Hamburg. Ohne die Bundesligakonferenz im Radio wäre Fußball nur halb so schön. Auch beim Abstiegsfinale am Wochenende hören wieder Millionen zu.

„Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen – Rahn schießt! – Tooooor! Tooooor! Tooooor! Tooooor!“ 61 Jahre sind diese Worte alt und Millionen dröhnen sie noch immer in den Ohren, bewegen die Nachgeborenen und jagen Fans eiskalte Schauer über die Rücken. Die Sätze, gesprochen am 4. Juli 1954 beim WM-Finale zwischen Ungarn und Deutschland im Berner Wankdorfstadion sind der Urknall der deutschen Radio-Reportage. Sie bringen die ganze Dynamik und Dramatik des Fußballs auf den Punkt und ins Ohr, bohren sich tief in die Hirnwindungen und verwandeln Sekunden in Sternstunden.

Eine davon wurde die ARD-Schlusskonferenzen in der Bundesliga-Saison 1998/1999. In den letzten Minuten des Spieltages überschlugen sich die Ereignisse in den Stadien – die Radiokonferenz wurde auf CD gebrannt, in Büchern nachgedruckt und auf YouTube für alle Ewigkeiten archiviert.

„Radio! Radio! Radio! – das schnellste Medium der Welt“, ruft die Radio-Legende Günther Koch in dieser Schlusskonferenz, nichts ahnend, dass er ein Stück Mediengeschichte miterzählen wird. Immer wieder fallen Tore und schicken immer andere Mannschaften in den Abgrund. In der 85. Minute erzielt der 1.FC Nürnberg, aus dessen Stadion Koch berichtet, das 1:2, und Koch brüllt dazwischen: „Tor, Tor, Tor in Nürnberg“ – auch in der größten Aufregung vergisst Koch nicht das Prinzip, nur den Ort, aber nicht die Mannschaft zu nennen, bevor sich seinen Stimme überschlägt: „Ich pack’ das nicht, ich halt’ das nicht mehr aus, ich will das nicht mehr sehen, aber sie haben ein Tor gemacht, ich glaube es nicht, aber der Ball ist drin, ich weiß nicht wie. Kopfball von Nikl. Die Leute haben es gehört, dass Frankfurt vorne liegt, Rostock vorne liegt, jetzt liegt der Ball im Netz ...“ Nach einer Flut der Worte schaltet Koch ins Ruhrstadion: „Ich halt das nicht mehr aus, nein, es tut mir leid. Es ist nicht zu fassen. Wir waren in Bochum, wir waren in Frankfurt, wir sind in Nürnberg. Was gibt’s Neues in Bochum?“ Am Ende dieser turbulenten Konferenz stieg Nürnberg trotzdem ab – aber das Radio war der große Gewinner.

Und ist es bis heute geblieben: Obwohl der Bezahlsender Sky seit der Saison 2000/2001 eine TV-Konferenz überträgt, liegt die von WDR 2 organisierte Radioschalte unangefochten vorne – und baut den Vorsprung sogar aus. Acht bis neun Millionen Zuhörer sind jeden Sonnabend dabei, beim Herzschlagfinale um den HSV dürften es an diesem Sonnabend noch ein paar mehr sein. Sky freute sich kürzlich über einen neuen Rekord von 1,6 Millionen Zuschauern bei der Konferenz. Einige Hunderttausende schalten im Internet den Livestream von SportFM ein, der ebenfalls eine Konferenz anbietet. Und die Sportschau in der ARD, die zwecks Spannungssteigerung mitunter auch auf Konferenz-Elemente setzt, lockt fünf bis sechs Millionen Zuschauer.

Spielregeln für Reporter sind seit Jahrzehnten unverändert

Oft kopiert, nie erreicht – ausgerechnet die verspottete und verlachte Großtante Radio hängt Internet und Fernsehen ab. Die Reportage im Äther scheint zwar so hoffnungslos veraltet wie Rechenschieber, Fernschreiber und Käseigel zusammen und bleibt doch schneller als alle anderen. Deutschland ist nicht „denkbar ohne die samstägliche Bundesligakonferenz“, heißt es in der Jurybegründung zum Deutschen Radiopreis 2010, den die WDR-2-Redaktion von „Liga Live“ für das Format bekam.

Es ist diese Mischung aus Anachronismus und Schnelligkeit, aus großen Stimmen und kleinen Kniffen, die die Konferenz so fesselnd macht. Seit Jahrzehnten sind die Spielregeln für Reporter wie Sabine Töpperwien, Manfred Breuckmann oder Alexander Bleick unverändert. Die Reporter in den Stadien werden live zugeschaltet und berichten – nur von Nachrichten, dem Verkehrsfunk, Werbung und schlechter Musik unterbrochen – aus den Bundesligastadien, meist 60 bis 90 Sekunden lang. Sie hören sich gegenseitig und fallen einander ins Wort, wenn es das Spielgeschehen verlangt. Fans lieben die Live-Reportagen aus dem Tollhaus, wo sich die Stimmen der Kommentatoren überschlagen und Emotionen erlaubt sind. Ihr „Ja“ ist ein „Ja“, ihr „Nein“ ein „Nein“. „Ja, das ist es, das ist das Tor hier in Bremen“ – oder „Nein, nein, nein, die können noch Tage weiterspielen und machen das Ding nicht.“

Ihre Stimmen machen das Spiel anschaulicher als die breiteste Großleinwand; sie lesen das Spiel nicht nur, sie lesen es auch vor, aber ohne mit Fachbegriffen um sich zu werfen. Sie kennen keine „falsche Neun“, aber richtige „Staubsauger im Mittelfeld“. Mit ihrer Stimmhöhe modulieren sie das Hintergrundrauschen der Partie, mit ihrer Lautstärke erhöhen sie die Dramatik. Mit ihrer Sprechgeschwindigkeit nehmen sie das Tempo aus dem Spiel oder stürmen in den Strafraum. So entwickelt jede Konferenz ihre eigene Dynamik, ein Crescendo und Decrescendo, ein Subito, ein Forte. Und Langweiler wie Hoffenheim gegen Hertha oder Bochum gegen Sandhausen werden einfach ausgeblendet.

Wenn die ARD zur Bundesligakonferenz lädt, darf es endlich laut werden

Zugleich klingt es herrlich schräg. Die Kommentatoren sprechen schneller als sie denken, sie plaudern ins Ungewisse, sie versenden sich. Sie reden in einer Zeit der inszenierten Gefühle voller Emotionalität, sie sind im Wortsinn betroffen, wirklich beglückt, authentisch bestürzt. Sie reden ohne Punkt und Komma, ohne Anfang und Ende und oft auch ohne Sinn und Verstand („Bisher ziehen sich die Bayern toll aus der Atmosphäre“), kurzum: Sie reden, wie man im Stadion sieht, denkt, fühlt. Sie sind unverwechselbar.

Die Konferenz verbindet Generationen: Schon als kleine Jungs entführten uns die Transistorradios in die Stadien, die damals noch nicht Arenen hießen. Als Halbwüchsige wuschen wir Papas Opel für zwei Mark, drehten das Radio auf und wähnten uns auf dem Rasen. Bis heute gibt es hier immer was auf die Ohren. Danke, Radio!

„Die NDR 2 Bundesligashow“, Sa 15 Uhr, NDR 2