Am Freitag werden in Marl zum 50. Mal die Grimme-Preise verliehen. Einen bekommt verdientermaßen das „Neo Magazin“, das von Jan Böhmermann kongenial moderiert wird.
Hamburg Man kann Jan Böhmermann nur bemitleiden. Nicht dafür, dass er, beziehungsweise sein „Neo Magazin“, am Freitagabend in Marl mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet wird. Aber dafür, dass er auf dem besten Weg zum ewigen „Talent“ ist. Zumindest beim ZDF. Das hat nämlich augenscheinlich immer noch nicht bemerkt, wer da in den Quotenkatakomben des Nischensenders ZDFneo vor sich hinwerkelt. Quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit dübelt Böhmermann mit seinem Team Woche für Woche Fernsehen für das 21. Jahrhundert zusammen.
Während am Donnerstag im Hauptprogramm des Zweiten zur besten Sendezeit „Die Bergretter“ serienweise Lawinenopfer ausbuddeln, kann man die aktuelle Folge des „Neo Magazins“ schon mal in der Mediathek des ZDF ansehen. Knapp drei Stunden bevor sie im TV läuft, wohlgemerkt. Für die heilige Quotenkuh ist das natürlich nix, sein Marktanteil beträgt im Schnitt 0,4 Prozent. Umso mehr Grund, ihn endlich mal aus dem Keller zu zerren und ins Rampenlicht zu stellen. Denn Böhmermann ist das, was Harald Schmidt früher mal war – mit Internetzugang.
Anders als die anderen beiden Preisträger der Kategorie Unterhaltung, die primär mit sich selbst beschäftigten Ritalin-Clowns Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf, die für ihr Format „Circus HalliGalli“ ausgezeichnet werden, macht Böhmermann im besten Sinn subversiven, intelligenten Klamauk.
Ein Format wie „PRISM is a dancer“, das die Onlinepräsenz willkürlich ausgewählter Zuschauer durchleuchtet, muss man sich erst mal ausdenken. Denn natürlich ist es vordergründig brüllkomisch, peinliche Partyfotos und andere Dinge aus den Untiefen des Netzes vorgeführt zu bekommen. Und dennoch steckt – wie in so vielem, was das „Neo Magazin“ produziert – ein Widerhaken. Unwillkürlich fragt man sich, was Jan Böhmermann wohl über einen selbst herausfinden könnte.
Und spätestens seit vergangener Woche gebührt Böhmermann ohnehin ein Preis: In einem Akt von sender-grenzenlosem Mitleid für den dahinsiechenden Stefan Raab gründete er die „Fernsehnothilfe“, um „TV total“ thematisch auf die Sprünge zu helfen. Mit viel Aufwand produzierte das „Neo Magazin“ ein Video, das vorgeblich ein chinesisches Plagiat der Raab-Sendung zeigt. Raabs Redaktion schluckte den Köder und präsentierte den asiatischen Ableger stolz in der Sendung. Sehr zum Amüsement der „Neo Magazin“-Zuschauer, denen so elegant vorgeführt wurde, dass die Wahrheit im Fernsehen nicht immer höchste Priorität genießt.
„Was das Medium Fernsehen kann, wenn es nur will und nicht muss, führt kaum einer so kompromisslos vor wie Jan Böhmermann als Gastgeber des ‚Neo Magazins‘“, schreibt die Grimme-Jury in ihrer Begründung. Recht hat sie. Bevor der stets viel beschäftigte Böhmermann (gerade ist er als Live-Comedian unterwegs, er produziert zusammen mit dem Sänger Olli Schulz wöchentlich die Sendung „Sanft und Sorgfältig“ für Radio Eins) dem ZDF endgültig verloren geht, sollte man sich in Mainz überlegen, ob moderne TV-Unterhaltung wirklich weiterhin nur in der Nische stattfinden soll. RTL hat bereits angekündigt, ein neues Comedyformat mit Jan Böhmermann drehen zu wollen. Dann könnte der Privatsender möglicherweise auch einmal mehr in der Nominiertenliste des Grimme-Instituts zu finden sein.
In diesem Jahr ist die Liste der Preisträger jedoch wieder klar öffentlich-rechtlich dominiert. Das reicht bis in die Sonderpreise hinein: Die besondere Ehrung des Deutschen Volkshochschulverbands, der sonst nur Persönlichkeiten auszeichnet, die sich in besonderer Weise um das Fernsehen verdient gemacht haben, geht 2014 an ein ganzes Programmformat. Genauer gesagt, an den „Tatort“. Nicht an den aus Hamburg oder München, Kiel oder Konstanz, sondern an die gesamte, 44 Fernsehjahre umspannende Krimireihe. Aus Anlass des 50. Preisjubiläums habe man sich entschlossen, das „letzte Fernsehlagerfeuer“, „das generationsübergreifend mit hohen Einzelqualitäten die Zuschauer mehr als nur in den Bann schlägt“, mit der Auszeichnung zu ehren.
Die wie auch in den vergangenen zwei Jahren von Michael Steinbrecher moderierte Preisverleihung überträgt 3sat am heutigen Freitag live aus Marl.
Grimme-Preis 2014, Fr live ab 19 Uhr, 3sat