Am 1. April wird das ZDF 50 Jahre alt. Die Mainzer sind heute innovativer als die ARD und haben dennoch sehr viel Biederes im Programm.
Hamburg. So wie Thomas Bellut stellt man sich einen modernen Fernsehintendanten vor. Nicht weil er ein freundliches Gesicht hat und viel lächelt. Und auch nicht wegen seiner sonoren Stimme. Bellut ist vielmehr mutig. Er ist einer, der sich was traut: Innerhalb nur weniger Wochen hat er sich im eigenen Sender zweimal vor laufender Kamera Kritikern gestellt, die ihm hart zusetzten.
Vor ein paar Wochen ging es um die Einführung des umstrittenen Rundfunkbeitrags. Bellut hatte es da mit Leuten zu tun wie dem "Handelsblatt"-Redakteur Hans-Peter Siebenhaar, der ARD und ZDF grundsätzlich für gefräßige Nimmersatte hält und darüber ein Buch geschrieben hat. Aber auch der keineswegs weichgespülten Fragen seiner Moderatorin Maybrit Illner musste sich der Intendant erwehren.
Vergangenen Mittwoch ging es dann um die Frage "Ist das ZDF von gestern?" Abermals durfte Bellut von seinen Moderatoren, die ihre Zuschauer duzten, keine Unterstützung erwarten. Beim jungen Publikum der Sendung "log in" auf ZDFinfo kam sein Kontrahent, der Musikmanager Tim Renner - der Bruder des Autors dieser Zeilen, dies zur Klarstellung -, weitaus besser an. Dennoch verhinderte der Intendant nicht, dass am Ende der Sendung die Zuschauer über die Argumente abstimmten. 59 Prozent von ihnen fanden, dass das ZDF sehr wohl ziemlich gestrig sei.
Wer als Intendant sehenden Auges im eigenen Programm in eine solche Abstimmungsniederlage hineingeht, muss schon verdammt cool sein. Aber ist Bellut das wirklich? Man könnte das meinen - jedenfalls dann, wenn man das Programm seines Senders selektiv betrachtet: In Sachen Satire macht dem Zweiten keiner was vor. Formate wie "Neues aus der Anstalt", vor allem aber die "Heute Show" sind konkurrenzlos. ZDFkultur hat sich zu einem der aufregendsten Experimentierfelder des deutschen Fernsehens entwickelt. Mit dem Talk "Roche & Böhmermann", der Sitcom "Götter wie wir" und dem Magazin "Kulturpalast" sind gleich drei Formate des Kanals für den diesjährigen Grimme-Preis nominiert. Und auf ZDFneo sind so interessante US-Serien wie "Mad Men" zu sehen. Bis vor Kurzem lief hier auch die originelle Eigenproduktion "NeoParadise".
Eigentlich herrscht der übliche Biedersinn
Doch ZDFkultur wird Thomas Bellut einstellen. Die "NeoParadise"-Macher Joko und Klaas wechselten zu ProSieben - wohl auch, weil der Intendant ihnen zu spät einen Sendeplatz im ZDF-Hauptprogramm in Aussicht stellte. Zuvor verließ bereits Benjamin von Stuckrad-Barre den Mainzer Sender, der für seine ambitionierte Late-Night-Show bei ZDFneo keine Zukunft mehr sah. Nun sendet er bei Tele 5. Um junge Zuschauer zu erreichen kauft man sich im Zweiten für teures Geld Quote. Noch Belluts Vorgänger Markus Schächter sicherte dem Mainzer Sender für 54 Millionen Euro pro Saison die Übertragungsrechte an der Champions League. Ansonsten herrscht im Rosamunde-Pilcher-Kanal mit "Traumschiff", Kochshows und "Leute heute" der übliche Biedersinn.
Das ZDF präsentiert sich kurz vor seinem 50. Geburtstag am 1. April als Sender mit zwei Gesichtern: Hier originelle, teilweise gar ambitionierte Ansätze, dort harmlose TV-Kost. Im Prinzip ist das in der Geschichte des Zweiten immer so gewesen. Eben weil das ZDF der Zweitgeborene unter den deutschen TV-Sendern ist, musste es mit eigenständigen Programmen auf sich aufmerksam machen. Dazu zählte das "Aktuelle Sportstudio", das mit seiner bis dahin nicht gekannten Mischung aus Unterhaltung und Sportberichterstattung 1963 etwas komplett Neues im deutschen Fernsehen war. Das galt auch für Dietmar Schönherrs Spielshow "Wünsch Dir was", in der schon mal eine Familie in ihrem Auto in einem Wasserbassin versenkt wurde. Ilja Richters "disco" mit ihrer aus heutiger Sicht befremdlichen Mischung aus Pop, Schlagern und Sketchen zählte ebenfalls zu den frühen Programminnovationen. Und mit dem "Kleinen Fernsehspiel", für das einst Rainer Werner Fassbinder, Agnès Varda und Jim Jarmusch drehten, produziert das Zweite seit Sendebeginn eine der ambitioniertesten Filmreihen im deutschen Fernsehen. Doch stets überwogen im ZDF-Programm Formate, bei denen man in puncto Quote nicht so fürchterlich viel falsch machen konnte: Dieter-Thomas Hecks "Hitparade" zählte dazu, aber auch die Ärzte-Schmonzette "Schwarzwaldklinik". Eine sichere Bank waren in den frühen Jahren Quizshows, die sich bereits im Radio durchgesetzt hatten. Hans Rosenthals "Dalli Dali" war ein solches Quiz, das zuvor schon im WDR-Hörfunk unter dem Titel "Die dreifache Chance" erfolgreich gelaufen war.
Problematische Abhängigkeit von Politik
Unter dem Intendanten Dieter Stolte dünnten zwischen 1982 und 2002 innovative Formate aus. Zuvor hatte Stolte bereits als Programmdirektor die Absetzung von Dieter Hildebrandts scharfzüngiger Satiresendung "Notizen aus der Provinz" verfügt. Politische Satire sollte es in seiner Amtszeit nicht mehr geben. Erst unter Stolte-Nachfolger Schächter nahm das Zweite 2007 mit "Neues aus der Anstalt" dieses Genre wieder in sein Programm.
Zu den großen Problemen des ZDF zählte in all den Jahren die Abhängigkeit von der Politik. In keinem anderen deutschen Sender sind hochrangige Politiker in so großer Zahl in den Aufsichtsgremien vertreten wie im Fernseh- und Verwaltungsrat des Zweiten. Ihr Einfluss wurde 2009 deutlich, als gegen den Willen des Intendanten die Unionsmehrheit im ZDF-Verwaltungsrat sich weigerte, den Vertrag des unbequemen Chefredakteurs Nikolaus Brender zu verlängern. Dies nahmen die Bundesländer Rheinland-Pfalz und Hamburg zum Anlass, um eine Verfassungsklage gegen den ZDF-Staatsvertrag einzureichen, über die noch nicht entschieden ist.
Sehr stolz ist Intendant Bellut darauf, dass sein ZDF 2012 mit einem Marktanteil von 12,6 Prozent Marktführer im deutschen Fernsehen war. Dies lag aber weniger an der Stärke des Zweiten als vielmehr an der Schwäche seiner Wettbewerber ARD und RTL. Hinzu kam, dass 2012 mit der Fußball-Europameisterschaft und den Olympischen Spielen zwei quotenstarke Sportereignisse stattfanden, die ausschließlich von den Öffentlich-Rechtlichen übertragen werden.
Wichtiger als solche Quoten-Momentaufnahmen ist für die Zukunft des Zweiten der drohende Generationenabriss des Senders. Der durchschnittliche ZDF-Zuschauer hat das 60. Lebensjahr bereits vollendet. Dabei gibt es im ZDF durchaus innovative Programme, die auch jüngere Zielgruppen anziehen. In dieser Hinsicht hat es die ARD längst überholt. Das Problem ist nur, dass diese Programme fast ausschließlich auf den Digitalablegern des Zweiten laufen. Ob es ausreicht - wie es das ZDF vorhat - eine alte Schlagermoderatorin wie Carmen Nebel durch eine junge wie Helene Fischer zu ersetzen, will man den Altersschnitt nachhaltig senken, ist dagegen eher fraglich.
Es stimmt hoffnungsfroh, dass das ZDF mit Jörg Thadeusz nun einen unterschätzten Moderator verpflichtet hat, der im dritten Programm des RBB zu versauern drohte. Nun soll er im Zweiten die Sommerpause der "heute-show" überbrücken. Entscheidend für die Zukunft des Senders wird aber sein, ob er die Schätze, die in seinen Digitalkanälen schlummern, ins Hauptprogramm transferiert. Erst wenn ihm das gelungen ist, wird Thomas Bellut nicht nur wie ein moderner Intendant wirken. Er ist dann auch einer.