John Neumeier choreografiert „Das Lied von der Erde“zur Musik Gustav Mahlers

Das Glück der ersten Premierennacht genoss diesmal Paris. John Neumeier, der Chef des Hamburg Balletts, hatte 2015 sein jüngstes Werk zur Musik Gustav Mahlers für das Ballet National de L’Opèra de Paris entwickelt: „Das Lied von der Erde“. Ab dem 4. Dezember ist die Inszenierung nun in einer Hamburger Fassung zu erleben, natürlich mit den Tänzerinnen und Tänzern der hiesigen Compagnie.

Neumeiers Beziehung zu dem Komponisten der Jahrhundertwende reicht weit zurück. Als junger Tänzer entdeckte er dessen Musik beim Stuttgarter Ballett in der Choreografie von Kenneth MacMillan. Über die Jahre hat er fast alle Sinfonien und Lieder Mahlers in große Tanzabende übertragen.

„Das Lied von der Erde“ ist ein Werk, entstanden im Schmerz des Komponisten um mehrere Verluste. Die älteste Tochter verstarb früh, die Wiener Operndirektion ging unschön zu Ende. Eine ungünstige Herzdiagnose verhinderte die so geliebten Wanderungen in der Natur. Erst 1911, kurz nach Mahlers Tod, erfuhr der Zyklus seine Uraufführung. Er sei die „ergreifendste und erhabendste Sinfonie von Gustav Mahler“, sagt Neumeier und orakelt, dass sein Ballett Höhe- und zugleich Schlusspunkt seiner Beschäftigung mit dem Komponisten sein könnte.

Die von Neumeier selbst gestaltete Bühne prägen drei symbolisch aufgeladene Elemente: ein Spiegel, der das Geschehen zum Gleichnis erklärt. Außerdem ein blau schimmernder Kreis als Symbol für den Erdplaneten, der aber später rot und golden leuchten wird, vielleicht eine Anspielung auf die berühmten abstrakten Kreisbilder seines großen Idols, des Übertänzers Vaslav Nijinsky. Hinzu kommt ein schräges Rasenstück, das eine Anspielung auf Mahlers Liebe zu den Bergen sein könnte. Der Protagonist lässt sein Leben vor seinem inneren Auge auf der Bühne ablaufen, die fröhlichen entgrenzten Momente von trunkenem Frohsinn, Freundschaft und Anziehung der Geschlechter. Die Begegnung mit einer Liebe der Jugendzeit wird nach Art eines chinesischen Gedichtes erzählt. All diese Momente leben nur in der Erinnerung fort. Auf der Bühne werden sie gleichwohl gegenwärtig.

Die inneren Konflikte der früheren Mahler-Exegesen, auch die Wehmut über das Unwiederbringliche sind längst ausgestanden. Diese Sinfonie ist ein einziger langer Abschied, der seine Rettung gleichwohl nicht in einer spirituellen Übermacht, aber – und das fast auf geradezu fernöstliche Weise – in der Natur und ihrer ewigen Wiederkehr findet, ausgedrückt in den Liedzeilen: „Die liebe Erde allüberall blüht auf im Lenz ... ewig ewig!“

Die drei Hauptrollen sind hochkarätig besetzt mit Hélène Bouchet, Alexandr Trusch und Karen Azatyan. Trusch verkörpert auf der Bühne gleichsam das Alter Ego Mahlers, der im finalen Kapitel seines ­Lebens angelangt ist. Den Kontrast von Jenseitigkeit und Transzendenz einerseits sowie Dynamik und Lebensfreude andererseits nahmen die Kritiker der bejubelten Pariser Uraufführung deutlich wahr. Gegensätze, wie das Leben sie eben schreibt.

Die musikalische Leitung des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg liegt bei Simon Hewett. Ebenfalls mitwirken werden Tenor Klaus Florian Vogt und Bariton Michael Kupfer-Radecky.

„Das Lied von der Erde“ 4.12., 18.00, Staatsoper. Karten zu 6,- bis 159,- unter T. 35 68 68. Weitere Vorstellungen: 6., 9., 13., 15., 17.12, jeweils 19.30, sowie 15.7.17, 20.00