Die Europaabgeordnete und Spitzenkandidatin der FDP für die Europawahl am kommenden Sonntag ist vor Gericht gescheitet. Sie hatte einen Bericht über ihre Präsenz in Brüssel untersagen lassen wollen.
Hamburg. Die Europaabgeordnete Silvana Koch-Mehrin (FDP) ist am vergangenen Freitag in Hamburg mit dem Versuch gescheitert, die Verbreitung einer Prozentzahl gerichtlich verbieten zu lassen. Zunächst hatte sie im Wege einer einstweiligen Verfügung durchgesetzt, dass nicht mehr verbreitet wird, sie sei laut einer Studie nur bei 38,9 Prozent aller Parlamentssitzungen in der Zeit von Mitte 2004 bis Ende 2008 anwesend gewesen. Die Zahl ist für Koch-Mehrin nicht ohne Brisanz. Immerhin ist sie erneut Spitzenkandidatin der Liberalen bei der Europawahl am kommenden Sonntag.
Koch-Mehrin, die derzeit auf vielen Plakaten am Straßenrand die Wähler anlächelt, war bei der Verhandlung vor die Pressekammer des Hamburger Landgerichts nicht anwesend. Ihr Gegner in dem Rechtsstreit: Die F.A.Z. Electronic Media GmbH (FEM), eine Tochter der Frankfurter Allgemeinen Zeitung GmbH (FAZ). Die hatte am 22. April einen Text ihres Brüsseler Korrespondenten Michael Stabenow auf ihre Internetseite gestellt, für die die FEM zuständig ist. Koch-Mehrin hatte gegen diesen Text eine einstweilige Verfügung erwirkt, gegen die wiederum die FEM Widerspruch eingelegt hat.
Der Artikel befasste sich im Wesentlichen mit der Studie von Flavien Deltort, ehedem Assistent eines italienischen EU-Abgeordneten. Deltort hat Berichte, Anfragen und Resolutionen der Parlamentarier gezählt, die von der EU-Administration geführten Anwesenheitslisten ausgewertet und daraus ein Art Fleiß-Ranking erstellt.
Über Silvana Koch-Mehrin schrieb der FAZ-Korrespondent im Zusammenhang mit der Studie, sie stünde mit einer „Präsenzquote von 38,9 Prozent“ an letzter Stelle der deutschen EU-Abgeordneten. Und weiter: „Offenbar unberücksichtigt ist in der Statistik, dass Koch-Mehrin einen Mutterschaftsurlaub von acht Monaten nahm.“
Koch-Mehrin, die sich 2005 vom „Stern“ mit Babybauch ablichten ließ (Überschrift: „Mein Bauch provoziert“), fühlt sich schlecht behandelt, weil sie aus Schwangerschaftsgründen an einigen Sitzungen nicht teilgenommen hat. Ihr Anwalt Ralph Oliver Graef formuliert es in der Verhandlung vor der Hamburger Pressekammer so: „Man wirft ihr vor, sie habe geschwänzt: So kommt die Berichterstattung doch rüber.“
Nun war in dem beanstandeten Artikel allerdings gerade die Schwangerschaft erwähnt, also eine mögliche Erklärung für die niedrige Präsenzquote mitgeliefert. Auch der Vorsitzende Richter Andreas Buske verbirgt sagte eingangs der Verhandlung: „Die Elternschaft halten wir nicht für maßgeblich, weil es um die tatsächliche Anwesenheit geht.“ Also um die Frage: Wie oft ist Silvana Koch-Mehrin tatsächlich bei Parlamentssitzungen gewesen?
Stimmen die 38,9 Prozent? Keine schöne Zahl, deshalb holt Anwalt Graef sein nächstes Argument hervor. An einigen von den Tagen, an denen Koch-Mehrin laut Anwesenheitsliste des EU-Parlaments abwesend gewesen sei, habe sie dennoch abgestimmt. Dies gehe wiederum aus anderen EU-Listen über das Verhalten der Abgeordneten bei namentlichen Abstimmungen hervor. Schlussfolgerung: Die Anwesenheitslisten seien nicht zuverlässig, die 38,9 Prozent aus der Studie könnten deshalb nicht stimmen.
Anwalt Roger Mann, der die FEM vertritt, hat einen dieser Tage kontrolliert, von denen Graef meint, Koch-Mehrin sei dabei gewesen: den 14. Dezember 2004. Mann: „Ich habe keinen Hinweis dafür gefunden, dass sie da irgendwo abgestimmt hat.“ Graef holt nun seinen Laptop hervor, um mit Hilfe von EU-Internetseiten das Gegenteil zu belegen. Doch er scheitert an einem technischen Problem: Er bekommt keinen Internetzugang.
Am Ende entscheidet die Kammer, dass die einstweilige Verfügung aufgehoben wird. In der Internetausgabe der FAZ darf nun also wieder stehen, dass sie laut Studie nur eine Präsenzquote von 38,9 Prozent hatte.
Diese strittige Zahl, die ja für den Zeitraum von Mitte 2004 bis Ende 2008 galt, hat sich im Laufe dieses Jahres übrigens leicht gebessert. Bei www.parlorama.eu, der Deltort-Internetseite, liegt sie aktuell bei 41 Prozent, weil sie im Jahr 2009 bei Sitzungen dabeigewesen ist. Noch besser sieht es für sie auf ihrer EU-Internetseite aus, die es für jeden einzelnen Abgeordneten gibt. Dort hat sie aktuell eine Präsenzquote von 62 Prozent.
Die Sitzungen, die sie wegen ihrer Mutterschaft versäumt hat, werden bei ihr bei der Präsenzquotenberechnung einfach nicht berücksichtigt. Aber auch mit diesen 62 Prozent liegt Silvana Koch-Mehrin im Vergleich mit den Quoten der anderen 98 deutschen Abgeordneten immer noch nur an viertletzter Stelle.