Berlin. Jonathan Meese will die “absoluteste Freiheit der Kunst“ und kämpft gegen “Realitätsfanatiker“. Seine Arbeiten spalten, noch mehr das diktatorische Auftreten des Künstlers. Nun wird er 50.
"Mami!", schallt der Ruf durch die gigantischen Atelierhallen eines alten Pumpwerks im Osten Berlins. Jonathan Meese ist im Gewirr der Kunstwerke auf der Suche nach seiner Mutter Brigitte. Die 90-Jährige begleitet Meese noch immer sehr eng durch privates wie künstlerisches Leben.
Die Szene zwischen Hunderten Arbeiten und Materialsammlungen für unzählige weitere Werke lässt einen die Liebe und Wärme geradezu spüren. Erst wenn Meese über Kunst spricht kommt jener absolutistische, mitunter kalte Anspruch hervor, für den der Maler und Konzeptkünstler häufig so heftig kritisiert wird. Am Donnerstag (23.1.) wird Meese 50 Jahre alt.
Ein "Nein" der so wichtigen Mutter damals in Hamburg hätte vielleicht alles geändert. "Meine Mutter fragte: Was möchtest du zum Geburtstag haben? Es war mein 22. Ich sagte aus der hohlen Hand: einen Block und ein paar Pastellstifte", erzählt Meese im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. Ab dem Tag sei der Damm gebrochen gewesen. "Ich hab nur noch Kunst gemacht. Ich will nur noch Kunst machen. Ich will nur mit Kunst umgeben sein und mich der Kunst verpflichten."
Kindheit in Ahrensburg und Kunststudium in Hamburg beschreibt Meese als schöne Zeiten. Zwar lebt er schon länger mit Mutter Brigitte und seiner Lebensgefährtin, der isländischen Künstlerin Gudny Gudmundsdottir, in Berlin. Doch etwa wöchentlich zieht es ihn zurück in den Norden. "In der Wohnung in Ahrensburg werde ich nicht belästigt. Da kann ich auftanken." Da mache er nichts. Erreichbar per Fax.
Hier frönt der in Tokio geborene Meese per Restaurantbesuch auch den Wurzeln seiner ersten Jahre. "Ich liebe das Japanische, diese Disziplin und diese Liebe zum Essen und zu allen Dingen, dieses sehr starke Gefühl, mit der Natur verbunden zu sein." Was heißt das für die Arbeit? "Ich bin ein totaler Samurai der Kunst. Ich habe mein Schwert, das ist der Pinsel."
Damit wären wir bei Meeses Blick auf sein Metier. "So sehe ich das auch in der Kunst: Kein Gruppenzwang, kein Herdentrieb, keine Gruppenbildung, keine ideologischen Zusammenrottungen. Alleine stehen, seinen Mann stehen und das tun, was notwendig ist. Das ist für mich Kunst."
Meese sieht sich von Sanktionen und Einschränkungen umgeben. "Die Zensur kommt von den Künstlern selber." Für ihn das erschreckendste Szenario. "Künstler sagen, dass man bestimmte Sachen nicht mehr malen darf: Keine nackten Menschen. Ich muss in meiner Hautfarbe bleiben. Ich darf als Mann keine Frau mehr malen. Dann darf ich aber auch keinen Tisch malen, ich bin ja kein Tisch."
Geschrieben sieht der absolute Anspruch bei Meese so aus: K.U.N.S.T. Wenn er seine Thesen formuliert, bricht ein Redeschwall aus ihm heraus. "Ich bin gegen jegliche Form von Zensur. Ich bin für die absoluteste Freiheit der Kunst. Vollkommen. Wenn etwas nach Zensur riecht, bin ich weg." Denn: "Der Kunst muss alles erlaubt sein"
Den Kampf gegen Zensur und für Freiheit spickt Meese in seinen Arbeiten auch mit NS-Symbolen, bei Performances mit dem verbotenen Hitler-Gruß. Deswegen musste er bereits mehrere juristische Verfahren durchlaufen. "Alles ist erlaubt solange es nicht reale Opfer produziert", sagt der Künstler. "Ich habe das im Namen der Kunst gemacht, um etwas Ideologisiertes zu entkontaminieren", rechtfertigt er das, was er Meese-Gruß nennt. Er trägt dabei die obligatorische schwarze Trainingsjacke, seine "Uniform der Kunst".
"Wenn wir nicht mehr Derrick von Horst Tappert unterscheiden können, dann sind wir blöd", sagt Meese über den Schauspieler und dessen bekannteste Rolle. "In der Realität dürfen wir keine Kriege führen, in der Kunst können wir sie aber führen."
Der Künstler Meese hat seit Jahrzehnten internationalen Erfolg, Arbeiten wie die großformatigen, schnell gemalten Bilder hängen in wichtigen Kunsthäusern und erstklassigen Sammlungen. Und doch bleibt er umstritten. "Ich muss eine unfassbare Reizfigur sein." Seine Installationen etwa von Schaufensterpuppen, Red-Bull-Dosen, Plakaten wie zuletzt in Lübeck lassen sich sehen als Irrgärten der Assoziationen, Labyrinthe der Gedanken, Arrangements des Ideenreichtums. Seine Gegner sprechen von Kinderzimmergerümpel, Sammelsurien oder gar Müllhalden. Das kratzt aber nicht am künstlerischen Selbstbewusstsein. "Ich bin schon ein Fels in der Brandung. Mir ans Bein zu pinkeln, ist ganz schwierig."
Seine Energie macht Meese zu einem enorm vielseitigen Künstler. Neben Bildern, Performances, Skulpturen, Videos, Texten stehen Inszenierungen an Opern und Theatern. Bayreuth hat die Zusammenarbeit für "Parsifal" aus Kostengründen 2014 beendet, was den Wagner-Fan Meese bis heute schmerzt. Jetzt würde er gern "Chef sein von dem Laden" und alles selbst machen, jede Inszenierung. Auch Ballett würde ihn noch reizen.
In der Zukunft will Messe "weiter der Kunst dienen, am Gesamtkunstwerk Deutschland arbeiten". Konkret: im Atelier sitzen, nicht gestört werden, Skulpturen und Collagen machen, malen. "Ich habe so viel Bilder im Kopf, die müssen raus."