Schnoddriger und ruppiger: Der zweite Fall führt die „Tatort“-Ermittler zu einer Leiche, deren Herzschrittmacher einem anderen gehört.
Schwarzweiß-Szenen aus Berlin: Der Kommissar reicht jemandem eine Zigarette. Der zieht daran, dann schießt ihm jemand in den Hals. Schnitt: Kommissar und Kommissarin im Treptower Park, riesenhafte Plastikechsen liegen wie tote Käfer in der Sonne. Die Kommissarin findet ein Projektil im Dinosaurier und gibt es ihrem Kollegen.
Wer sich mit dem „Tatort“ befasst, stößt immer häufiger auf den Begriff des horizontalen Erzählens. Damit ist gemeint, dass sich Entwicklungen nicht in 90 Minuten erschöpfen – sondern über mehrere Folgen hinweg ausgebreitet werden. Die Dortmunder Ermittler haben es vorgemacht, nun haben auch die Berliner den Modus gewechselt. Man muss sich, wenn man ihm folgen will, an einiges erinnern.
Erinnern wir uns also. Wir haben Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke) als Ermittlergespann kennengelernt, das eigentlich nur Misstrauen füreinander übrig hat. Das liegt vor allem daran, dass sie so verschieden sind: Hier die direkte, handfeste Berliner Schnauze von Nina; dort der hintersinnige Ironiker Robert. In dieser Mischung steckt Ärger. Zumal da ja auch noch die Sache mit dem Projektil ist. Bevor Robert zur Mordkommission wechselte, wurde sein Partner erschossen. Er erfährt, dass die Kugel im Dinosaurier aus derselben Waffe stammt. Dann gibt es noch einen gefälschten Obduktionsbericht, laut dem sein Partner ertrunken sein soll. Es ist vieles rätselhaft und dubios in Berlin, aber das ist ja eigentlich nichts Neues.
Die erste Folge inszenierte der dreifache Grimmepreisträger Stephan Wagner, diesmal hat man den nicht minder dekorierten Dror Zahavi die Geschäfte führen lassen, während Wagner mit Mark Monheim das Drehbuch schrieb. Sie alle knüpfen an die Bildsprache des ersten Teils an. Es ist nicht das Postkarten-Berlin, das wir sehen. Die Stadt solle der dritte Hauptdarsteller sein, haben die Produzenten verkündet, und sie hat sich dafür nicht fein gemacht, sondern ist geblieben, wie sie ist: ruppig, unausgeschlafen und verkatert. Immer schlecht gelaunt. Ätzend.
So heißt ja auch die Folge. Damit ist aber nicht nur Berlins besonderer Charme gemeint. Ein Bagger gräbt ein Fass aus, ein Arbeiter wird von einer Flüssigkeit getroffen. Schmerzensschreie, Blut: Es ist Schwefelsäure. Im Fass finden sich die Überreste einer Leiche und ein Herzschrittmacher. Die Datenbanken wissen aber, dass dessen Besitzer putzmunter in Neukölln lebt.
Es wäre seltsam gewesen, wenn das große Thema dieses Jahres nicht auch im Berliner „Tatort“ eine Rolle gespielt hätte, die Flüchtlinge. Sie sind da, wir sehen sie in der Zeltstadt am Oranienplatz, und die Ermittlungen in Sachen Säurefass führen in ihr Milieu. Es sind illegal in der Stadt lebende Iraner, denen die Kommissare begegnen, und ihre tragische Geschichte dürfte leider nicht allzu unrealistisch sein.
Dann ist da noch die Sache mit Karows totem Kollegen. Eine zweite Leiche wird auf der Baustelle gefunden, Karow sucht nach einem Zusammenhang und gerät unversehens in Bedrängnis. Der Kommissar ist die schillerndste Figur in diesem gelungenen „Tatort“. Es geht härter zu unter den neuen Ermittlern und weniger humorvoll als bei den Berliner Vorgängern. Aber das macht nichts. Für Humor sind ja die Kollegen aus Münster zuständig.
„Tatort: Ätzend“, So 20.15 Uhr, ARD