Hamburg. Der Filmemacher über die Wut auf Parkplatzdiebe und seinen Film „Aus dem Nichts“, der beim Festival in Cannes im Wettbewerb läuft.

Cannes ist für Fatih Akin schon oft ein gutes Pflaster gewesen. 2005 hatte dort sein Film „Crossing the Bridge“ Premiere, und er war Mitglied der Wettbewerbs-Jury. Zwei Jahre später lief „Auf der anderen Seite“ im Wettbewerb und gewann den Preis für das beste Drehbuch. Und jetzt hat es auch „Aus dem Nichts“, sein neuer Film, in den Wettbewerb geschafft. Das NSU-Drama mit Diane Kruger kommt im November in die deutschen Kinos.

Gibt es einen besseren Ort als Cannes, um so einen Film der Weltöffentlichkeit vorzustellen?

Fatih Akin: Nein. Ich wäre auch dorthin gegangen, wenn mein Film nur in einer Nebenreihe laufen würde.

Zum ersten Mal sind Sie 1998 in Cannes gewesen, als dort im Filmmarkt Ihr Debüt „Kurz und schmerzlos“ gezeigt wurde. Am roten Teppich sind Sie damals noch vorbeigelaufen. „Aber ich habe mir geschworen: Eines Tages …“, schreiben Sie in Ihrer Biografie „Im Clinch“. Jetzt, fast 20 Jahre später, sind Sie wieder zurück.

Die Einladung für „Aus dem Nichts“ hat mich total gefreut. Wir haben uns nach „Tschick“ sehr viel Mühe gegeben, rechtzeitig fertig zu werden. Dieser Film vermittelt den Zuschauern eine physische Erfahrung wie ein Horrorfilm. Man bekommt ein ungutes Gefühl, Gänsehaut, wird wütend. Wir hörten dann, dass unser Film dem Auswahlgremium gefallen hat. Trotzdem hat das Festival lange mit einer Zusage gewartet. Erst am letzten Tag vor der Pressekonferenz, in der die Teilnehmer öffentlich bekannt gegeben wurden, kam sie. Und zwar ganz spät. Ich hatte schon im Bett gelegen und konnte es nicht glauben.

Sie haben ein Faible für sprechende Titel. „Aus dem Nichts“ kann „völlig überraschend“ bedeuten, aber auch „grundlos“. Was passt?

Beides.

Es geht um eine Mutter, die bei einem Anschlag zwei Familienangehörige verliert und danach um Gerechtigkeit kämpft.

Es ist eine relativ einfache Geschichte. Aber genau das macht die Kraft des Films aus.

Mit Diane Kruger haben Sie eine Hauptdarstellerin, die Ihnen auch international große Aufmerksamkeit sichert. Dies ist ihr erster Film in deutscher Sprache. Wie waren die Dreharbeiten?

Sie ist die eigentliche Sensation in diesem Film. Sie legt hier einen Auftritt hin, den man vielleicht alle 20 Jahre mal sieht. Karl Lagerfeld war eine Art Mentor für sie, und zwar ein schlauer. Sie hat eine große geistige und emotionale Intelligenz. Als Schauspielerin ist sie total mutig, selbstlos und neugierig. Sie spielt mit viel Hunger und Wucht.

Es gibt im Film einige Verweise auf das Phänomen NSU. Das ist eine sehr deutsche Geschichte. Was macht sie universell, also für ein internationales Publikum verständlich?

Rassismus ist ein globales Problem. Vielleicht hat es etwas mit der Globalisierung zu tun, von der sich viele Menschen überfordert fühlen. Diese Ängste führen dazu, dass sich Leute in ihre Schneckenhäuser zurückziehen. Das löst Reflexe und Antithesen aus. Rassismus ist so eine. Wir sind in Bezug auf den Nationalsozialismus in Deutschland sensibler, weil er hier seine Ursprünge hat. Aber als ich den Film in Testvorführungen in Frankreich gezeigt habe, war ich überrascht, wie wenig die Leute über den NSU wissen. Auch hier wissen viele nicht, dass der NSU auch für Sprengstoffanschläge verantwortlich ist. Der Skandal könnte in den Medien präsenter sein. Aber die Leute sind auch sehr vergesslich.

Verfolgen Sie den NSU-Prozess?

Ich war zusammen mit Hark Bohm ein paarmal da. Einer der Opferanwälte, Andreas Thiel, war Berater für diesen Film.

Sie haben jetzt schon zum zweiten Mal mit Bohm zusammengearbeitet. Wie lief das?

Er ist der ewige Professor und war mein Kompass. Das ist aber auch gut für mich. Ich fühle mich, als ob er mich ständig benotet. Er trägt mir oft seine Bedenken vor. In den Gerichtsszenen war er eine effektive Hilfe als Co-Autor, weil er ja auch Jurist ist. Er ist ein Vernunftmensch, was sich manchmal mit meinem Hang zum erzählerischen Ex­tremismus gerieben hat. Ich habe ihn mal im Auto mitgenommen. Da hat er sich sehr gewundert, dass ich darin einen Baseballschläger liegen habe. Ich denke eben schon an Rache, wenn mir jemand den Parkplatz wegnimmt. Zusammen mit Herman Weigel, der früher viel mit Bernd Eichinger zusammengearbeitet hat, haben wir eine Art Schreiblabor gebildet.

Normalerweise jonglieren Sie immer mit mehreren Filmprojekten gleichzeitig.

Bei diesem Film nicht. Als wir „Tschick“ drehten, haben wir nachts noch auf irgendwelchen Hotelzimmerböden die Dramaturgie dieses Films hin- und hergeschoben. Dieser Dreh war aber sehr anstrengend. Er hat mich geistig herausgefordert, während „Tschick“ eher körperlich belastend war mit seinen ständigen Ortswechseln. Dies ist eine schmerzhafte Geschichte. Das Gefühl musste ständig präsent sein. Diane hatte ein Höchstmaß an Konzentration, die mich auch ständig gefordert hat. Da musste ich mithalten. 35 Tage lang. Nach Drehschluss war ich immer platt.

Sie haben auch viele Freunde und Bekannte in der türkischen Filmindustrie, viele davon im linksintellektuellen Milieu. Wie geht es denen zurzeit angesichts des dort herrschenden politischen Klimas?

Viele kommen hierher. Man muss in Berlin ja weder Deutsch noch Englisch können, um durchzukommen. Berlin bietet da ein großes kulturelles Angebot.

Eins der zukünftigen Projekt, die Sie früher schon einmal erwähnt haben, ist eine Verfilmung von Heinz Strunks Fritz-Honka-Roman „Der goldene Handschuh“.

Das mache ich wahrscheinlich als Nächstes. Ich würde aber auch gern mal etwas im Ausland machen. Damit meine ich nicht zwangsläufig Hollywood. Es könnte auch Bollywood sein, ich bin mit einem indischen Regisseur gut befreundet. Mich reizt der Ferne Osten.