München. Früher hing Dave Gahan in unzähligen Jugendzimmern rum - auf Postern. Als Sänger von Depeche Mode wurde der Brite weltberühmt. Nun erscheint ein neues Album und Gahan zeigt sich nachdenklich.
Depeche Mode stellen ihr neues Album „Memento Mori“ vor - doch nicht mehr so, wie sie es 40 Jahre lang gewohnt waren. Seit dem Tod von Andrew Fletcher im vergangenen Mai sind Dave Gahan und Martin Gore zu zweit. „Das Leben ist wunderschön, aber gleichzeitig auch irgendwie grausam“, resümiert Gahan. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur in München anlässlich der Albumveröffentlichung geht es um den Tod, aber auch um Hoffnung und kostbare Zeit.
Sie sind inzwischen 60 Jahre alt. Manche werden mit dem Alter weiser und geduldiger. Haben Sie mehr Geduld?
Ich denke schon. Aber nicht viel. Es gibt eine rote Linie. Ich habe keine Geduld mehr, Zeit mit Leuten zu verbringen, auf die ich eigentlich keine Lust habe. Dafür fehlen mir inzwischen die Geduld und die Toleranz. Das ist auch in meinem Privatleben so, mit Freunden und anderen Leuten, in die ich keine Zeit mehr investieren möchte. Aber ich glaube, das geht auch den Leuten mit mir so.
Weil die Zeit kostbar ist?
Das Album weist immer wieder darauf hin, dass das Leben sehr kurz ist und die Zeit verfliegt. Wenn man älter wird, sieht man vieles klarer, etwa was meine Geduld und meine Toleranz anbelangt. Ich kann besser akzeptieren, was ich will und was ich nicht will. Und manchmal gefällt das den Leuten und manchmal auch nicht.
Wie viele dieser Gedanken stecken im neuen Album?
Musik zu machen ist sehr intim und entlarvend. Manchmal gibt man dabei sehr viel von sich preis. Dinge, die man mag oder nicht mag. Ich versuche, all das in die Art zu legen, wie ich meine Stimme benutze, die ja sozusagen mein Instrument ist. Da sind Freude und Zweifel, Angst und Stärke. Und oft alles auf einmal. Wenn ich auftrete, kommt das alles hervor. Ich liebe diese Freiheit, mich so ausdrücken zu können.
Wie fühlt es sich an, gemeinsam Musik zu machen und zu spüren, wie das Publikum mitgeht?
Das hat mich immer angespornt, weil das über all das hinausgeht, was wir alleine schaffen können. Das gibt mir ein Gefühl der Hoffnung, dass alle Leute eins sind, und dieses Gefühl, zusammen zu sein. Das ist stärker als alles andere, was in der Welt geschieht und wir können alles schaffen.
Haben Sie schon mal über das Ende Ihrer Karriere nachgedacht?
Ich fühle, dass die Zeit kommt. Ich liebe es, aufzutreten, wirklich. Und ich werde einen Weg finden, das auch weiter zu tun. Aber mein Körper wird mir in Zukunft nicht mehr alles erlauben, was ich machen will. Das weiß ich. Aber bis dahin wird hoffentlich noch viel Zeit vergehen.
In „Memento Mori“ geht es um Zeit, die vergeht, um Abschiede, ums Sterben und um die Hoffnung, eines Tages die goldene Treppe in den Himmel empor zu steigen, wie Martin Gore in „Soul With Me“ geschrieben hat. Woher kam die Idee, war es eine Art Intuition?
Martin ist in seinen Texten viel hoffnungsvoller als ich, und ich bin froh, dass er da ist, damit ich über diese Hoffnung singen kann. Ich höre die Hoffnung in diesen Liedern, die andere Leute vielleicht anders interpretieren. Ich brauche das. Die Hoffnung besteht darin, irgendwo diese goldenen Treppen hinaufzusteigen. Ich selbst denke mir immer, warum sollte man davon ausgehen, dass es irgendwo etwas Besseres gibt?
Im Jenseits?
Ja, warum sollte man so denken? Nachdem wir diese erstaunliche Erde bekommen haben, die Welt, die Leute. Soll es danach wirklich noch etwas Besseres geben? Das ist schon etwas gierig, oder? Das ist gierig, das ist menschlich. Wir wollen immer mehr. Es muss immer mehr geben. Es muss immer besser werden. Das ist unser ständiger Kampf.
Wie stellen Sie sich das Jenseits vor?
Gar nicht.
Aber haben Ihnen die Songs zumindest geholfen, besser mit dem Tod von Andrew Fletcher klarzukommen?
Ja. Das wird uns noch lange beschäftigen. Ohne Fletch auf der Bühne zu stehen, Interviews zu führen, Fotosessions, Videos, Reisen. Wir haben das immer gemeinsam gemacht, mit Fletch und Martin waren das 40 Jahre. Jetzt ist alles anders. Aber so ist das Leben. Das Leben ist wunderschön, aber gleichzeitig auch irgendwie grausam. Gerade wenn man denkt, man hat alles unter Kontrolle, passiert etwas. Man verliert einen Freund oder realisiert, dass man doch nicht alles unter Kontrolle hat.
Im Album gibt es immer wieder Momente der Zärtlichkeit. Wie stark hat Sie der Tod Fletchers bei den Aufnahmen in Kalifornien beeinflusst?
Ich will mich gar nicht länger damit aufhalten, dass Fletch in dem Moment starb, als wir gerade wieder dabei waren, zusammenzukommen. Martin und ich hatten schon angefangen. Alle Songs waren bereits geschrieben, wir haben mit den Aufnahmen begonnen, den Titel gab es schon. Ich habe selbstverständlich viel darüber nachgedacht, als wir die Aufnahmen in Santa Barbara fortgesetzt haben. Fletch kam mir oft in den Sinn, wenn ich sang oder wenn ich einfach nur im Hotel war. Wir waren jahrelang immer in Santa Barbara, in der Nähe von Martins Haus. Deshalb fühlte es sich an, als wäre er dabei, auch wenn er physisch nicht anwesend war. Es fühlt sich immer noch surreal an, dass er nicht mehr dabei ist und Teil des Ganzen hier sein wird.
Das Album könnte eine Hommage an Fletcher sein, ein Geschenk.
Wenn wir ein Album aufnehmen, gibt es Vieles, was dort einfließt, auch in unsere Auftritte und unsere Tour. Aber man weiß nie, wann es das letzte Mal sein wird. Ein Freund rät mir immer: Mach es so, als wäre es das letzte Mal. Genieße, was du machst, hol das Beste raus. Denn keiner weiß, was morgen sein wird.
Zur Person: Dave Gahan ist Mitbegründer von Depeche Mode. Zusammen mit Martin Gore und Andrew Fletcher bildete er seit 1980 den Kern der überaus erfolgreichen britischen Band, die mehr als 100 Millionen Tonträger verkauft hat. Der Popsänger stammt aus England, lebt aber mittlerweile mit seiner Familie in New York. Zwischenzeitlich machte Gahan mit Alkohol- und Drogenexzessen Schlagzeilen, ist aber nach eigenen Angaben davon geheilt.