Jauch wird’s freuen: Peinliche Premiere der neuen Polit-Talkshow bei ProSieben. Ein Gast hatte schon die Hand am Gewinn von 100.000 Euro.

Hamburg/Köln Wolfgang Kubicki (FDP) erklärt Steuertricks mit Google. Der widerborstige Liberale kann dieser Diskussion über Millionäre, Arme und Steuern überhaupt nichts mehr abgewinnen, die sich bei Stefan Raabs neuer Talkshow „Absolute Mehrheit“ auf ProSieben in den alten Schlagworten erschöpft. Also macht’s Kubicki, selbst solventer Anwalt mit reichlich Nebeneinkünften, mal ganz plastisch: Bei Google, da kann doch jeder nachgucken, wie das mit der Steuer ist. Und die Steuervermeidungstipps, sagt Kubicki, werden in den Suchergebnissen gleich mitgeliefert: „Wie doof ist das denn?“

Es schmerzte, was Raab mit seiner neuen Polit-Talkshow so alles veranstaltete. Erst die Aufregung schon vor der Premiere, weil Umweltminister Peter Altmaier (CDU) absagte und angeblich gar kein Berliner Schwergewicht hinwollte. Dabei wurde – Raab sei Dank – deutlich lauter gebrüllt als bei den Öffentlich-Rechtlichen, gab’s ein Gewinnspiel, und der gepflegte politische Herrenwitz hat auf Pro sieben ein neues Zuhause. Wenn man einen anderen Namen vergeben müsste, könnte man Raabs neue Chaos-Runde auch Bundesvision Laber Contest nennen. Da ist alles drin, Wettbewerb wie bei Schlag den Raab, irgendwas mit Bundes- und vielen Euros und natürlich Vision. Allerdings, das hat Altkanzler Helmut Schmidt mal gesagt, wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.

Also mühten sich Dr. Raab und Peter Limbourg, der Moderatoren-Kämpe als Sidekick, um eine klare Verteilung von Klamauk und Seriosität. Das passt alles so wenig zusammen wie Raabs nassforsches Gebrabbel und Limbourgs Staatsmann-Attitüde. Wer allen Ernstes einen Gast namens Michael Fuchs fragt, wer die Gans gestohlen hat, der ist bei Pro sieben richtig aufgehoben, im Polit-Talk und der vorgeblichen Information aber nicht. Das wird Günther Jauch freuen, der in der ARD seinen Talk so routiniert wie bräsig herunterspielte.

Besetzung ist gar nicht so übel

Dabei ist die Besetzung bei Raab nicht so übel, wie die glauben machen wollen, die nicht gefragt wurden, ob sie bei der Premiere dabei sein wollen. Michael Fuchs ist ein ausgewiesener Wirtschaftsexperte der Union. Und er ist sperrig, so wie sich das gehört für einen Top-Mann der stärksten Bundestagsfraktion. Thomas Oppermann ist fast noch mehr als Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier der Wadenbeißer und Oppositionsführer der SPD im Bundestag. Und über Wolfgang Kubicki freut sich jeder Talkmaster in Deutschland. Der Nord-Liberale fürchtet keine Diskussion, keine Schlammschlacht und schon gar nicht seine FDP.

Beispiel? Am Tag nach der Wahl in Schleswig-Holstein, als er die FDP gegen alle Chancen wieder in den Landtag führte, fuhr er nicht zum Jubeln und Blumenstrauß-Abwurf in die Berliner Parteizentrale. Kubicki kurierte seine Unpässlichkeit nach einer rauschenden Nacht aus. Die Unternehmerin Verena Delius bringt etwas Wirklichkeitsnähe zu Raab. Leider nur die Quoten-Frau. Der Linken-Fraktionsvize Jan van Aken ist dagegen ein geübter Haudrauf. Der Hamburger ist rhetorisch gut und hat keine Angst vor knalligen Argumenten.

Als Raab seine Gäste ankündigt wie Boxer vor dem Kampf, da ahnt man bereits die Fallhöhe dieser Veranstaltung. „Mr. 8,2 Prozent, Wolfgang Kubicki!“ Über van Aken schreit Raab in die Runde: „Der Reichenschreck!“ Und kein Scherz ist blöd genug, dass Raab ihn verschmäht: „Wenn der Rösler das jetzt beim Abendessen sieht – hoffentlich fallen ihm nicht die Stäbchen aus der Hand.“

Zwischendurch muss auch etwas Geld verdient werden – das von Stefan Raab. Das Gewinnspiel und die Werbepausen lassen ein paar Sekunden Zeit zum Atmen in diesem Tohuwabohu. Auch wird eine Reklame im Split-Screen-Verfahren geschaltet. Da ploppt plötzlich ein Kaufhinweis für ein Tablet-Gerät auf dem Bildschirm auf. Gewöhnungsbedürftig für die talkshow-affine Generation Ü60 – völlig normal für Raabianer.

Themen im Schweinsgalopp abgehandelt

Die Themen sind im Schweinsgalopp abgehandelt. Oppermann sagt: „Unten wird zu wenig verdient, oben wird zu wenig versteuert.“ Van Aken sagt: „Auch die Armen zahlen Steuern.“ Er meint die Mehrwertsteuer, die ja auf jedem Brötchen bleischwer liegt. Und die tut Herrn Kubicki, sagt van Aken, ja nicht so weh, „der auf‘m Sofa sitzt und seine Millionen zählt“. Dann muss, gähn, die Energiewende besprochen werden, die sozialen Netzwerke und ihr böser Einfluss auf den Berliner Betrieb.

CDU-Mann Fuchs wird als Erster rausgewählt von den Zuschauern, die per Anruf und SMS voten. Dann wird Unternehmerin Delius gestrichen, die vorher „den geilen dritten Platz“ belegt hatte. Von den dreien im Finale schafft keiner die absolute Mehrheit, die 100.000 Euro. FDP-Mann Kubicki verpasst die Marke knapp und siegt mit guten 42 Prozent vor van Aken (Linke) und Oppermann (SPD).

Die Steuer, die Energiewende, der Einfluss der sozialen Netzwerke – worüber jeder seine Standards abspult, ist letztlich gleich. Raab droht an, dass die nächste Sendung im Januar ausgestrahlt wird. Wer sich dann in seine vorgeblich politische Arena der Blödelei traut, wird es im Wahlkampf dringend nötig haben, irgendwie aufzufallen.

Jauch-Talk war erträglicher

Da war Jauch in der ARD direkt zuvor eine erträgliche Zusammenfassung der Diskussion um Arbeit und gerechte Löhne. Jauch hatte nach dem Tatort eine Bombenbesetzung: Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU), Linken-Legende Oskar Lafontaine und ein sympathischer FDP-Mann, der als Friseur-Unternehmer gut abschneidet: Thomas Kemmerich. Dabei hat der gar keine Haare mehr. Dazu ein SPD-Bundestagsabgeordneter, der mal Müllmann war: Anton Schaaf.

Die Arbeitsministerin tut und sagt, was sie immer tut und sagt: einen guten Eindruck machen mit den Sätzen, die so wahr sind, dass niemand widerspricht. „Die Wirtschaft ist dazu da, den Menschen zu dienen und nicht umgekehrt.“ Von der Leyen beklagt, dass es keine vernünftigen Tarife gibt bei den Friseuren in Ostdeutschland: „Oft gibt es keine Gewerkschaften und Arbeitgeber, die Tarife abschließen – da bin ich bei Ihnen, Herr Lafontaine. Die müssen einen Lohn aushandeln, von dem man leben kann.“

Als Kümmerin profiliert, dem Linken die Luft zum Atmen genommen – von der Leyens Umarmungsstrategie ist gut. Dass sie politisch für den Konsens, den Mainstream, das leicht sozialdemokratisch Eingefärbte in der modernen Union steht, das hat sie mehrfach bewiesen. Für von der Leyen ist der Jauch-Auftritt der mühsame Versuch, das Desaster der Zuschussrente mit neuen Spielfeldern zu übertünchen, sich für den Wahlkampf, für das nächste Kabinett warmzulaufen. Und sie punktet, wenn sie sagt, dass ja die FDP den Mindestlohn blockiert.

Jauch legt den Finger in die Wunde

So dreht sich alles um gerechte Bezahlung. Und Jauch legt den Finger in die Wunde: Wer nur 500 Euro im Monat verdiene, könne davon nicht leben. „Sind Sie ein Lohndrücker, Herr Kemmerich?“ Der FDP-Mann weicht aus, windet sich. „Wir sind alle bemüht, die Bedingungen für die Mitarbeiter zu verändern.“ Aber die Preise werden steigen, wenn man Mindestlöhne zahlt. Jauch sekundiert: Ja, die Deutschen seien ja notorische Schnäppchenjäger. Eine Friseurin im Publikum hält dagegen, dass die Kunden das schon akzeptieren würden.

SPD-Mann Schaaf versucht einen Seitenhieb auf von der Leyen: „Da helfen keine warmen Worte.“ Die Regierung, der ja von der Leyen angehöre, könne einen Mindestlohn einführen. Und die Ministerin vergisst nicht, pflichtschuldig zu versprechen: „Im nächsten Koalitionsvertrag steht das drin.“

So plätschert es bei Jauch hin, gesittet, gepflegt und mit der lakonischen Millionen-Frage von Günther-Jauch: „Sind Sie nicht ein Populist, Herr Lafontaine?“ Ja – und? Populus ist schließlich das gemeine Volk, und in der Demokratie sind das die, die wählen. Bei so viel suggestiver Moderatorenkraft kann man nur auf nächsten Sonntag schielen: Geht nicht mal ein ganz anderes Thema?