Schülerinnen aus Hummelsbüttel haben sich mit Schriftsteller Finn-Ole Heinrich getroffen und ihn zu seinem Roman “Räuberhände“ interviewt

Der Name Finn-Ole Heinrich ist nicht nur Schülern und Deutschlehrern ein Begriff. In seinem ersten Roman "Räuberhände" erzählt der 1982 in Henstedt-Ulzburg geborene und in Hamburg lebende Autor die Geschichte von Janik und Samuel, deren Freundschaft durch ein einschneidendes Erlebnis auf die Probe gestellt wird.

"Räuberhände" ist Pflichtlektüre für das Hamburger Abitur. Schülerinnen aus Hummelsbüttel haben für das Hamburger Abendblatt den Schriftsteller zu seinem 2007 erschienenen Debütroman befragt.

Seine Antworten sind für Tausende Abiturienten interessant, die in der kommenden Woche ihre Deutsch-Abiturklausuren schreiben.

Hamburger Abendblatt:

Warum hat Samuel sogenannte "Räuberhände" und wieso hast du gerade diesen Begriff als Titel gewählt?

Finn-Ole Heinrich:

Also, eigentlich ist das Wort nur ein Geheimbegriff, der nur in Janiks Kopf existiert. Er spricht ihn ja nie aus. Ich finde, die Räuberhände spiegeln die Beziehung zwischen Janik und Samuel sehr gut wider. Zum einen empfindet Janik eine gewisse Bewunderung und Zuneigung für seinen Freund, zum anderen psychologisiert er aber auch an ihm herum, was ja auch sehr paradox ist, weil seine Eltern das auch tun und er gerade das an ihnen kritisiert.

Daneben gibt es in dem Roman noch die "Quallenhand" von Janiks Vater. Welche Bedeutung siehst du in diesem Bild?

Heinrich:

Das ist halt wie bei den Räuberhänden, Janik erfindet das Wort. Er blickt sehr stark auf die Hände und versucht Bruchstellen zu finden. Ihn stört diese Perfektion, und die Entstellung des Vaters macht ihn normal. Für Janik ist es von Bedeutung, wie man zu seinen Fehlern steht beziehungsweise wie man mit ihnen umgeht. Das macht für ihn den Charakter einer Person aus.

Wieso erzählst du in deinem Roman ständig in Zeitsprüngen?

Heinrich:

Ich finde, es ist die angemessenste Form, um die Geschichte zu erzählen. So lässt sich einfach die größte Dramaturgie erzeugen, wenn man die Geschichte anhand einzelner Informationen erzählt. Das hat aber auch viel mit meinem filmerischen Denken zu tun, ich habe ja eigentlich Film studiert.

Über Linas und Bubus Rollen im Roman bestehen in unserem Kursus Fragen. Welche Funktion haben diese beiden Figuren in deinem Roman?

Heinrich:

Auf die Frage bin ich während des Schreibens auch gestoßen: Braucht man die eigentlich? Also, eigentlich sind sie ersetzbar, mir war es aber wichtig, das Erzählspektrum zu erweitern. Ich wollte nicht, dass es zu zentriert ist auf Janik und Samuel. Es gehören ja noch andere Personen zum Leben dazu, ansonsten würde das unrealistisch wirken. Zudem unterscheiden sich die beiden Figuren ja auch stark, und es war mir ebenfalls wichtig, dass er nicht nur Irene aus diesem Obdachlosenmilieu kennt.

Wieso macht Janik mit Lina Schluss?

Heinrich:

Im Prinzip haben sich die beiden ja nicht wirklich geliebt. Und nach dem Vorfall mit Irene ekelt er sich ja auch vor sich selber. Er sucht wieder nach einer gewissen Reinheit, und deshalb macht er mit ihr Schluss.

Samuel sucht seine Wurzeln mit aller Macht in der Türkei. Fühlt er sich bei Janiks Eltern oder Irene nicht zu Hause?

Heinrich:

Ich denke, es ist einfach spannend für ihn: Wo komme ich her? Welchen Einfluss hat diese Welt? Was bedeutet die Kultur? Habe ich mich richtig entwickeln können? Es ist einfach diese Neugier, die wir in uns tragen. Und vielleicht ergibt sich daraus ja auch eine neue Heimat.

Weshalb fährt Samuel nicht nach Deutschland zurück, nachdem er vom Tod seiner Mutter erfahren hat?

Heinrich:

Er ist, glaube ich, einfach sauer und verletzt. Und außerdem ist er gerade dabei, auf seinem eigenen Weg Schritte zu unternehmen - und das ist ihm in diesem Moment wichtiger.

Es wäre doch auch vorstellbar, dass Samuel die Freundschaft mit Janik nach dem Vorfall mit Irene beendet. Warum begibt er sich stattdessen mit ihm nach Istanbul?

Heinrich:

Ja, es ist halt so, dass Samuel versucht rational zu sein und sachlich mit der Situation umzugehen. Die Freundschaft zwischen den beiden hält schon sehr lange an und sie ist ja auch sehr tief, darum war sie identitätsprägend für Samuel. Janik ist einfach ein Teil von ihm. Er versucht damit so gut wie möglich umzugehen, da ihm die Freundschaft viel zu wichtig ist, um sie wegen dieses Vorfalls einfach wegzuschmeißen. Er versucht das Beste daraus zu machen und die Freundschaft noch zu retten.

Warum sucht Samuel die Frau fürs Leben, soll das typisch türkisch sein?

Heinrich:

Das ist einfach Samuels Ding und seine persönliche Haltung zu dem Thema Beziehung. Vielleicht denkt er sogar, es ist typisch türkisch, und er wünscht es sich zumindest, da er die türkische Kultur als perfekt ansehen möchte. Eine weitere Rolle spielt auch seine Mutter bei diesem Thema. Samuel glaubt deswegen so stark an eine funktionierende Beziehung zu einer Frau, weil er selber aus einer zerrütteten Familie kommt. Er möchte es anders als seine Mutter machen, aus ihren Fehlern lernen. Deswegen hat er genaue Vorstellungen von seinem Leben.

Samuel versteht keinen Spaß, wenn es um seine Kultur geht?

Heinrich:

Haha, ja, ich glaube, das drückt auch eine gewisse ironische Selbstdistanz aus. Als er erfährt, dass er wahrscheinlich Halbtürke ist, probiert er, ein anderer zu sein und sich seiner neuen Herkunft und Kultur entsprechend zu verändern, obwohl es ja nicht mal wirklich feststeht. Er versucht sich zu finden und etwas Neues aufzubauen, da empfindet er die Kritik von Janik zu diesem Zeitpunkt als unpassend. Sein perfektes Bild seiner neuen Kultur möchte er sich nicht zerstören lassen. Ihm ist es halt wirklich ernst, und dementsprechend reagiert er auch so.

Warum hast du dich für dieses offene Ende entschieden?

Heinrich:

Ehrlich gesagt habe ich einfach aufgehört, darüber nachzudenken. Die Themen, worum es mir beim Schreiben dieses Buchs ging, waren in erster Linie Freundschaft und Identität. Ich habe mich selber gefragt: Welche Schwierigkeiten können auftreten und unter welchen Gesichtspunkten funktioniert eine Freundschaft überhaupt? Nachdem das geklärt war, war die Geschichte für mich beendet.

In deinem Roman spielt ein Foto für Samuel eine große Rolle. Welche Bedeutung haben Fotos für dich persönlich?

Heinrich:

Ich fotografiere sehr viel und denke, dass Fotos sehr tiefgründige Geschichten erzählen können, die man auf den ersten Blick nicht immer erkennt. Ich stelle mir vieles bildlich vor.

War Schriftsteller schon immer dein Traumberuf?

Heinrich:

Nein, ich habe mit 17 das erste Mal ein Buch aus dem Schrank genommen und es gelesen. Danach habe ich schnell gemerkt, dass ich Geschichten erzählen möchte. Zuerst habe ich an Film gedacht, weil ich mich in der Literatur nicht richtig auskannte. Darum habe ich später Film studiert, weil ich auch im Film Geschichten erzählen wollte. Nebenbei fing ich an, Geschichten zu schreiben, für mich war klar, dass es nach der Schule in den künstlerischen Bereich gehen wird.