Hamburg. Die französische Komödie „Der Vorname“ im Theater Kontraste im Winterhuder Fährhaus begeistert Premieren-Publikum.

Wenn der Gastgeber fast nackt, in ausgeleierter weißer Unterhose und nur auf Socken, dasteht, kurz bevor die Gäste kommen, hat das nicht besonders viel Charme. Aber Literaturprofessor Pierre hat ja seine Ehefrau Elisabeth, genannt „Babou“, die die Küche schmeißt, die zwei Kinder ins Bett bringt und wie nebenbei noch als Französischlehrerin an einer kleinen Schule arbeitet.

Pierre und „Babou“ haben in ihrer Pariser Wohnung zum Abendessen geladen: ihren Bruder Vincent, dessen schwangere Frau Anna und den Hausfreund Claude – ganz modern bei arabischem Büfett. In diesem Bildungsbürger-Ambiente können selbst derartige Szenarien ihren Reiz sowie komödiantisches Konflikt- und Wiedererkennungspotenzial entfalten. Wie jetzt im Theater Kontraste zu erleben ist.

Gesellschaftskomödie mit Getrampel gefeiert

Im kleinen Saal des Winterhuder Fährhauses spielt die Salon- und Gesellschaftskomödie „Der Vorname“, die 2012 am Schauspielhaus deutschsprachige Erstaufführung hatte, in einer gelungenen, bei der Premiere teils sogar mit Getrampel gefeierten Neu-Inszenierung von Meike Harten. Die Schauspieler, sie geben das, was die Autoren Matthieu Delaporte und Alexandre de La Patellière für ihren Pariser Theatererfolg als tollen Rahmen geschaffen haben. Und großteils sogar noch mehr.

Da ist wieder mal Konstantin Graudus, vom Fährhaus-Intendanten Michael Lang als das „Gesicht des Theaters Kontraste“ bezeichnet. In der Rolle des linksintellektuellen Profs Pierre kennt er keinen Spaß, als sein Sprüche klopfender Schwager Vincent (Michael Lott) mit ihm und den anderen ein Spielchen treibt und den geplanten Namen des ungeborenen Sohnes rauslässt: „Adolphe“! Trotz der etwas anderen Schreibweise – dabei denken auch unsere französischen Nachbarn eher an den deutschen Diktator und Massenmörder als an den Romanhelden des romantischen Dichters Benjamin Constant, meint nicht nur Pierre. Den gibt Graudus – von einer frankophilen Zuschauerin im Scherz treffend auch als „Bauch des Theaters Kontraste“ bezeichnet – jetzt in Hemd und Hose mit sich stetig steigernder Aggro-Haltung als geistig Überlegenen, dem aber alsbald die Munition ausgeht.

Überraschende Statuswechsel der Charaktere

Mit Rotweingläsern in der Hand schaukelt sich der Konflikt zwischen Pierre und Vincent hoch und gleitet mehr und mehr ins Persönliche ab. Dialoge und Pointen sitzen. Da unterstellt Pierre seinem Schwager: „Du bist Egoismus pur!“, während Vincent ihn als „Geizkragen“ beschimpft. Pierre, von Graudus erst blasiert, dann wunderbar blamiert verkörpert, muss sich für die Namenswahl seiner Kinder rechtfertigen: „Adonas und Athena? Originell ist besser als anormal!“, entgegnet der Professor der mit reichlich Verspätung auftauchenden und rauchenden Anna (Jodie Ahlborn).

Ihre Figur ist die der starken, frischen (Karriere-)Frau. Alle anderen Charaktere machen im Laufe des Abends einen teils überraschenden Statuswechsel durch – ein zusätzlicher Reiz dieser Komödie. Jeder der Männer wird so früher oder später zur Zielscheibe des Spotts. Und sei es, dass sich bei Vincent plötzlich alle über seine „Schnute“ lustig machen. Michael Lott bekommt bei seiner Kontraste-Premiere auch diesen Ausdruck hin.

Unter den drei Männern gewinnt Benjamin Utzerath als Hausfreund und Posaunist Claude als Letzter ungeahnt Konturen: Anfangs leicht verschroben als pinguinhafter Musiker in Frack und weißem Hemd mit orangefarbenen Socken, danach fast frech, liegt und hockt er am Ende derangiert und blutverschmiert auf dem Sofa. Sätze wie „Es macht nichts, wenn du schwul bist“ hatte sich „die Pflaume“ zuvor anhören müssen. Als sich Claude dann aber als langjähriger Lover von Elisabeths und Vincents Mutter entpuppt, kennt Vincent bei der Schlacht am Familienbüfett nur noch handfeste Argumente.

Am Ende stehen fast alle nackt da

Spätestens hier ist Elisabeth alias „Babou“ gefragt. Vivien Mahler heimst als umsorgende, gestresste, den spießigen Kerlen letztlich überlegene Gastgeberin mehr als nur Szenen- und Sympathiebeifall ihrer Geschlechtsgenossinnen ein. Sie, die bis dato Ignorierte und Isolierte, holt zum Rundumschlag aus: gegen ihren kleinen Bruder Vincent („Du verwöhntes Muttersöhnchen!“) und ihren Ehemann Pierre, dem sie einst zur Karriere verhalf.

Ohne dass einer der Männer (noch mal) die Hosen herunterlässt, stehen am Ende alle Beteiligten fast nackt da. Seelisch entblößt, nahezu entlarvt. Ein Verdienst nicht bloß des Autorenduos, auch der Regisseurin. Dass Meike Harten den als Filmschauspieler bekannten und als Synchronsprecher im Kino ausgezeichneten Lott („Schmidts Katze“, „Willkommen bei den Sch’tis“) mit Mikrofon als Erzähler ins Stück einführen lässt, ist ein weiterer Kniff.

Da stören in Sabine Flunkers origineller Ausstattung auch die kleinen Ungereimtheiten nicht: Aus der gut acht Meter breiten, aus Obstkisten gebauten Regalwand ragen fast alle Bücher anstatt mit den Buchrücken mit den Seiten heraus. Anders als in Frankreich öffnet in dieser Wohnung sogar die Frau die Weinflaschen. Und dass die Gastgeber in Birkenstocklatschen empfangen, wirkt dann doch sehr deutsch.

„Der Vorname“ bis 21.2.2016, Theater Kontraste
im Winterhuder Fährhaus (U Hudtwalckerstraße), Hudtwalckerstr. 13, Karten zu 26,-/erm. 19,- unter
T. 48 06 80 80; www.theater-kontraste.de