Gegen das Endspiel der Fußballweltmeisterschaft anzusenden, ist die wohl undankbarste Aufgabe für TV-Stationen. RTL und der Hessische Rundfunk haben den Kampf gegen die Quotenübermacht aufgenommen.
Hamburg. Wir befinden uns im Jahr 2014. Ganz Deutschland schaut am Sonntag Fußball. Ganz Deutschland? Nein! Ein von unbeugsamen Sportverweigern bevölkertes Sofa hört nicht auf zu zappen.
Bloß wohin, das ist die Frage. Wenn um 21 Uhr das Finalspiel der Fußball-WM angepfiffen wird, könnten die anderen Sender eigentlich auch gleich das Testbild senden. Zumindest gemessen an den Chancen auf einen Marktanteil jenseits des niedrigen einstelligen Prozentbereichs wäre das wohl die kostengünstigste Alternative. Denn der Zuschauerrekord (32,57 Millionen) des Halbfinalspiels gegen Brasilien dürfte auch als derjenige in die deutsche TV-Geschichte eingehen, der am schnellsten wieder gebrochen wurde. Wundern würde man sich am Montag wohl nur, wenn deutlich weniger als 35 Millionen Menschen das Spiel vor dem Fernseher verfolgt hätten.
Der Kuchen, er scheint aufgeteilt, und doch macht sich mindestens ein Sender Hoffnungen auf Desinteresse am runden Leder. Möglicherweise hat man bei RTL aber auch einem Praktikanten die Programmplanung des Sonntags überlassen. Das würde erklären, warum die gut beleumundete und mit Colin Farrell, Jamie Foxx, Kevin Spacey und Jennifer Aniston hochkarätig besetzte Komödie „Kill the Boss“ gegen Neuer, Müller, Klose und Co. antritt. Die Lizenzkosten für den gerade einmal drei Jahre alten Hollywood-streifen werden die Kölner jedenfalls kaum wieder reinholen können.
Zu dieser Erkenntnis scheinen sich auch viele andere durchgerungen zu haben. Die meisten Sender verfahren nach dem Reste-Essen-Motto „Rumfort“: Was halt noch rumliegt und fort muss.
Das können fünf bis acht Jahre alte „Traumschiffe“ im ZDF sein oder ein wildes Staffelgehopse durch die Krimiserie „Navy CIS“ bei Sat.1: Erst die sechste Folge der achten und danach die 20. der vierten Staffel zu zeigen, deutet auf ziemliche Bocklosigkeit hin: „Egal, fällt eh keinem auf.“
Andere Sender haben auf dem Dachboden noch einige alte Science-Fiction-Gruselfilme gefunden, die sich prächtig dazu eignen, an so einem Tag über den Schirm zu flimmern. Und vom Titel her passen auch alle großartig zusammen: „The Core – Der innere Kern“ (Pro7) trifft auf den „Tod aus der Tiefe“ (Kabel 1).
Klaustrophobiker können derweil in die andere Richtung blicken und sich vor „Andromeda – Tödlicher Staub aus dem All“ fürchten. Warum hat da eigentlich keiner 3sat Bescheid gesagt? Die hätten in ihren ganztägigen Louis-de-Funès-Marathon sonst bestimmt gern thematisch passend „Louis und seine außerirdischen Kohlköpfe“ aufgenommen. Schlechte Planung: „Nein!“ „Doch!“ „Ooh!“, um es mit de Funès zu sagen.
Der schale Reigen ließe sich problemfrei fortsetzen. Selbst der Pay-TV-Sender Sky beendet pünktlich zum Anpfiff sein Best-of-Programm der schönsten Fußballspiele der vergangenen Saison und zeigt stattdessen Golf.
Nur der ansonsten Großmannsgelüsten relativ unverdächtige Hessische Rundfunk wagt die Kampfansage an schwarz-rot-goldene Einerlei und sendet sich mit Helene Fischer atemlos durch den Abend. Mit der laut „Bild“-Zeitung „coolsten Frau Deutschlands“ sollte sich doch etwas gegen die Schland-Manie ausrichten lassen, oder? Zumal auch Fischer selbst kein ausgesprochener Fußballfan zu sein scheint. Zumindest nicht, wenn es um ihre Songs geht: Der Parodie „Atemlos übern Platz“ des sächsischen Radiosenders PSR war kein langes Verweilen bei YouTube beschert. Nach knapp 300.000 Klicks war Schluss, da hatte der Musikverlag die Sperrung des zugegebenermaßen sogar im Vergleich zum Original fürchterlichen Songs beantragt.
Aber wahrscheinlich ist der hessische Plan in Wirklichkeit ein anderer: Immerhin hat der Nationalspieler Toni Kroos vor einiger Zeit mal im Interview mit der ARD verkündet, Helene Fischer werde regelmäßig in der Kabine gespielt, „Atemlos durch die Nacht“ sei quasi der inoffizielle WM-Song. Insofern darf man die Übertragung des Konzerts vielleicht als heimliche Anfeuerung der Mannschaft deuten.
Effektiver wäre wohl nur, Helene-Fischer-Songs statt in der deutschen Mannschaftskabine und einem dritten Programm gleich im Maracanã-Stadion laufen zu lassen. Jogis Jungs wären glücklich, viele der deutschen Fans wären glücklich. Und die Argentinier auf der Tribüne und auf dem Platz würden in eine Schockstarre verfallen, die dem Endergebnis aus deutscher Sicht nur zuträglich sein kann.