Birte Müller, Mutter, Illustratorin und Schöpferin von „Planet Willi“, erhält das fünfte „Hamburger Tüddelband“
Ein Kind mit Downsyndrom? Das muss doch in Zeiten ausgeklügelter pränataler Diagnostik nicht mehr sein. Diese Logik hat sich niemand ausgesucht, der medizinische Fortschritt zwingt sie uns auf. Sie ist so unüberbietbar zynisch, dass einem der Atem stockt. Doch tatsächlich ist Fachleuten zufolge die Zahl der Down-Kinder spürbar zurückgegangen – stellvertretend für viele andere und oft wesentlich schrecklichere Behinderungen, als die Trisomie 21 eine ist.
Down-Kinder sind für ihre Familien oft der Sonnenschein schlechthin. Niemand bezeugt das glaubwürdiger, fröhlicher und bunter als die Illustratorin und Kinderbuchautorin Birte Müller in ihren Büchern, bei Lesungen und auf Workshops zum Thema Leben mit einem behinderten Kind. Ihren Einsatz für die Kinderliteratur als solche und besonders für das unersetzliche Live-Erlebnis der Beschäftigung mit Büchern und Geschichten würdigen das Harbour Front Literaturfestival und dessen Schirmherrin Christine Kühne mit dem fünften „Hamburger Tüddelband“.
Illustratorin und Kinderbuchautorin war die Hamburger Künstlerin schon vor der Geburt ihres Sohnes Willi, aber Willis Ankunft hat ihrem Leben eine ungeahnte Richtung gegeben. „Das Leben wäre vielleicht einfacher, wenn ich dich nicht getroffen hätte. Es wäre nur nicht mein Leben.“ Dieses Zitat von Erich Fried hat Müller ihrem Bilderbuch „Planet Willi“ vorangestellt, das sie bei der Preisverleihung vorstellen wird.
Längst reicht ihr Œuvre zum Thema weit über das Bändchen hinaus; wer sich auf ihrer Homepage durch „Willis Welt“ scrollt, der bekommt eine Ahnung, was die Familien zu meistern haben, von scheinbar Alltäglichem wie dem Schwimmbadbesuch über den Umgang mit Epilepsie bis zum Kampf gegen steigende Kita-Gebühren. Aber wie „Planet Willi“ all diese Widrigkeiten in 14 Bildern von leuchtend expressionistischer Farbigkeit samt kurzen Begleittexten sublimiert, das ist zutiefst beeindruckend und bewegend, gerade in seinem unsentimentalen Tonfall.
Müller findet eine genial kindgerechte Begründung für Willis Anderssein: Ihr Sohn kommt von einem anderen Planeten! Einem, auf dem man nichts essen muss, auf dem man immerzu kuschelt und gute Laune hat und sehr laute Musik hört. Kein Wunder, dass es für Willi manchmal nicht einfach ist, sich auf der Erde zurechtzufinden.
So fühlt sich Müller in beide Seiten ein: einerseits in Willi stellvertretend für viele andere Kinder mit nicht normgerechtem Verhalten oder Aussehen – und andererseits in all die, die auf die Begegnung mit Außerirdischen nicht gefasst und deshalb oft verunsichert sind.
Müllers unbedingter Klarheit ist zu verdanken, dass „Planet Willi“ nicht in Rührseligkeit abgleitet. Ja, die Eltern haben geweint, als Willi geboren wurde, denn sie hatten sich „eigentlich“ ein normales Kind gewünscht. Die Tränen tropfen auf dem Bild so leuchtend blau, wie Gefühle eben stark sind. Ja, Streiten und Machtkämpfe nerven und überfordern Müller. Doch blitzt gleich wieder ihr Humor durch: Willi hat eine kleine Schwester Olivia, die das „Normal-Syndrom“ hat und von ihrem Bruder so nützliche Dinge lernt: wie richtig tolle Trotzanfälle hinzulegen etwa. Wenn sich die beiden mal wieder gegen die Mutter verschwören, dann steht sie davor mit dieser Mischung aus Hilflosigkeit und Amüsement, wie sie jeder kennt, der mit mehr als einem Kind durchs Leben pflügt.
Müller findet ihr Leben so bunt und schön, wie es ihre Bilder sind. Man glaubt es ihr auf jeder Seite.
Birte Müller 14.9., 9 Uhr, St. Katharinen.Ab 7 Jahren, Tickets zu 6,- (erm. 4,-)unter T. 30 30 98 98