Hamburg. Sie die Cashqueen ihres Plattenlabels: Die Musikerin veröffentlicht mit „25“ ihr drittes Album. Adele ist ein Phänomen.
Man könnte sie zur offiziellen Haus- und Hofsängerin aller Könige und Königinnen des Liebeskummers ernennen, die Künstlerin Adele Adkins aus London. Vielleicht weil sich soulful in keinem Gefühl so baden lässt, ist Adele, wie der Welt größter Popstar der Gegenwart sich auf der Bühne schlicht nennt, die Soundtrack-Belieferin aller Herzschmerzigen – auch auf ihrem neuen, jetzt erscheinenden Album „25“.
Größter Popstar der Gegenwart? Durchaus: Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass stimmgewaltige Sopranistinnen mit der – zumindest theoretischen – Lizenz zum Diventum die Erfolgsgeschichte schlechthin im Popgeschäft sind, dann hat Adele ihn jetzt erbracht. Wie das New Yorker Branchenmagazin „Billboard“ mitteilte, war kein Album seit 1963 so lange in den amerikanischen Charts notiert wie Adeles „21“ – sie lässt damit zum Beispiel die Beatles bei Weitem hinter sich.
Und die 50 Millionen Internetsurfer, die innerhalb von nur zwei Tagen die sentimenttriefende Überballade „Hello“ klickten, ein Trennungs-Schmachtfetzen reinsten Pathoswassers, tun ein Übriges zum derzeitigen Hype, der die Adele-Aufgeregtheiten früherer Tage noch einmal toppt.
Der je nach Lesart wahrscheinlichste oder unwahrscheinlichste Superstar funkt, so wie das in den PR-Maschinerien üblich ist, seit einigen Wochen auf vielen Kanälen. Da erfährt man zum Beispiel, dass Adele grundsätzlich keine Lust hat, Werbung zu machen oder für Millionengagen auf Geburtstags-Partys zu singen. Dass sie so lange für ein neues Album brauchte, weil ihr „das Privatleben dazwischen kam“. Dass sie glaube, ihr Erfolg beruhe gerade auf der Adele-Abweichung vom als ideal empfundenen Körpergewicht – „ ich schätze, dass ich die Leute an sie selbst erinnere“. Überhaupt, die „Adele-Abweichung“: Ist sie die Popformel der Gegenwart? Schließlich reüssiert Adele in noch größerem Ausmaße als vergleichbare weibliche Popgrößen.
Erst setzt das Klavier ein, dann Adeles volltönende, irre versierte Stimme
So oder so ist sie die Cashqueen ihres Plattenlabels – wie all die Rihannas, Beyoncés, Katy Perrys und Lady Gagas. Nur halt noch erfolgreicher. Als bewunderte und von ihren Fans innig geliebte Künstlerin, von der man übrigens privat verhältnismäßig wenig mitbekommt. Sie gehört zur wohltuend zurückhaltenden Fraktion der Social-Web-Nutzer, und vielleicht gerade deswegen auch zur gefühlt aus einer Person bestehenden Gruppe der Popstars, über deren neuen Song sich Menschen in der Schlange an der Rewe-Kasse unterhalten.
Kurz und bündig: Adele ist ein Phänomen, das viel, wenn nicht alles von dem Ruhm verdient, der ihr entgegenschlägt.
Auf „25“ sind elf Songs zu hören, von denen ausschließlich jeder die Qualität hat, ein Hit zu werden. Entstanden sind sie in der Zusammenarbeit mit verschiedenen Songwritern, und wenn man alles richtig verstanden hat, gab es zuletzt eine Art Wettkampf darum, wer es als Co-Songwriter mit auf die Platte schafft. Damon Albarn, dem Kopf der legendären Britpop-Formation Blur, war das nicht vergönnt, was zu einigen unschönen öffentlich getätigten Äußerungen (Albarn: „Ziemlich mittelmäßige Platte; dass Problem ist, dass sie sehr unsicher ist“ – Adele: „Ich dachte: Hättest du dein Idol bloß nie kennengelernt“) führte.
Man kann sich auch schlecht vorstellen, dass der neugierige Popästhet Albarn mit Adeles Breitwand-Pop kompatibel ist. Adeles neues Album ist so perfekt produziert wie vorhersehbar: Ihre zu früheren Anlässen mit Sängerinnen wie Petula Clark und Dusty Springfield in Verbindung gebrachte Soulpop-Power nähert sich auf „25“ endgültig den seit den Neunzigerjahren etablierten Standards. Erst setzt das Klavier ein, dann Adeles nie anders als volltönende, irre versierte Stimme, die manchmal nicht anders kann, als sich ungeahnte Höhen zu schrauben.
Mid- oder Uptemposongs gibt es nur sehr wenige, gleich der zweite ist aber einer: „Send My Love (To Your New Lover“) ist Adeles textlich und groovemäßig wichtige Ansage, diesmal eben eigentlich kein Liebeskummer-Album gemacht zu haben. Deshalb befindet sie sich in der zweiten, ziemlich überhaupt nicht mittelmäßigen Single „When We Were Young“ auf den lyrisch immer sicheren Gestaden der nicht-romantischen, sondern grundsätzlichen Nostalgie: „It was like a movie/it was like a song/when we were young“. Live ist Adele ein Ereignis, wobei sie Konzerttourneen durch riesige Mehrzweckhallen interessanterweise nichts abgewinnen kann. Ihr Sounddesign ist das gegenwärtig triftigste Beispiel globalen Überwältigungspops. Der ist natürlich immer berechnend und kommt mit wenig Themen und nur marginalen textlichen Variationen aus.
Und deshalb kann eben beinah jeder etwas mit Titeln wie dem maximal eingängigen „Water Under the Bridge“ („It’s so cold in your wilderness/I want you to be my keeper/But not if you are so reckless“) und dem nur Zyniker ungerührt lassenden „Remedy“ („I will be the shelter that won’t let the rain come through“) anfangen, das an niemand anderen als ihren kleinen Sohn gerichtet sein kann. Die Streicher-Ballade „Love in the Dark“ ist wieder ein Trennungssong. Von wegen, kein Liebeskummeralbum ...
Ihre Bestimmung liegt in der heulenden und jubilierenden „Hello“-Phrasierung
Mit Bruno Mars waren – bei „All I Ask“ – ein sehr bekannter und mit Tobias Jesso jr. – bei „When We Were Young“ – ein aufstrebender Songwriter bei diesem Album involviert, die auch selbst Platten aufnehmen. Und der von Greg Kurstin, der insgesamt dreimal und damit am häufigsten als Co-Autor auf „25“ vertreten ist, geschriebene Song „Million Years Ago“ gehört in die Rubrik der Songs, die vom Abschied von der Unbeschwertheit erzählen und den Veränderungen, wenn das Leben Verpflichtungen mit sich bringt und keine Party mehr ist. Vor allem aber ist das besonders gelungene „Million Years Ago“ der dezent swingende Song mit Akustikgitarre, quasi eine Art Quotensong inmitten der insgesamt recht gravitätischen Angelegenheit.
Will man mehr von dieser Art Song? Manchmal schon. Aber ein Stimmvolumen wie das von Adele findet seine Bestimmung vielleicht eher in der gleichzeitig heulenden und jubilierenden „Hello“-Phrasierung.
Adele ist das fleischgewordene Schwelgen. Die Art von popmusikalischer Besinnlichkeit, die so entsteht, hat die angemessene Winterschwere. Nur dass es einem bei Adele Adkins nie kalt wird.