Weimer muss das Magazin nach nur einem Jahr verlassen. Bisheriger Co-Chefredakteur Uli Baur übernimmt die Leitung künftig alleine.
München. Der Burda-Verlag trennt sich von "Focus"-Chefredakteur Wolfram Weimer, der sein Amt bei dem Nachrichtenmagazin damit nach nur einem Jahr wieder verlässt. Wie der Burda-Verlag am Dienstag in München mitteilte, wolle sich Weimer neuen Projekten zuwenden können, werde das Unternehmen aber weiterhin beraten. Co-Chefredakteur Uli Baur werde das Blatt nun alleinverantwortlich führen. Weimer habe den „Focus“ in den vergangenen Monaten auf einen Kurs von „höherer journalistischer Relevanz“ gebracht, der auch die Verkaufszahlen gesteigert habe.
„Sowohl der Verleger als auch Vorstand und Geschäftsführer des „Focus“ sind Dr. Wolfram Weimer dankbar für die geleistete Arbeit und sein großes Engagement bei der Positionierung des „Focus„“, heißt es weiter. Der von Weimer eingeschlagene Weg werde auch unter Uli Baur fortgesetzt. Zwischen Weimer und Baur war es immer wieder zum Machtkampf in der Redaktion des Nachrichtenmagazins gekommen.
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Wenn es einen Gründungsmythos des "Focus" gibt, dann diesen: Verleger Hubert Burda und Journalist Helmut Markwort gehen am Tegernsee spazieren. Sie blicken vom Gestade auf die sich kräuselnden Wellen. Sie sehen sich an und wissen: Der "Focus" ist geboren.
Eigentlich wollte Verleger Hubert Burda schon seit Anfang der 60er-Jahre ein Nachrichtenmagazin herausgeben. Aber nie war die Zeit reif dafür. 1986 kam der Moment. "Als ich Markwort an seinem 50. Geburtstag fragte, ob er Lust hätte, etwas Großes zu machen, sagte er: ,Ja, ein Nachrichtenmagazin.' Auf diesen Moment hatte ich 25 Jahre lang gewartet", erinnerte sich Burda später. Markwort begann mit dem Entwickeln. Bei besagtem Spaziergang 1989 überzeugte Markwort den Verleger mit seinem Konzept. Am 18. Dezember 1990 unterschrieb er seinen Arbeitsvertrag.
Helmut Markwort ließ sich nicht davon abschrecken, dass es zahlreiche vergebliche Versuche gegeben hatte, ein Nachrichtenmagazin neben dem "Spiegel" zu gründen. Markworts erste "Focus"-Mitarbeiter waren sein Stellvertreter Uli Baur, seine Sekretärin und sein Fahrer. Ab 1992 wurden erste Redakteure engagiert. Ihr Projekt hatte noch einen Decknamen: "Zugmieze". Rudolf Augstein, Herausgeber des "Spiegel", spottete damals: Burda könne nach seinem Ruin durch das neue Nachrichtenmagazin bei ihm in Hamburg jederzeit eine warme Suppe bekommen.
Es ist anders gekommen: Als der "Focus" am 18. Januar 1993 auf den Markt kam, war das Heft schnell ausverkauft. Fortan sollte es zwei Nachrichtenmagazine in Deutschland geben. Der "Focus" war für den Magazinjournalismus in Deutschland eine Revolution. Legendär wurde der TV-Werbespot, mit dem Markwort für den "Focus" warb. Der Mann mit der Wuschelmähne thronte inmitten seiner Redaktion und donnerte: "Fakten, Fakten, Fakten!" Oder: "Und immer an den Leser denken." Und er hatte recht. "Spiegel"-Leser quälten sich bis dahin durch lange Bleiwüsten. Dem Magazin fehlte Farbe und Übersichtlichkeit. Hinzu kam die Arroganz des Marktführers.
Markwort wollte seine Leser informieren, mit Text, Bild und Grafiken. Er predigte Nutzwert, wollte Berichterstattung nicht nur über Politik, Wirtschaft und Kultur, sondern auch über neue Technologien, neue Produkte. Seine Zielgruppe: die "Info-Elite".
Die "Focus"-Redakteure servierten nicht nur Info-Häppchen, sondern auch Investigatives: So deckten sie 1994 auf, dass bestochene Ärzte beim Einsetzen von Herzklappen mehr abgerechnet hatten als erlaubt. Außerdem enttarnten sie den Promi-Reporter Tom Kummer vom "SZ-Magazin" als Fälscher. Auch die Lustreisen von VW-Funktionären entdeckten sie als Erste.
Auflage und Anzeigenaufkommen stiegen. Ende der 90er-Jahre verkaufte der "Focus" zeitweise über 860 000 Exemplare - der "Spiegel" lag damals über der Millionenmarke. Heute verkauft Burda nur noch 550 000 Exemplare, während der "Spiegel" sich weiterhin an der Millionenmarke orientiert.
Was ist passiert? Dass es dem "Spiegel" heute im Vergleich zum "Focus" gut geht, liegt sicher daran, dass die Hamburger sich von den Münchnern haben inspirieren lassen. Der "Spiegel" ist nun farbiger, geordneter, weniger meinungsüberladen. Aber er ist dennoch das geblieben, was er einmal war: ein politisches Nachrichtenmagazin.
Der "Focus" sucht seine Rolle: Markwort ist seit dem vergangenen Jahr Herausgeber des Heftes. Viel zu spät machte er den Weg für einen Nachfolger frei.
Zum Schluss haben die vielen Tabellen und Grafiken die Leser eher abgeschreckt. Auch weil viele Zeitungen mittlerweile auf Verbraucherjournalismus setzen und der "Focus" sein Alleinstellungsmerkmal verloren hat.
Sein Nachfolger Wolfram Weimer will weniger Nutzwert und mehr Meinung im "Focus" sehen. Ein Debatten-Ressort hat der ehemalige Chefredakteur des Debattenheftes "Cicero" eingeführt, und das Magazin hat ein neues, ruhigeres Layout bekommen. Weimers Versprechen lautet: "Relevanz, Relevanz, Relevanz." Um den Erfolg zurückzuholen, setzt Weimer auch mal auf Risiko: Als der Spiegel im vergangenen Jahr mit den WikiLeaks-Enthüllungen erschien, präsentierte Weimer ein Cover mit einem fröhlichen Eisbären und dichtete dazu die Zeile "Prima Klima" mit der Aufforderung "Umdenken: Die globale Erwärmung ist gut für uns".
Auf der anderen Seite punktete das Heft, das in den vergangenen Jahren zunehmend beliebiger geworden war, zuletzt wieder häufiger mit Exklusivmeldungen. Bis zum Sommer soll der neue "Focus" seine Rolle gefunden haben, heißt es. Der Verlag fordert von Weimer, dass der "Focus" relevanter wird, aber dennoch die DNA des Heftes, den Nutzwert, nicht vergisst. Doch nun will man erst einmal feiern, mit einer Werbekampagne und einer Jubiläumsausgabe zum Preis von einem Euro.