Hamburg. Das niederländische Start-up Blendle will den digitalen Medienmarkt aufmischen. Nutzer sollen für einzelne Artikel zahlen.

Stellen Sie sich einmal vor, Sie stehen morgens im Kiosk Ihres Vertrauens und bitten den Verkäufer um Folgendes: „Ich hätte gern das Hamburger Abendblatt. Und dazu den Aufmacher aus dem ,Spiegel‘, das Dossier aus der ,Zeit‘, den Leitartikel aus der ,Washington Post‘ und die Geschichte über Henri Nannen aus dem ,Stern‘.“ Und Ihr Verkäufer lacht Sie nicht etwa aus, sondern gibt ihnen exakt das, was Sie gerade bestellt haben.

Das ist, von der Straßenecke ins Internet verlegt, das Konzept hinter Blendle, einem niederländischen Start-up, das seit vergangener Woche auch in Deutschland den Testbetrieb aufgenommen hat. Die Idee ist so einfach wie ungewöhnlich: Statt ganzer Zeitungen vertreibt der digitale Kiosk die Zugriffsrechte auf einzelne Artikel. Marten Blankesteijn, einer der beiden Gründer, sagte im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur: „Wir glauben, dass Menschen grundsätzlich durchaus bereit sind, kleinere Beträge für Inhalte im Netz zu bezahlen, wenn man es ihnen einfach macht.“ Das habe sich unter anderem bei dem Musikshop iTunes von Apple gezeigt.

Damit dieses Konzept aufgehen kann, muss Blendle es seinen Nutzern aber nicht nur einfach machen, auf Inhalte zuzugreifen. Es muss auch genügend Auswahl zur Verfügung stehen, um attraktiv für möglichst viele Menschen zu sein. Zum Start vor einem Jahr in den Niederlanden hatte es die Firma geschafft, mit nahezu allen relevanten Tageszeitungen des Landes Verträge zu schließen. Und auch hierzulande ist man zuversichtlich, die Nachrichtenbedürfnisse der allermeisten Menschen befriedigen zu können: Aktuell sind neben „Spiegel“, „Stern“ und „Zeit“ auch die „Süddeutsche Zeitung“, „Die Welt“ und verschiedene Regionalzeitungen und Zeitschriften verfügbar. Die Funke Mediengruppe, bei der auch das Hamburger Abendblatt erscheint, bringt zunächst ihre thüringischen Regionalzeitungen über Blendle ins Netz, weitere Objekte sollen folgen. Mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ stehe man kurz vor Vertragsabschluss.

300.000 Nutzer in den Niederlanden nach nur einem Jahr scheinen Blankesteijn und seinem Team recht zu geben, was ihre Perspektive angeht. Sie wollten nicht den klassischen Abo-Modellen Konkurrenz machen, betont er: „Es ist eher für die Fälle, in denen ein Leser gern einzelne Artikel kaufen würde, aber sich nicht für das Gesamtpaket interessiert.“

Und das könnten besonders die jüngeren Leser sein, die nicht mit der täglichen Tageszeitung am Frühstückstisch aufgewachsen sind, die dafür aber umso selbstverständlicher mit den digitalen Medien umgehen. Und die, geht es nach Blankesteijn und Co., sind durchaus in der Lage und willens, für Qualitätsjournalismus zu bezahlen – in dem ihnen vertrauten Umfeld.

Das belegen auch die bisherigen Statistiken: Etwa zwei Drittel der Kunden seien jünger als 35. Konsequenterweise bietet Blendle denn auch aus den sozialen Netzwerken bekannte Funktionen: Eine Sektion informiert über „Trending“-Artikel, also solche, die besonders oft abgerufen oder gut bewertet worden sind. Man kann anderen Nutzern und ihren Aktivitäten bei Blendle folgen, Artikel, die man für besonders gut erachtet, bei Facebook oder Twitter teilen. Und auch die Köpfe hinter dem digitalen Kiosk machen sich bemerkbar: Die kuratierte Sektion „Staff Picks“ listet Artikel auf, die vom Blendle­Team ausgewählt und mit einer kurzen Zusammenfassung versehen worden sind.

Dass man sich tatsächlich der Qualität und nicht nur der schieren Masse verpflichtet fühlt, zeigt eine weitere Neuerung im Vergleich zum klassischen digitalen Mediengeschäft. Wer mit einem Artikel unzufrieden ist, kann sein Geld zurückverlangen. „Heute haben viele Artikel reißerische Überschriften und einen schwachen Inhalt – aber bei den Medien gilt die hohe Zahl der Klicks trotzdem als Erfolg, auch wenn die Leser unzufrieden sind“, kritisiert Blankesteijn. Die Verlage können diese Daten einsehen, ebenso wie verschiedene andere Informationen zum Umgang der Nutzer mit ihren Texten – anonymisiert natürlich. Und um Missbrauch vorzubeugen, sollen Einschränkungen etabliert werden, wie oft ein Nutzer seine Käufe reklamieren könne. Im Schnitt kostet ein Artikel bei Blendle bislang etwa 20 Cent. Die Preise bestimmt nicht das Portal, sondern die Verlage. Bezahlt mit einem vorher eingerichteten Konto, das man via Paypal, Sofortüberweisung oder Kreditkarte mit Guthaben füttert.

Der Vergleich mit iTunes, den Blankesteijn angestrengt hat, er hinkt tatsächlich nur bedingt: Für die Musikindustrie bedeutete der Onlineshop von Apple zum einen ein radikales Umdenken in Richtung digitalem Vertrieb. Zum anderen wurden in einer Branche, die seit Jahren über Umsatzrückgänge klagte, wieder Anstiege verzeichnet. Blendle (und ähnliche Produkte wie die deutsche Konkurrenz von Pocketstory, die ebenfalls in der Testphase ist) werden die gedruckte Tageszeitung weder obsolet machen, noch der Gratiskultur im Netz von heute auf morgen ein Ende setzen können. Aber sie sind ein – verlags- und mediumsübergreifender – Schritt auf dem richtigen Weg: Dem, der journalistische Integrität und Qualität dadurch sichert, dass man sie nicht nur durch Klicks auf „Gefällt mir“ oder „Teilen“, sondern auch durch finanzielle Wertschätzung unterstützt.

Blendle gibt es für Android- und iOS-Smartphones und -Tablets und natürlich im Webbrowser unter blendle.com/de/