Anbieter wie Netflix, Maxdome, Watchever und Co. setzen verstärkt auch auf Dokumentationen und Reportagen, um Kunden zu gewinnen.

Nur noch eine Folge ... Der Konkurrenzdruck, den Streamingdienste zum Fernsehprogramm aufbauen, wird zumeist damit begründet, dass man dort zu jeder Zeit Serien und Spielfilme im Original schauen kann, vielfach auch solche, die noch nicht im deutschen TV gesendet wurden. „House of Cards“ (Netflix), „Transparent“ (Amazon) und andere preisgekrönte Eigenproduktionen sollen Abonnenten locken, das kostenpflichtige Programm aus dem Internet einzuschalten.

Auf die neuen Sehgewohnheiten reagieren inzwischen auch die Sender: Großproduktionen des ZDF wie der Sechsteiler „Schuld“ nach dem Bestseller von Ferdinand von Schirach und die international produzierte Miniserie „The Team“ stellte der Sender schon vor der Erstausstrahlung in seiner ­Mediathek zur Verfügung. Ein Schritt, der noch vor kurzer Zeit undenkbar gewesen wäre und der den wachsenden Einfluss der Nutzer unterstreicht, die den Fernseher immer mehr als Bildschirm für das selbst zusammengestellte Programm begreifen.

Neben den aufwendig beworbenen Serien zeichnet sich zudem ein weiteres, bislang weniger aggressiv kommuniziertes Standbein ab: Netflix, Max­dome, Watchever und Co. machen sich zusehends daran, nicht mehr nur zu unterhalten, sondern auch das Bedürfnis der Zuschauer nach Information zu befriedigen.

Besonders Branchenprimus Netflix setzt verstärkt nicht nur auf Zukäufe – wie es der deutsche Anbieter Maxdome mit Produktionen von Spiegel TV und anderen macht –, sondern auch auf nonfiktionale Eigenproduktionen, die mit viel Geld und ebenso viel Aufwand erstellt werden. Thematisch reichen sie von Tierschutz bis zu Haute Cuisine, von 3-D-Druckern bis zu den Einsätzen der Human Rights Watch in Krisengebieten.

Ein Schritt nicht ganz ohne Risiko: Während Politdramen, Superhelden und Hollywoodstars dem Massen­geschmack entgegenkommen, zeigt unter anderem eine in dieser Woche angelaufene Doku-Serie, dass das US-Unternehmen bis tief in die Spezialinteressen potenzieller Abonnenten vordringen will. Zwar sind Dokumentationen, Reportagen und Shows rund um Restaurants beliebt. Aber „Chef’s Ta­ble“ ist keine Kochshow. Sondern eine Liebeserklärung an und für die Essens-Enthusiasten dieser Welt, die auf der Berlinale ihre Premiere feierte. Protagonisten der langsam erzählten, liebevoll gefilmten Porträts sind nicht sattsam bekannte Gesichter wie Jamie Oliver oder Gordon Ramsay. Sondern Sterneköche wie Magnus Nilsson, Niki Nakayama und Dan Barber.

Auch „Virunga“, eine Dokumentation in Spielfilmlänge, die für den Oscar und den britischen Bafta-Award nominiert war, setzt nicht auf maximale Außenwirkung: Park-Ranger, die in einem kongolesischen Nationalpark versuchen, das Unesco-Weltnaturerbe und die vom Aussterben bedrohten Berggorillas zu schützen, garantieren zwar das Lob der Kritiker, nicht aber rekordverdächtige Zuwächse bei den Abonnenten. Ähnliches gilt für „Print the Legend“, eine Doku über ein Thema, das den meisten Menschen mindestens ebenso fremd sein dürfte wie Gorillas und Sterneküche: 3-D-Drucker, Geräte also, die aus Computerdateien dreidimensionale Gegenstände machen, klingen immer noch eher nach Science Fiction als nach etwas, das man tatsächlich im Elektronikmarkt um die Ecke kaufen kann.

Dass es sich bei solchen Produktionen trotzdem nicht etwa nur um Testballons handelt, sondern um Investitionen, die wohlweislich getätigt werden – dafür spricht, dass Netflix wie kaum eine andere Firma die Durchleuchtung der Vorlieben und Wünsche seiner inzwischen fast 60 Millionen Abonnenten weltweit betreibt. Das Fernsehen der Zukunft hat auch Schattenseiten.