Hamburg. Bloß nicht auffallen, lautet das Motto. Einheitliche Sprache und Kleidungsstil sind wichtig. Fehler werden blitzschnell über soziale Netzwerke zurückgemeldet und weltweit verbreitet.

Wenn ich mich in eine Hamburger U-Bahn, in eine S-Bahn oder einen Bus setze und höre, wie sich Jugendliche miteinander unterhalten, sehe ich, wie ältere Menschen anfangen zu schmunzeln. Das ist noch nett. Andere Ältere sind genervt und beschweren sich über die verwahrloste Sprache der Jugend.

Da sprechen sich Mädchen gegenseitig mit „Junge“ an, in jedem Satz kommt mindestens einmal das Wort „Digger“ vor, und ständig fällt das Wort „Yolo“ als Lebensmotto eines jeden Jugendlichen in unserer Zeit. „Yolo“ ist die Abkürzung für den englischen Satz „You only live once“: Du lebst nur einmal. Ich frage mich, ob ich mich in 60 Jahren vielleicht auch über die Jugendlichen beschweren werde. „Digger“ ist in Hamburg übrigens einfach nur eine Anrede unter Freunden.

Ältere Menschen können, wenn sie uns zuhören, den Eindruck bekommen, dass die Vielfältigkeit der Sprache verloren geht. Aber nicht nur das.

Meine Eltern sagen oft, dass sie den Eindruck haben, dass alle Jugendlichen ähnlich aussehen. Sie meinen, die Jungs tragen die gleichen Frisuren und Klamotten. Ebenso die Mädchen. Früher haben Jugendlichen offenbar deutlicher gemacht, zu welcher Gruppe sie gehören möchten. Da gab es die Punks, die Hippies oder doch die Rock‘n’Roller. Ich habe ehrlich gesagt noch nie darauf geachtet, ob ich und meine Freundinnen uns ähnlich anziehen. Vielleicht haben wir einfach keinen so großen Drang dazu, besonders individuell zu sein oder aufzufallen.

Uns interessiert eher, wie viele „Likes“ wir auf Facebook oder „Follower“ auf Instagram haben. Mit einem „Like“ erfahre ich, ob jemand meinen Eintrag auf Facebook gut findet. „Follower“ sind die Leute, die sich meine Fotos auf Instagram anschauen.

Wenn wir in diesen sozialen Medien öffentlich machen, dass wir anders sein wollen, dann wissen das nicht nur meine Mitschüler. Nein, das Internet vernetzt uns mit der ganzen Welt, und dann weiß das die ganze Welt. Wenn wir im Internet einen Fehler machen, dann können die Menschen, die uns nicht wohlgesonnen sind, das jeden wissen lassen. Also wollen wir nicht auffallen. Vielleicht sprechen und kleiden wir uns deshalb alle ähnlich.

Sieht so aus, als wäre uns die virtuelle Welt wichtiger als das reale Leben. Vielleicht ist das auf dem Land anders, aber in Hamburg kommt es fast nie vor, dass ein Freund vor deiner Haustür steht, klingelt und fragt, was du gerade machst. Verabredungen werden über WhatsApp besprochen, und selbst dann hat manchmal keiner von beiden Lust aufzustehen, sich anzuziehen und zum anderen zu fahren. Dann bleibt es also doch nur beim Schreiben.

Die Zeit, die man früher in Hobbys investiert hat, verbringen wir inzwischen mit dem Handy oder vor dem Computer.

Hinzu kommen dann meist auch Hausaufgaben, und unter diesen leidet besonders die Freizeit der Gymnasiasten, da ihnen ein Jahr der Vorbereitung auf das Abitur genommen wurde. Im Idealfall soll ein gerade 18-Jähriger sein Abitur nämlich bereits bestanden haben und auch noch wissen, welchen Beruf er ausüben möchte. Doch wer weiß schon mit 18 ganz genau, was er für den Rest seines Lebens machen möchte?

Früher war das anders. Nicht unbedingt besser, aber anders. Berufswege waren häufig vorgezeichnet. Jungs wurden das, was der Vater war. Mädchen machten vielleicht noch eine kaufmännische Ausbildung. Viele junge Frauen kümmerten sich in der Ehe um die Familie.

Heute wissen die meisten Jugendlichen im Alter von 18 Jahren nicht einmal, wer sie überhaupt sind. Man hat auch wenig Möglichkeiten, das herauszufinden. Von Arbeitgebern wird ein geradliniger Lebenslauf gefordert, ohne Unterbrechungen und Abzweigungen, Gelegenheiten, sich auszuprobieren, gibt es kaum. Und wie soll man das unter ständiger Beobachtung der sozialen Medien auch schaffen? Ohne Handy oder Internet ist man heute allerdings „out“, gehört nicht mehr dazu. Es ist schon fast gar nicht mehr möglich, sich der Medienwelt zu entziehen.

Im Berufsleben und in der Schule wird man jeden Tag damit konfrontiert. Aber ein falsches Bild kann dich nicht nur zum Gespött der Schule machen und deinen späteren Berufsweg verbauen. Also: Wie, bitte schön, soll man Individualität erlangen?

Und dann sagen die Eltern: „Ihr seht alle gleich aus. Tragt die gleichen Frisuren, die gleichen Klamotten.“ Und dann sitzt man in Hamburg in der U-Bahn, S-Bahn oder im Bus und redet so miteinander, wie es alle tun, und die älteren Leute regen sich auf über „Digger“ und „Yolo“.