Hamburg. Aurelio Antunes Jerónimo lebt seit 1989 in Deutschland. Seiner Tochter erzählt er, was es bedeutet, die Heimat zu verlassen.

„Ich habe meine Familie im Stich gelassen!“ Das sagt Aurelio Antunes Jerónimo, mein Vater und Immigrant aus Portugal.

Er wanderte aus, um Geld zu verdienen, ein Abenteuer zu erleben in einem fremden Land und um irgendwann zurückzukehren, wie fast jeder Portugiese, der sein Heimatland verlassen hat. Wann das passieren soll, weiß mein Vater heute selbst noch nicht genau.

Aurelio Antunes Jerónimo hat in Portugal die Perspektive im Leben gefehlt. Als ältestes Kind von sechs Kindern musste er schon früh losziehen, um Geld für die große Familie zu verdienen. Es waren kleine Jobs in der Region, entweder in der Landwirtschaft oder auf dem Bau. „Ich bin nur bis zur vierten Klasse zur Schule gegangen, mehr war einfach nicht drin“, erzählt er mir, seiner Tochter. Als er die vierte Klasse beendet hatte, musste er nach Lissabon, sein Vater schickte ihn dorthin. Alleine arbeitete Aurelio Antunes in der Gastronomie als Tellerwäscher und schickte monatlich seinen Verdienst nach Hause. Das waren damals 1500 Escudos, das sind circa 30 Euro. Ihm selbst bleib nicht viel. „Nach knapp einem Jahr ging ich wieder zurück in mein Heimatdorf Malhada Chá bei Coimbra. Die Arbeit in Lissabon lohnte sich einfach nicht und ehrlich gesagt, war ich ziemlich glücklich, nicht mehr alleine zu sein.“

Im Alter von 14 Jahren kehrt mein Vater aus der Großstadt Lissabon zurück nach Malhada Chá mitten in Portugal und versuchte erneut sein Glück als Arbeiter in der Landwirtschaft und auf dem Bau. Als Aurelio Antunes 18 Jahre alt war, fing er als Maurer bei einem Bauunternehmer in Lissabon an. Sein Onkel arbeitete bereits dort und hatte ihm den Weg geebnet.

Obwohl es ihm in diesem Beruf gefiel, kündigte er 1985 seinen Job als Maurer. Er folgte seiner damaligen Freundin, eine Französin, nach Lyon in Frankreich. „Ich dachte, es wäre die Chance für mich, etwas im Leben zu erreichen und um endlich eine Familie zu gründen.“ Die Beziehung scheiterte nach sieben Monaten.

Enttäuscht über den erneuten Rückschlag verließ mein Vater Frankreich und kehrte nach Portugal zurück. Glücklicherweise konnte er wieder bei der Firma in Lissabon arbeiten, bei der er angefangen hatte. Bis 1989 ging das so.

Aber Aurelio Antunes fühlte sich einsam, war unglücklich und verdiente zu wenig Geld. Sein Bruder, Antonio, arbeitete zu dieser Zeit in Deutschland, ebenfalls im Baugewerbe. „Tatsächlich wurde auch mir eine Arbeitsstelle als Maurer in Deutschland angeboten.“

Mein Vater wanderte nach Deutschland aus. Anfangs war es ziemlich schwer für ihn, Fuß zu fassen. Er konnte weder Deutsch, noch kannte er jemanden außer seinen Bruder. „Ich habe mich sehr über die Chance gefreut, in Deutschland arbeiten zu können, ahnte zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht, dass mir Portugal noch sehr fehlen wird.“

Im Sommer flog mein Vater immer wieder nach Portugal, um die Familie zu besuchen. 1991 lernt er dort meine Mutter kennen. Nach wenigen Monaten beschlossen die beiden, in Portugal zu heiraten. Später gab meine Mutter ihren Job als Bürokauffrau auf und folgte meinem Vater nach Deutschland. Auch sie konnte kein Deutsch.

Ein damaliger deutscher Arbeitskollege bot meinen Eltern einen Teil seines Grundstückes an. Noch im selben Jahr baute mein Vater mit seinen eigenen Händen ein Haus. „Ich war glücklich, wir konnten uns etwas leisten und eine Familie gründen. Wir wären in Portugal sicher glücklicher gewesen, hätten uns aber nichts leisten können.“

Die Sehnsucht nach der Familie in Portugal wuchs. Es war sehr schwer für meinen Vater, die deutsche Sprache zu lernen, denn er war immer nur unter Arbeitskollegen, die meisten davon waren Portugiesen. Außerdem gingen sie jeden Sonntag zum portugiesischen Gottesdienst, um auch andere Portugiesen zu treffen. Einige davon sind gute Freunde geworden.

Meine Mutter jedoch wurde bereits sehr früh beim Arzt und im Kindergarten auf die Probe gestellt. Sie konnte sich schnell problemlos auf Deutsch verständigen. Mein Vater sagt heute: „Einerseits fühlte ich mich lange Zeit unwohl, denn ich hatte meine Familie und Freunde in Portugal zurück gelassen. Andererseits würde ich nichts an meinen Entscheidungen ändern, denn jeder Schritt in meinem Leben ist Schicksal gewesen.“ Viele Menschen wüssten nicht, wie hart es ist, sein Heimatland zu verlassen, denn sie hätten es nie getan. „Erst wenn du es verlässt, weißt du es zu schätzen. Ich bin seit über 20 Jahren ein Ausländer, Immigrant in Deutschland und wenn ich in Portugal bin, bin ich immer der deutsche Portugiese.“

Der Vater wird immer zwischen Portugal und Deutschland stehen

In zehn Jahren ist mein Vater 65 Jahre alt. Dann möchte er nach Portugal. Aber nicht für immer.

Mein Vater sagt, dann habe er eine zweite Familie in Deutschland: seine Kinder und die späteren Enkelkinder. Die werden wahrscheinlich zur Hälfte deutsch sein und irgendwie wird er in seinem künftigen Leben immer zwischen Portugal und Deutschland stehen.

Mein Vater ist für mich das beste Beispiel, dass man im Leben die wichtigen Dinge wertschätzen sollte. Ich bin zwar in Deutschland geboren, trotzdem schlägt mein Herz nur für Portugal.

Für mich ist es sehr schwer, jedes Jahr erneut von meiner Familie in Portugal Abschied nehmen zu müssen. Mit Sicherheit werde auch ich irgendwann in meinem Leben nach Portugal gehen, denn ich vermisse mein Heimatland.