiten. Dass er in Zukunft nur noch zusammen mit den Gute-Laune-Blondschöpfen Barbara Schöneberger und Thomas Gottschalk Unterhaltungssendungen bestreitet und Millionärsanwärtern die 1000-Euro-Frage stellt, mag für ihn selbst deutlich angenehmer sein, als sich mit den komplizierten ARD-Strukturen herumzuärgern. Für den Zuschauer aber ist der Rückzug von Günther Jauch aus unserem sonntäglichen TV-Alltag ausgesprochen bedauerlich.

Von Karoline Jaquemain

Günther Jauch – Der Überforderte

Hätte Günther Jauch seinen Argwohn gegenüber den „Gremien-Gremlins“ des Ersten behalten, wäre dem Zuschauer einiges erspart geblieben: Zuallererst einmal eine weitere Talkshow. Die Masse der Nachfrager und Diskutierer im deutschen Fernsehen hat inzwischen Ausmaße angenommen, die in ihrer schieren Menge nur noch von der Schwemme der seichten Tagsüber-Talks in den 90er-Jahren übertroffen werden. Schon allein deswegen muss man Jauch dankbar sein, dass er dem Berliner Gasometer den Rücken kehrt und sich künftig ganz auf seine unbestrittene Stärke konzen-triert: die Unterhaltung.

Zudem haben die vier Jahre Talk à la Jauch im Ersten besonders eines nachdrücklich bewiesen: Er ist kein Mann für die Aus­einandersetzung, für die politische Debatte, in der gegensätzliche Meinungen aufeinanderprallen – und die entsprechendes Moderationsgeschick benötigt. Die Lautsprecher und die Dazwischenreder, die Scharfmacher und die Polemisierer, sie schafften es immer wieder, das Gesprächs-Heft an sich zu reißen. Viel Gegenwehr hatten sie nicht zu erwarten, Jauch ließ die Kubickis und die Söders, die Höckes, Schwarzers und die Kamouss’ (der „Quassel-Imam“) der deutschen Medien- und Politikwelt viel zu oft gewähren.

Unter einer kritischen Nachfrage verstand er Banalitäten der Sorte „Wie meinen Sie das?“ oder „Was heißt das?“. Und selbst wenn die Reaktionen auf diese verbalen Lückenbüßer mehr waren als eine irritierte Wiederholung des gerade Gesagten, schienen sie ihn weniger zu interessieren als seine Karteikärtchen. Von denen las er im Zweifelsfall einfach die nächste Worthülse ab und wechselte das Thema.

Wenn in solchen Runden schließlich noch der ruhigste Gast die Contenance verlor und einfach selbst versuchte, aus dem Monolog einen Dialog zu stricken, passierte was? Alle redeten wild durcheinander. In der Mitte saß Jauch und bemühte sich vergeblich um Ordnung.

Der Versuch, „Mehrwert und Erkenntnisgewinn zu schaffen“, wie Jauch es in seinem Resümee als wichtigen Anspruch beschreibt, er darf als gescheitert gelten. Es ist nicht schade, dass Deutschlands bekanntester Fernsehunterhalter das Erste verlässt. Nicht für den politisch interessierten Zuschauer, ebenso wenig für die ARD. Um die Quoten muss man sich auch bei seiner Vorgängerin und Nachfolgerin in Personalunion, Anne Will, keine Sorgen machen. Nicht nur, weil sie es tatsächlich schafft, von Zeit zu Zeit das zu leisten, was bei Jauch immer nur Anspruch geblieben ist. Sondern auch, weil man nach dem „Tatort“ auch aus dem Telefonbuch vorlesen könnte, und es würden Millionen zuschauen.

Von Alexander Josefowicz