„Ich sehe was, was du nicht siehst“ zum Mitmachen – jeden Montag im Abendblatt. Heute: Ein Werk von Erwin Speckter.
Die Geschichte hinter dem Bild „Merkur schwebt vom Olymp herab“ von Erwin Speckter geht auf die römische Villa Farnesina zurück, die der toskanische Bankier Agostino Chigi im 16. Jahrhundert erbauen ließ. Zur Ausgestaltung holte er sich viele Künstler ins Gebäude. Sie entwarfen die Architektur, die Gartenanlage und die Innenräume. Darunter waren Raffael, Sebastiano del Piombo und Giulio Romano.
Prachtvoll gerieten die Deckenbilder in der Loggia von Amor und Psyche, die Raffael und seine Schüler ab 1518 gestalteten. Die Darstellungen gehen auf das antike Märchen „Amor und Psyche“ des römischen Autors Apuleius zurück. Das ist eine komplexe Geschichte um das schöne Königskind Psyche, das Venus eifersüchtig machte, weil die Menschen sich seinetwegen von ihr abwandten.
Hamburger Zeichner erstellte eine Coverversion
Die Decke ist mit vielen Bildern aus dem Märchen bedeckt. Eins davon zeigt den Götterboten Merkur. Wie alle Deckengemälde ist es mit Girlanden aus naturgetreuen Pflanzen von Blumen und Früchten umkränzt. Dieses Bild muss den Hamburger Zeichner und Maler Erwin Speckter (1806–1835) so beeindruckt haben, dass er – wie man in der Musik sagen würde – eine Coverversion, erstellte. Einen Beweis für die Urheberschaft gibt es allerdings nicht.
Das Bild entstand 1830. Auf die üppige Umrahmung verzichtete Speckter, stattdessen zeigt er Merkur vor einem hellblauen Hintergrund. Merkur, der auch als Gott der Händler und Diebe galt, sieht bei ihm freundlich, geradezu einladend aus. Er trägt seine Insignien, einen geflügelten Helm, auf die Flügelschuhe verzichte der Künstler, stattdessen wachsen ihm die Flügel direkt aus den Fußgelenken. Der Hermesstab, den er in der rechten Hand trägt, sieht wie eine Fanfare aus. Der um den Hals geknotete Umhang weht im Wind.
Hamburger Künstler ließ sich in Italien inspirieren
Man zählt Speckter zur Hamburger Schule und zum Kreis der jüngeren Nazarener. Er stammte aus einer Hamburger Künstlerfamilie. 1830 reiste er nach Italien. Er machte sich auf den Weg nach Pompeji, besuchte die Sixtinische Kapelle und kam zu der Erkenntnis: „Keinen Meister kann man weniger aus Kupferstichen kennen als Michel Angelo. Gegen diesen göttlichen Riesen freilich muss Raffael zurücktreten. Ja, gegen diesen gereiften riesenhaften Helden scheint Raffael ein Kind oder eine Jungfrau, die gegen falsche Rüstung nichts als ihre Grazie, Unschuld und Schönheit hat. Je mehr ich von Raffael sehe, je mehr lieb und vergöttere ich ihn.“
„Raffael. Wirkung eines Genies“, Kunsthalle bis zum 3.10.