Die Sopranistin Simone Kermes singt barocke Arien
Es gibt nicht viele Sängerinnen, die die technisch extrem anspruchsvollen Arien des Barock beherrschen, zumal jene, die einst gefeierte Kastraten wie Farinelli oder Pier Francesco Tosi gesungen haben. Die Italienerin Cecilia Bartoli ist die bekannteste zeitgenössische Sängerin mit Barock-Vorliebe, hinzu kommen die Amerikanerinnen Joyce DiDonato oder Vivica Genaux. Und dann gibt es die Sopranistin Simone Kermes, gebürtige Leipzigerin, die ihre Solo-Programme in New York und Moskau, Paris und Mexiko singt. Eine Einzelgängerin, furios im Auftritt, lange Zeit mit feuerroten Locken zu barocken Fantasie-Kleidern. Das grelle Rot ist mittlerweile einem sanften Rotblond gewichen, „genau die Farbe, die ein alter Zopf von mir hat, den ich mir als Kind abgeschnitten habe“. La Kermes will sich authentischer fühlen, „zurück zu den Wurzeln“.
Am 4. November kommt die Preisträgerin des Echo-Klassik 2014 zu einem Pro-Arte-Solo-Abend in die Stadt, begleitet wird sie von dem jungen deutschen La Folia Barockorchester. Singen wird sie Musik von Porpora, Pergolesi und Hasse. Deren spektakuläre Arien wurden häufig für Kastraten komponiert, Porpora beispielsweise hat sich für die Superstars Farinelli und später Caffarelli fast ruiniert. Simone Kermes hat in alten Bibliotheken geforscht und dort zahllose Blätter Originalnoten gelesen. „Es ist eine Wahnsinns-Arbeit, sie für die eigene Stimme einzurichten.“ Sie macht das selbst, wie früher üblich, denn sie ist eine Frau, für die das Entdecken, Erarbeiten und Singen solcher Musik zum Lebensinhalt geworden ist: „Alle meine Erfahrungen fließen in die Musik. Die Musik ist eine ewige Liebe. Sie hält mich immer am Leben. Es ist nicht einfach, diese Besessenheit zu leben. Im Glück hat man keine Lust mehr, etwas zu machen. Künstler brauchen immer ein Leiden. Auch zum Singen.“
Simone Kermes hat sich alles hart erarbeitet. Die klassische Ochsentour an den kleinen Theatern hat sie absolviert, irgendwann entdeckte sie ihre Passion für Musik aus der wahren Zeit des Belcanto, dessen Ursprünge bis in die Renaissance zurückreichen. Dafür hat sie sehr viel gelesen. Eine der wichtigsten Lektüren war die „Anleitung zur Sangeskunst“ von Johann Friedrich Agricola: „Man versteht plötzlich diese Wissenschaft und diese unglaubliche Technik der Sänger damals. Farinelli zum Beispiel hat vor dem Konzert einen sauren Hering gegessen.“
Ihre Stimme ist enorm beweglich, so hoch wie sie kommen nur wenige Sängerinnen. Kermes beherrscht verzwickte Oktavsprünge und endlose Läufe. Vor allem aber singt sie beseelt, gerade die langsamen, melancholischen Lieder. Wenn sie auftritt, kommt keine Konfektionsware über die Rampe, sondern etwas tief Empfundenes. „Im Barock stecken in jedem Takt Gefühle. Nicht wie in der Romantik. Da macht es klack, dann kommt der Wechsel, ein total anderer Effekt“, sagt die Sopranistin. „Wenn du das stilistisch beherrscht, kannst du alles, denn alles baut darauf auf.“
Simone Kermes, La Folia Barockorchester4.11., 19.30, Laeiszhalle. Karten zu 22,- bis 71,50 unter T. 450 11 86 79