Frank Schätzing, Paul Maar, Katharina Hagena: In dieser Woche treten Bestsellerautoren und Stars in Hamburg auf. Ein besonderes Highlight dürfte eine Matinee mit Thomas Quasthoff im Ohnsorg Theater werden.

Hamburg. Der Platz vor einem Atomkraftwerk scheint nicht unbedingt der ideale Ort für eine Lesung. Und doch fanden sich im April 2011 im Geesthachter Ortsteil Krümmel gut 2000 Literaturinteressierte ein, um die Texte und Töne von Literaturnobelpreisträger Günter Grass sowie von Punk-Röhre Nina Hagen und ihrer Mutter, der Schauspielerin Eva-Maria Hagen, zu hören und eine Diskussion zu verfolgen. Die Auftritte der drei Künstler und eine Lesung des Kieler Bestsellerautors Feridun Zaimoglu in einer Buchhandlung im Hamburger Schanzenviertel – so kompakt gestaltete sich das Programm der „1. Anti-Vattenfall-Lesetage“. Inzwischen ist das Atomkraftwerk Krümmel stillgelegt, und die „Vattenfall-Lesetage“ finden nicht mehr statt. Das als offenes Forum gestartete „Lesen ohne Atomstrom“ heißt jetzt positiv formuliert „Die erneuerbaren Lesetage“.

Deren Organisatoren verfallen nicht in Siegesgelüste über das Ende des vom schwedischen Energiekonzern gesponserten Lesefestivals, sie stellen sich vielmehr die Frage „Wie wollen wir Kultur gestalten?“ Auch bei der vierten Auflage geschieht das gezwungenermaßen ohne städtische Förderung und Gelder. Stattdessen speisen sich „Die erneuerbaren Lesetage“ von Dienstag bis Sonntag aus einem im besten Sinne bürgerschaftlichen Engagement. Den Etat des unabhängigen Festivals decken Förderer wie der Hamburger Medienunternehmer Frank Otto, private Mäzene, Unternehmen, Theaterintendanten und Stiftungen sowie auch die beteiligten Künstler und Autoren. Alle treten ohne Gage auf.

Fast 40 sind es bei zehn Veranstaltungen. „Die erneuerbaren Lesetage“, organisiert vom gemeinnützigen Verein Kultur für alle, sind damit das größte Hamburger Literaturfestival dieses Frühjahrs. „Das höchste Gut des Programms ist die Ehrenamtlichkeit aller Beteiligten“, sagt Lesetage-Sprecher Oliver Neß. Sogar ein kleines, aber feines Kinderprogramm hat Kultur für alle auf die Beine gestellt. Für den populären Kinderliedermacher Mirko Frank und seine Liederbande am Donnerstagvormittag in der Fabrik können bei mehr als 1000 Anmeldungen spontane Besucher leider nicht mehr auf Einlass hoffen.

Eröffnung am Hühnerposten

Hingegen für das Live-Hörspiel „Die Teufelskicker“ am Mittwoch (16 Uhr) in der Südtribüne des Millerntor-Stadions mit dem Starsprecher Oliver Rohrbeck und dem sympathischen Sportreporter Ulli Potofski (Anmeldung im Internet: anmeldung@teufelskicker.de). Am Freitag schließlich kommt Kinderbuchautor Paul Maar („Herr Bello“, „Kuh Gloria“) um 17 Uhr in die Zentralbibliothek, um persönlich das Rätsel um das verschollene „Sams“ zu lösen.

Dafür ist der Eintritt ebenso frei wie bei allen weiteren Veranstaltungen der „erneuerbaren Lesetage“, die am Hühnerposten auch am heutigen Dienstag (20 Uhr) eröffnet werden. „Wie viel ist genug?“, lautet zum Auftakt die Frage: Taugt also unbegrenztes Wirtschaftswachstum zur Krisenbewältigung? Über das gleichnamige Buch diskutieren unter anderen der britische Bestsellerautor Robert Skidelsky und der Schwede Jakob von Uexküll, Initiator des Alternativen Nobelpreises. Der Hamburger Schauspieler Rolf Becker rezitiert.

„Eine normale Lesung gab es bei uns eigentlich nie“, sagt Oliver Neß. Nichts also mit Tisch, Wasserglas, Leselampe und einem, der etwas vorliest. Erst recht nicht im Schmidt Theater am morgigen Mittwoch. Am von der Unesco 1995 eingerichteten „Welttag des Buches“ wollte eigentlich Dieter Hildebrandt ein Zeichen gegen das sogenannte Greenwashing der Atomindustrie setzen, so hatte er es mit Neß vor mehr als einem Jahr vereinbart.

Nach dem Tod des deutschen Kabarettvaters im vergangenen November kommen nun seine Frau Renate und befreundete Kollegen wie die Kleinkunstpreisträgerin und pointierte Vorlesekünstlerin Christine Prayon (alias Birte Schneider aus der ZDF „heute-show“), Ex-„Anstalts“-Leiter Urban Priol, der Österreicher Werner Schneyder und der Hamburger Henning Venske zusammen, um Hildebrandts Engagement zu würdigen. Der scharfzüngige Venske etwa wird einen eigens für diesen Abend geschriebenen Text über Umwelt und Atomenergie vortragen.

Lesen an ungewöhnlichen Orten

Aber auch die Matinee mit Thomas Quasthoff verspricht ein besonderer, womöglich einmaliger Lesegenuss an einem ungewöhnlichen Ort zu werden: Der Grammy-Preisträger und Bassbariton rezitiert am Sonntag (11 Uhr) im Ohnsorg Theater Werke seines Bruders Michael Quasthoff und von Joachim Ringelnatz. Bereits am Sonnabend debütiert im Savoy Filmtheater am Steindamm der Münchner „Tatort“-Kommissar Miroslav Nemec mit der konzertanten Anti-Kriegs-Lesung „Toxic“.

Anfragen von prominenten Künstlern und Autoren erreichten den Verein Kultur für alle zuhauf: Bestsellerautor Frank Schätzing, wie Dieter Hildebrandt bereits 2012 bei „Lesen ohne Atomstrom“ zu Gast, stellt am Freitag in der Laeiszhalle exklusiv seinen neuen Roman „Breaking News“ vor, einen Thriller vor dem Hintergrund des Israel-Palästina-Konflikts. Nahostexperte Ulrich Kienzle und der israelische Schriftsteller Uri Avnery diskutieren mit. Beim Finale unter dem Motto „Es ist Zeit, sich einzumischen“ am Sonntag in der Fabrik wirken dann Schauspieler Walter Sittler und der frühere Greenpeace-Chef Gerd Leipold mit.

Und eine klassische Lesung? Die gibt es am Donnerstag doch – als Doppelveranstaltung in der 2ten Heimat: Im Theatersalon an der Max-Brauer-Allee lesen Bestsellerautorin Katharina Hagena („Der Geschmack von Apfelkernen“) aus ihrem neuen Werk „Vom Schlafen und Verschwinden“ und Feridun Zaimoglu aus seinem neuen Roman „Isabel“. Darin geht es um Reue, Rache, Schmerz – und die Liebe

Apropos: Feridun Zaimoglu hatte Hamburgs Kultursenatorin Barbara Kisseler 2011 bei der Vorstellung der „Vattenfall-Lesetage“ als ihren „Lieblingsautor“ bezeichnet. Kurz darauf trat Zaimoglu erstmals bei „Lesen ohne Atomstrom“ auf. Nachdem Kisseler 2012 und 2013 keine Zeit für die „erneuerbaren Lesetagen“ hatte, wurde sie diesmal nicht mehr eingeladen. Da besteht offenbar noch Gesprächsbedarf.

„4. Lesen ohne Atomstrom – Die erneuerbaren Lesetage“ Di 22.4.–So 27.4., Beginn der Abendveranstaltungen jew. 19.30 Uhr, Einlass 19 Uhr, Eintritt jeweils frei; das komplette Programm unter www.lesen-ohne-atomstrom.de