„Borowski und der Himmel über Kiel“ war nicht nur ein Krimi, sondern auch ein Drama über Abhängigkeit mit vielen aktuellen Bezügen. Jauchs Talkrunde zum Thema Auschwitz interessierte dagegen vergleichsweise wenig.
Berlin. Der ARD-„Tatort“ hat am Sonntagabend mal wieder die Zehn-Millionen-Zuschauer-Marke geknackt: Exakt 10,67 Millionen Menschen schalteten den Krimi mit dem Titel „Borowski und der Himmel über Kiel“ ein, in der die Ermittler Borowski (Axel Milberg) und Sarah Brandt (Sibel Kekilli) nach dem Fund eines abgetrennten Kopfes in der Kieler Drogenszene ermitteln müssen. Der Marktanteil betrug 28,5 Prozent. Bei der anschließenden Talkshow mit Günther Jauch zum Thema „Mein Leben mit Auschwitz – das Vermächtnis der letzten Überlebenden“ sank der Zuspruch stark: 3,49 Millionen Zuschauer (11,6 Prozent) interessierten sich für die Gesprächsrunde.
Im aktuellen Tatort werden die Kommissare Borowski (Axel Milberg) und Brandt (Sibel Kekilli) zum Fundort einer Leiche in der kleinen Ortschaft Mundsforde im Kieler Umland gerufen. Dort liegt aber nur der abgetrennte Kopf eines jungen Mannes, der Torso fehlt. Zunächst verlaufen die Spuren im Leeren. Doch dann finden die beiden heraus, dass der Tote etwas mit der Drogenszene zu tun hatte. Er war offenbar abhängig von Crystal Meth. „Borowski und der Himmel über Kiel“ ist ein ungewöhnlicher „Tatort“.
Die Ermittler stoßen auf Rita (Elisa Schlott), die mit dem Toten befreundet war. Nur zögerlich hat sich die Schülerin überhaupt gemeldet, scheibchenweise und nicht immer nah an der Wahrheit erzählt sie, was sie mit Mike (Joel Basman) erlebt hat. Beide hatten Crystal Meth genommen, Rausch und Drogenhölle zusammen erlebt, bis Rita einen Schlussstrich zog, um clean zu werden.
Vorgeschichte mit Bedeutung
Bei den Ermittlungen genießt sie die besondere Aufmerksamkeit Borowskis, weil sie ihn entfernt an seine gleichaltrige Tochter erinnert. Er gibt sich fürsorglich, will sie schützen. Mehrfach wird der Kommissar wegen dieser Vorgehensweise von seiner Kollegin Brandt kritisiert, die in diesem Fall sehr selbstbewusst auftritt. Um von sich selbst abzulenken, bezichtigt Rita zwei Dealer, etwas mit dem Verbrechen zu tun zu haben. Dadurch gerät sie in große Gefahr.
Der Film erzählt seine Geschichte nicht linear und durchaus anspruchsvoll mit mehreren Rückblenden. Die Vorgeschichte des Verbrechens ist von großer Bedeutung. Dem Sujet angemessen geht es hier nicht nur um die Aufklärung eines Mordes, sondern auch darum, was passiert, wenn man sich mit dieser Droge einlässt, die gerade in der jüngeren Generation zurzeit erschreckend populär ist.
Es fehlt denn auch nicht an intensiven und drastischen Szenen, für die Kameramann Frank Lamm sich einiges einfallen ließ. Der körperliche Verfall der Süchtigen wird auf deprimierende Weise deutlich. Überhaupt erscheinen die Welt und der Himmel über Kiel in ihren blaugrauen Farben hier ziemlich trostlos, ähnlich wie die Perspektiven der Menschen, die dem Rauschgift verfallen sind. Aber auch die Provinz ist alles andere als idyllisch. Das fiktive Mundsforde ist ein Ort von verschwiegenen, verrohten und zu allem bereiten Menschen.
Das Drehbuch stammt von Rolf Basedow, der hier zusätzlich zum Kriminalfall ein Drogendrama mit vielen aktuellen Bezügen entwickelt hat. Das Fernsehen zeigte gerade erst eine Dokumentation über Crystal Meth und seine Folgen, das Rauschgift war aber auch schon der Antistar im hoch gelobten Kinofilm „Winter’s Bone“ mit Jennifer Lawrence, Serien-Junkies kennen die Droge aus den Folgen des US-Erfolgs „Breaking Bad“. Basedow spart nicht mit Kritik an der Konsumgesellschaft und macht aus diesem Fall einen Horrorfilm.
Atemberaubende Vielseitigkeit
Düster, mit schockhaften Wendungen und kühnen Schnitten entfaltet sich die Handlung, die Christian Schwochow stilsicher inszeniert hat. Der junge Regisseur zeigt zu Beginn seiner Karriere eine atemberaubende Vielseitigkeit. Bisher war er mehrfach als Chronist deutscher Geschichte aufgefallen – „Der Turm“, „Bornholmer Straße“ –, er hat in Irland Ken Folletts „Die Pfeiler der Macht“ verfilmt und steht kurz vor seinem Theaterregie-Debüt. Hier poliert er ein bisschen das Tafelsilber der ARD auf. Für diesen „Tatort“ nahm er sich den harten Touch skandinavischer Kriminalfälle als Vorbild.
Einen starken Eindruck hinterlässt auch Elisa Schlott, die eine große Bandbreite menschlicher Emotionen darstellen darf, von der Ekstase bis zur existenziellen Lebensangst. Die Schauspielerin spielte bisher überwiegend kleinere TV- und Kinorollen, zum Beispiel in Dominik Grafs „Das unsichtbare Mädchen“. Aufsehen erregte sie in „Fliegende Fische müssen ins Meer“ von Güzin Kar. In Hamburg war sie vor zwei Jahren in „Oleanna“ an den Kammerspielen zu sehen. Zur Schauspielschule ist sie aber tatsächlich erst nach dem Ende dieser „Tatort“-Dreharbeiten gekommen.
Der Rausch und der bodenloser Absturz sind die Extrempunkte dieses Films über Menschen, deren Leben völlig aus dem Ruder gelaufen ist. Über allem spannt sich der Himmel über Kiel. Viel frischer Wind in die Segel des alten Dickschiffs „Tatort“.