Die Finanzkrise und ihre Chancen standen im Mittelpunkt der zweitägigen Journalistentagung “Netzwerk Recherche“.
Hamburg. „Ich finde Krisen eigentlich großartig“. Auch ein solcher Satz fiel am Rande von Netzwerk Recherche (nr), der alljährlichen, mit 600 Teilnehmern gut besuchten Journalistentagung in Hamburg, bei der an zwei Tagen der Zustand der Branche analysiert, beklagt und nur selten gefeiert wurde.
Aber Hoffnungsschimmer taten sich doch auf „zwischen Morgen und Grauen“ (nr-Motto): „Ich finde Krisen eigentlich großartig“, sagte „Spiegel“-Ressortleiter Cordt Schnibben zum Abendblatt. „Natürlich sind sie ökonomisch ein Problem, aber für uns Journalisten eine große Möglichkeit, weil durch sie etwas aufbricht. Man guckt in den Maschinenraum der Gesellschaft und kann Dinge beschreiben, die man vorher nie beschreiben konnte. Wenn Sie vor zwei, drei Jahren versucht hätten zu beschreiben, wie Finanzmärkte funktionieren, hätten Sie keine Gesprächspartner gefunden, die Ihnen entsprechend kritisch darüber Auskunft gegeben hätten. Deshalb ist jetzt die Chance, das aufzuschreiben. Man kann so über die Teile der Gesellschaft berichten über die man früher nicht berichten konnte. Die Krise die große Chance, Geschichten zu erzählen, die man vorher nicht erzählen konnte.“
Auch Hans Leyendecker, Leiter des neu gegründeten Ressorts „Investigative Recherche“ bei der „Süddeutschen Zeitung“ und nr-Mitbegründer befand: „Wir brauchen gerade in Zeiten wie diesen gute Journalisten, die versuchen das, was scheinbar nicht zu erklären ist, zu erklären und einzuordnen – zumindest das Angebot dazu machen.“
So gesehen eine Chance für den Journalismus im Allgemeinen und den Journalisten im Besonderen – natürlich nur für den, der sie zu nutzen weiß. „Journalisten müssen noch schärfer über Themen nachdenken“, meint Schnibben. „In den Zeiten, als alles noch locker lief, konnte man sich eher erlauben zu sagen: ‚Das Thema machen wir mal irgendwann, vielleicht in drei, vier Wochen.’ Heute ist ein Thema nur noch sehr kurze Zeit aktuell, weil sich die Gesellschaft so schnell weiterentwickelt. Journalisten müssen noch mehr Entdecker sein, auf der Welle der Zeit surfen und ein Gespür dafür haben: ‚Was ist in diesen Tagen das Thema?’.“
Insgesamt, so ein Fazit vieler Vorträge und Podiumsdiskussionen, gehe der Trend weg vom „Häppchenjournalimus“ hin zu erklärenden, gut erzählten Texten. Weg von der Schönschreiberei, hin zu komplexen Inhalten. Zu oft werde auf „Billigware“ gesetzt, sagt Leyendecker. Stattdessen sei es wichtig, neue journalistische Formen auszuprobieren – „auch wenn Journalisten dafür ein Stück weit mehr arbeiten müssen.“ Mehr Arbeit – mehr Ertrag? Vielleicht. Oder, mit den Worten von Cordt Schnibben: „Der Anreiz, ein guter Journalist zu sein, hat eher noch zugenommen.“