Liebesdrama? Heimatfilm? Oder doch ein Krimi? Der Streifen „Kripo Bozen – Wer ohne Spuren geht“ will alles gleichzeitig sein. Der Film zeigt, was passiert, wenn der Innovationsdruck überhand nimmt.
Kennen Sie den schon? Kommt ein tougher Großstadt-Cop in die tiefste Provinz... Oder den? Trifft eine verheiratete Frau in einer Ehekrise auf einen gut aussehenden Italiener... Und wie sieht es mit dem hier aus? Ein nie geklärter Mordfall wird neu aufgerollt, und auf einmal wimmelt es vor Verdächtigen. Kennen Sie alle? Aber nicht alle auf einmal, oder? Zumal „Kripo Bozen“ sogar noch mehr zu bieten hat: ein syrisches Flüchtlingsdrama, ein Weingut kurz vor der Zwangsversteigerung, eine Patchworkfamilie und jede Menge – nein wirklich haufenweise – pittoreske Dolomitenpanoramas.
Falls Ihnen das alles irgendwie merkwürdig und vergleichsweise wenig sehenswert vorkommen sollte, schalten Sie ruhig trotzdem ein: Denn der neue, auf eine ganze Reihe angelegte ARD-Krimi zeigt, was passiert, wenn ein Drehbuchautor vor dem Dilemma steht, nicht nur ein, sondern gleich mehrere Genres zu einem Film zusammenkleistern zu müssen. Und das ist tatsächlich ganz interessant anzusehen – man muss sich nur auf diese Meta-Ebene der Unterhaltung einlassen.
Dass Jürgen Werner das Skript zu diesem Südtiroler Allerlei ganz allein und ungestört verfasst hat, darf wohl bezweifelt werden. Nicht nur weil schon im Vorspann zu lesen steht „Bearbeitung: Marcus Ulbricht“, sondern auch weil Werner eigentlich zu den Guten gehört. Für die vier Dortmunder „Tatorte“, deren Drehbücher er geschrieben hat, wurde er gerade für den Grimme-Preis nominiert, eine Gefahr, die in diesem Fall ganz sicher nicht besteht. Regisseur Ulbricht wiederum scheint sich ganz kurz vor dem großen Durchbruch in Hollywood zu wähnen. Im Presseheft zu „Kripo Bozen“ liest man seine Einschätzung: „Das mag ein wenig an ‚Fargo‘ erinnern, ist aber keineswegs skurril und nicht Arthaus, sondern eher Mystery in einer archaischen Landschaft, die selbst Hauptdarsteller ist.“ Und tatsächlich: Mit dem Meisterwerk der Coen-Brüder hat „Kripo Bozen“ nur insofern zu tun, als dass auch in „Fargo“ die Eigenheiten eines Landstrichs und seiner Bewohner eine große Rolle spielen. Und ein Arthaus-Film ist diese eigenartige Genre-Melange ganz sicher nicht.
Skurril ist es aber allemal, wenn Kommissarin Sonja Schwarz sich ohne Italienischkenntnisse aus Frankfurt nach Bozen versetzen lässt. Dass die radebrechende Schwarz von der Halbitalienerin Chiara Schoras gespielt wird, trägt nur noch mehr zum Gefühl bei, irgendwie im falschen Film gelandet zu sein. Die ihr in Hessen angetragene Leitung der Mordkommission lässt Schwarz jedenfalls sausen, der Liebe zu Florian (Xaver Hutter) wegen. Denn der hegt den kühnen Plan, das Weingut seiner Ex-Schwiegermutter wieder auf Vordermann zu bringe,n und zieht mitsamt seiner lustigen kleinen Patchwork-Familie, zu der auch noch die Teenie-Tochter Laura gehört, bei dieser ein. Und wäre Schwarz nicht Kommissarin, sondern Innenarchitektin oder so etwas, die Rahmenhandlung für ein Liebesdrama der Marke ARD-Freitags- oder ZDF-Sonntagsfilm wäre komplett. Die ehemalige Schwiegermutter ist natürlich auf die Nachfolgerin ihrer Tochter nicht sonderlich gut zu sprechen. Und das Weingut hat ärgste finanzielle Schieflage. Es kommt, wie es kommen muss: Sonja und Florian zoffen sich, und ganz zufällig taucht zur selben Zeit ein schmucker Italiener auf: Matteo Zanchetti (Tobias Oertel), fleischgewordenes Klischee des stets flirtbereiten Südländers. Außerdem turnen noch einige syrische Flüchtlinge und ein Vater-Sohn-Polizistengespann durch die Dolomiten. Und ein mysteriöser Mordfall, dessen Aufklärung in den bis zum Rand mit Handlungsfäden vollgestopften 90 Minuten nun nicht auch noch zu leisten war, soll die Handlung in eine mögliche zweite Folge retten – Stichwort „horizontales Erzählen“, kennt man ja aus diesen amerikanischen Serien, von denen alle immer so begeistert sind.
Und auch wenn auf den Pilotfilm mangels Interesse doch kein zweiter Teil folgen sollte, wird „Kripo Bozen“ mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an Filmhochschulen und in Schreibseminaren für angehende Drehbuchautoren gezeigt werden: So exemplarisch wie in diesem Film hat man selten gesehen, was passiert, wenn der Innovationsdruck überhand nimmt. Im Bemühen, den Fernsehkrimi, den Heimatfilm und am besten auch noch das Liebesdrama neu zu erfinden, ist etwas entstanden, das mindestens genauso ehrfurchtgebietend ist wie die Schimäre aus der griechischen Mythologie. Dummerweise ist es auch ungefähr genauso hübsch anzuschauen wie das Mischwesen mit den drei Köpfen. Trotz der vielen schönen Berge.
„Kripo Bozen – Wer ohne Spuren geht“,
20.15 Uhr, ARD