Band, Sänger, Torjäger – sechs erfolgreiche Hamburger treffen sich beim Abendblatt zu einem einmaligen Gespräch.

Die Rockband Revolverheld, der Popsänger Johannes Oerding und der HSV-Stürmer Pierre-Michel Lasogga eint mehr, als man auf dem ersten Blick vermuten würde. Sie stehen im Mittelpunkt vor Tausenden Fans, sowohl bei Heimspielen in Hamburg als auch in ganz Deutschland. Und sie kennen und sie schätzen sich seit Jahren, im April erlebten sie gemeinsam auf und vor der Bühne das „MTV Unplugged“-Konzert von Revolverheld in der Friedrich-Ebert-Halle in Heimfeld. Zwar haben sich alle aus ganz unterschiedlichen Richtungen kommend nach oben gekämpft, aber sie können sich keine Durchhänger leisten, müssen sich immer in Topform zeigen und auch nach fantastischen Abenden mit Kritik leben. Das Abendblatt brachte alle gemeinsam an einen Tisch für ein Gespräch über Ruhm und Reinfälle, Vorbilder und Vorlagen – und natürlich über Musik und Fußball.

Hamburger Abendblatt: Euer „MTV unplugged“-Album habt ihr in der Harburger Friedrich-Ebert-Halle aufgenommen, in der ja auch mal die Beatles gespielt haben. Was verbindet ihr mit der „MTV unplugged“-Reihe?

Niels Grötsch: Wir sind natürlich alle mit „MTV unplugged“ groß geworden. Ich erinnere mich noch gut an das Eric-Clapton-Konzert. Zu Weihnachten ­habe ich das Songbook geschenkt bekommen und alle Songs nachgespielt. Das hat mich unglaublich beeinflusst. „Tears In Heaven“ hab ich immer noch drauf.

Hatte die Reihe einen Einfluss darauf, dass ihr Musiker geworden seid?

Jakob Sinn: Auf jeden Fall habe ich noch mehr Bock bekommen, mit anderen Leuten zusammen Musik zu machen. Die „Unplugged“-Konzerte sind so ­reduziert auf das Wesentliche, auf das, worum es bei Musik geht.

Was hat euch denn musikalisch besonders geprägt?

Johannes Strate: Bei mir war es ein Sting-Konzert in der Bremer Stadthalle. Es war so musikalisch, ohne irgendwelches Brimborium. Da war ich etwa zehn und wusste: Ich will auch Musik machen. Nicht allein, sondern mit anderen in einer Band.

Pierre-Michel Lasogga: Ich bin Revolverheld-Fan, seit ich zehn bin! Und ich fang jetzt mal an, Gitarre zu lernen. (allgemeiner Jubel)

Johannes Oerding: Ich komme aus einer musikalischen Familie, und mir war früh klar, dass ich im Mittelpunkt stehen möchte. Das Geltungsbedürfnis war schon immer da. Mein Erweckungserlebnis hatte ich mit dem Guns-N’-Roses-Album „Use Your Illusion II“; da gab’s ein Livevideo zu dem Stück „You Could Be Mine“, in dem Axel Rose in seiner sexy Radlerhose über die Bühne flitzt. Das hab ich zu Hause nachgespielt. Ich wollte auch auf einer Bühne rumflitzen. Da war ich elf.

Kristoffer Hünecke: Guns N’ Roses war mein erstes Konzert im Bremer Weserstadion! Ich bin mit meiner Mutter und meiner ersten Freundin hin, ich muss damals zwölf oder 13 gewesen sein. Aber mein erstes prägendes Erlebnis liegt länger zurück. Das war 1985 die Fernsehübertragung des Live-Aid-Festivals. Die hat mich wirklich angezündet, was Musik angeht.

Wann habt ihr gemerkt, dass das alles mehr als ein Hobby ist, dass ihr wirklich Musiker werden wollt?

Strate : Ich war in einer Schülerband, Privat hieß die, und die hat damals tatsächlich einen Vertrag bei Universal Music bekommen. Aber das ging schon bald den Bach runter.

Oerding: Als ich 17 war, wurde ich im Sauerland von einem Produzenten angesprochen, der auch schon Tokio Hotel entdeckt hatte. Als ich das erste Mal ins Aufnahmestudio in Vögelsen bei Lüneburg kam, hingen da all die Goldenen Schallplatten von Oli P., Vicky Leandros und Falco. Da dachte ich: Jetzt hab ich’s geschafft. Hat dann aber noch mal 15 Jahre gedauert, bis ich dahin kam, wo ich jetzt bin. Und der Weg war echt anstrengend.

Strate: Ich hatte eigentlich mit der Musik abgeschlossen nach den schlechten Erfahrungen mit meiner ersten Band. Universal Music war nach Berlin umgezogen und hatte uns in Hamburg zurückgelassen. Also begann ich, Kulturwissenschaften zu studieren.

Hünecke: Dann trafen wir uns beim Kontaktstudiengang Popularmusk in Hamburg. Nach der ersten gemeinsamen Probe ahnten wir schon, dass da was gehen könnte. Da haben wir bereits „Welt steht still“ und „Freunde bleiben“ gespielt – später unsere ersten Singles.

Sinn: Wir haben uns damals zum Proben in einem Brückenpfeiler in der U-Bahn-Station Lattenkamp getroffen.

IN einem Brückenpfeiler?

Hünecke : Genau. Da gab es kein Tageslicht, der Raum war verschimmelt, und wir konnten unser Equipment dort nicht lagern. Ich weiß noch, wie wir die riesigen Verstärker immer über den ­angrenzenden Spielplatz schleppen mussten.

Strate: Übungsräume sind immer noch ein großes Problem in Hamburg. In Städten wie Leipzig und Halle kümmert sich die Stadt um die Proberaumsituation. In Hamburg scheint das niemanden zu interessieren.

Oerding: Und wenn du einen guten Proberaum findest, dann ist der kaum bezahlbar. Gerade für junge Bands.

Strate: Wir würden uns Zustände wünschen wie in Schweden, wo man als Band einen Tourbus beantragen kann, und der Staat bezahlt den. Das ist echte Bandförderung.

Oerding: Aber die Szene wächst immer mehr zusammen. Und da ist natürlich auch noch Hamburgs reiche Musik­geschichte, die gerade junge Künstler motiviert, und die vielen Bühnen, auf denen man spielen kann.

„MTV Unplugged“

Wann habt ihr damals euren Eltern ­gesagt, dass ihr Musiker werden wollt? Und wie haben die reagiert?

Oerding : Ich komme ja wie Johannes vom Dorf, und mir war gar nicht klar, dass man Musik auch beruflich machen kann. Ich dachte immer, das sei nur ein Hobby. Und meine Eltern auch. Als ich mit 17 oder 18 erste Touren machte, merkten sie, dass es mir doch sehr ernst ist. Aber etwa zehn Jahre später fragte mein Vater mich trotzdem, ob ich nicht nebenbei mal was studieren wolle. Als Musiker hätte ich ja sehr viel Zeit (lacht). Seit meine Songs im Radio laufen und ich im Fernsehen zu sehen bin, haben sie aber verstanden, dass es ein richtiger Beruf ist. Ich rufe meine Eltern übrigens immer noch an, wenn ich irgendwo zu sehen bin. Meine Mutter informiert dann Freunde und Bekannte. Mein Vater verkauft in seiner Praxis meine CDs und bittet mich immer mal wieder um einen Stapel Autogrammkarten.

Strate: Meine Mutter rief kürzlich an und erzählte mir, sie habe schon fünf Revolverheld-DVDs geordert, um sie zu Weihnachten zu verschenken.

Oerding: Mein Vater steckt mir immer noch Spritgeld zu, wenn ich meine Eltern besuche!

Ob nun durch die Musik oder durch den Fußball – ging es euch auch darum, berühmt zu werden?

Hünecke : Nein, gar nicht. Bei unserem ersten Konzert waren drei Leute vor der Bühne, und es war trotzdem geil.

Lasogga: In meinem Leben gab es einfach keinen Plan B. Mitschüler von früher schicken mir manchmal alte Freundschaftsbücher. Und schon damals hab ich bei der Frage, was ich mal werden will, immer „Fußballprofi“ geschrieben.

Strate: Bei mir stand „Sänger“ drin.

Hünecke: Und bei mir „Tennisprofi“.

Oerding: Der Wunsch, berühmt werden zu wollen, reicht aber nicht. So geht das nur bei Castingshows. Als richtiger Musiker musst du Lust haben, in kleinen Clubs zu spielen, dein Equipment zu schleppen und so weiter.

Strate: Es ist wohl eine Kombination aus allem. Ich habe auch das Selbstdarsteller-Gen.

Grötsch: Bei mir liegt es in der Familie. Mein Urgroßvater war Konzertmeister bei den Philharmonikern.

Lasogga: Als Fußballer spielst du für Schalke oder Leverkusen und hoffst auf den Durchbruch. Dass es nicht klappt, merkst du vielleicht erst sehr spät, und was dann? Als Musiker kannst du noch was nebenbei machen, ein Studium oder so. Fußball ist da risikoreicher.

Jakob Sinn: Hat dein Umfeld dich von Anfang an unterstützt?

Lasogga: Mit sechs Jahren bin ich zu Schalke gegangen. Meine Eltern standen zu 100 Prozent hinter mir. Deshalb ist meine Familie für mich auch das Wichtigste.

Gab es denn Druck, regelmäßig zum Training zu gehen?

Lasogga : Nein, beim Fußball musst du es selbst wollen. Nur dann holst du das Bestmögliche aus dir raus. Ich bin im Ruhrgebiet aufgewachsen, da steht der Fußball ohnehin an erster Stelle.

Vermisst du manchmal das Ursprüngliche und Spielerische der Anfangstage?

Lasogga : Nein, es war ja mein Ziel, in den großen Stadien zu spielen. Ich genieße die Atmosphäre. Aber wenn man ausgepfiffen wird ... da gibt es kaum etwas Schlimmeres.

Oerding: Ich bewundere, wie Fußballer mit so etwas umgehen. Uns Musiker finden die Leute ja toll und kaufen deshalb eine Karte ...

Strate: Beim Fußball hast du immer einen Teil der Stadionbesucher gegen dich, das erlebst du als Musiker nicht.

Sinn: Außer damals bei Alice Cooper, wisst ihr noch? Wir waren als ziemlich junge Band in der Dortmunder West­falenhalle sein Vorprogramm. Am Tag zuvor hatten wir beim Bundesvision Song Contest den zweiten Platz belegt und kamen mit einem Monsterkater auf die Bühne. Schon nach dem ersten Song haben wir gemerkt: Da passiert gar nichts. Die haben nicht mal gepfiffen, so egal war denen, was wir da machen.

Ob Auswärts- oder Heimspiel, ob erstes oder fünftes Album – Kritiker und Fans bewerten euch. Wie geht ihr damit um?

Lasogga : Wenn wir schlecht gespielt und in Dortmund 0:4 verloren haben, lese ich die Artikel in den Zeitungen gar nicht erst. Aber nach Siegen natürlich schon, und dann motiviert mich zum Beispiel eine gute Note im „Kicker“ auch. Aber wenn du jede anonyme Internetpöbelei ernst nimmst, dann stehst du das nicht durch.

Strate: Man muss versuchen, sich davon frei zu machen. Ich lese vieles nicht, aber manche Kritiken ärgern mich ­natürlich schon.

Oerding: Das Problem ist: Es gibt zehn positive Kritiken und eine negative. Und der Mensch neigt leider dazu, sich die negative Kritik zu merken.

Hat der Ruhm auch negative Seiten?

Lasogga : Natürlich werde ich auf der Straße häufig erkannt, aber darauf habe ich ja hingearbeitet. Wenn dich niemand erkennt, hat dich wohl auch noch niemand Fußball spielen sehen. Je öfter ich angesprochen werde, desto schöner ist es. Allerdings kann ich in meiner Position unter der Woche nicht Party machen und mich gehen lassen, da habe ich eine Vorbildfunktion.

Strate: Die meisten Leute sind ja nett und fragen höflich, ob sie ein Foto ­machen dürfen.

Wie habt ihr euch eigentlich kennen­gelernt?

Lasogga : Irgendwann hab ich Chris Rodriguez (Tour-Bassist der Band) getroffen, der ein Foto mit mir machen wollte. Das fand ich ziemlich seltsam, weil ich ja Fan seiner Band war. Na ja, daraus hat sich dann alles andere ergeben, ich bin zu Konzerten gegangen, hab auch die anderen kennengelernt und war im April bei der „MTV unplugged“-Aufzeichnung. Die Jungs kommen auch immer gerne ins Stadion. Hat super gepasst mit uns.

Strate: Und nächstes Jahr spielst du dann bei Werder?

Lasogga: So weit kommt es glaube ich nicht. (lacht)

Dass ein Musiker eine bekannte Band verlässt, passiert nicht so selbstverständlich wie der Vereinswechsel eines Fußballers.

Lasogga : Als Fußballer willst du dich immer weiterentwickeln. Wenn der FC Bayern anruft, dann geht es nicht um Geld, sondern um die Perspektive, die man bekommt. So ein Anruf kommt vermutlich nur einmal im Leben. Und eines darf man nicht vergessen: Als Fußballer arbeitest du ungefähr 18 Jahre unbezahlt. Auch mit 13 oder 14 gehst du fünfmal in der Woche zum Training. Und mit Mitte 35 ist schon wieder Schluss. Da muss jeder Spieler versuchen, so viel zu verdienen, dass man auch später noch gut davon leben kann.

Wie sieht es bei euch Musikern mit ­Gedanken an die berufliche Zukunft aus?

Sinn : Natürlich gibt es schon mal ­Gedanken daran, wie in ein paar Jahren alles sein könnte. Das Musikgeschäft ist ja sehr schnelllebig.

Lasogga: Bei uns gibt es ja Fans, die sind dem Verein treu, nicht einzelnen Spielern, die bleiben auch HSV-Fans, wenn ich mal weg bin. Aber wie ist das bei euch eigentlich? Ihr werdet älter, eure Fans werden älter ...

Hünecke: Wir sind da ganz entspannt, denn zu uns kommen inzwischen Fans aus ganz verschiedenen Generationen.

Oerding: Hängt auch sehr vom Genre ab. Wenn du Hip-Hop machst, ist deine Klientel natürlich begrenzt. Bei ­Revolverheld oder bei mir wachsen die Fans hingegen mit. Das gilt natürlich auch für andere Musiker: Songs wie „Freiheit“ von Westernhagen oder ­„Bochum“ von Grönemeyer werden ­immer funktionieren.

Lasogga: Ich genieße jetzt etwas, ­worauf ich so viele Jahr hingearbeitet habe. Wenn es gut läuft, habe ich ja auch noch ein paar Jährchen vor mir. Und ich hoffe, dass ich danach auch noch im Fußballgeschäft bleiben kann.

Strate: Früher war es unser Traum, ­einmal das Logo vollzumachen. Das ­haben wir nach drei Jahren geschafft. Mal sehen, was noch kommt.

Bestimmt gibt es Menschen, die nur deshalb eure Nähe suchen, weil ihr berühmt seid. Wie geht ihr damit um?

Strate : Am einfachsten ist es, Leute auf Augenhöhe kennenzulernen. So wie Pierre-Michel. Dem gebe ich meine Handynummer sofort. Der engere Freundeskreis von früher ist geblieben, und die, die dazugekommen sind, stehen fast alle in der Öffentlichkeit.

Lasogga: Kann ich nur bestätigen. Wegen des vielen Trainings hatte ich nie einen großen Freundeskreis. Dafür war gar keine Zeit. Aber ich habe auch lieber zwei richtig gute Freunde als 500 bei Facebook. 90 Prozent meiner Zeit verbringe ich ohnehin mit meinen Mitspielern, auch außerhalb des Platzes. Mit Revolverheld und Johannes Oerding ist das so: Wir können uns blind vertrauen, da geht’s nicht drum, dass ich Fußballer bin und die Musiker sind. Wir mögen uns als Menschen und ­wollen nicht voneinander profitieren.

Karriere kostet also Freundschaften. Auch Ideale?

Strate : Klar, man lässt Bekanntschaften zurück. Wenn du so viel unterwegs bist, nicht mehr jeden Abend am gleichen Tresen sitzt, vergessen dich die Leute eben irgendwann. Und was die Ideale angeht ...

Oerding: … da geht es um die Kunst des Neinsagens.

Strate: Genau. Wir machen nichts mit der „Bild“-Zeitung, ein Blatt, das schon mein Vater gehasst hat.

Der Vorverkauf für das „Revolverheld Unplugged“- Konzert am 26. 11. 2016 in der Barclaycard Arena läuft, Karten: ca. 48 bis 57 Euro plus Vvk.-Gebühren