Hamburg. Frank Grupes Neu-Inszenierung des Lustspiels „Dat Hörrohr“ erfreut am Ohnsorg vor allem Traditionalisten. Beate Kiupel ausgezeichnet.

Für manch privat geführte Theater sind Kooperationen mit Werbepartnern heutzutage aus Kostengründen längst kein Tabu mehr. Wäre „Dat Hörrohr“ ein zeitgenössisches Stück, stünde womöglich ein auf vielen Spielfeldern tätiger Hörgeräte-Unternehmer aus Hannover als Sponsor parat, um digitale „In-Ear“-Geräte mit Mikrochip oder den allerneuesten Schrei zum Jungfühlen ins Geschehen zu implementieren.

„Dat Hörrohr“ – ein richtig schönes altes Stück Ohnsorg

„Dat Hörröhr“ aber ist ein Lustspiel, das seine Uraufführung im Jahr 1955 feierte. Das Stück spielt auf dem Land, auf dem Hof von Opa Meiners irgendwo im Norden. Nun ist die Gegenwart eine andere, doch für plattdeutsche Klassiker muss auch im inzwischen durchaus urbanen und zeitgemäßen Ohnsorg-Theater noch Platz bleiben. Und so ist Karl Bunjes Drei-Akter nach fast 70 Jahren zum diesjährigen Saisonauftakt am Heidi-Kabel-Platz bereits in der sechsten Ohnsorg-Inszenierung zu erleben – die für das Fernsehen aufgezeichneten nicht mal mitgerechnet.

Die prächtige Kulisse von Stephanie Kniesbeck (Bühne und Kostüme) verbreitetet ein stilechtes schönes Flair von Nostalgie: In der guten Stube steht rechts ein alter, mit Kohle befeuerter Herd mit Rohr und alten Kacheln, in der Mitte eine große Wanduhr mit Schrank. Hier werden die vier Holztüren im Laufe des Stücks knallen und knarzen, sich Fensterrahmen öffnen und schließen und verbal die Fetzen fliegen. Die Frage ist, was der schwerhörige Opa Meiners von all dem in seinem Lehnsessel mitbekommt. Entweder er schnarcht, oder die mehr oder weniger lieben Verwandten müssen regelrecht in sein antiquiertes Hörrohr brüllen, um sich verständlich zu machen.

Stilechtes schönes Flair von Nostalgie

Noch heute denken viele, Henry Vahl, der legendäre „Opa der Nation“, habe die Rolle einst gespielt, jedoch war der für seine überspielten Texthänger bekannte und oft auf die Souffleuse angewiesene Vahl nie als Meiners besetzt. Nun ist Wolfgang Sommer in die Fußstapfen von Charakterkomödianten wie Otto Lüthje, Karl-Heinz Kreienbaum und Jens Scheiblich getreten. Und Sommer, der in Statur und Haltung Vahl durchaus ähnelt, gewinnt seiner Figur im Laufe des Abends immer neue Konturen ab und tanzt sogar.

Als Enkelin Elke (Nele Larsen) und der ihr zugetane Hof-Knecht Bernd (Quintus Hummel) dem Opa ein nagelneues Hörrohr zustecken, treibt der listige Alte (s)ein doppeltes Spiel und hört mehr als die meisten ahnen. Allen voran Meiners’ Schwiegertochter Bertha: Beate Kiupel gibt sie als falsche Schlange mit blonder Perücke im Doris-Day-Look, die permanent plappert und schludert und sich Haus und Hof von Opa Meiners ergaunern will. Auch eine Kunst. Als dann noch ihr früherer Verehrer Arnold Hogeback – Oskar Ketelhut spielt ihn gekonnt überzeichnet als Aufschneider in wechselnden feschen Anzügen und mit Hut – im eigenen Wagen aus Hamburg vorfährt und von seinem „Etablissement“ prahlt, scheint auch Bertha diese Art Großstadtgeflüster zu locken. Beide eint der große Wunsch nach dem, was man heute „Event-Gastronomie“ nennen würde.

Sehnsucht nach Nostalgie, nach guten alten Ohnsorg-Zeiten

Denn mit ihrem Ehemann Jochen, den Robert Eder wahlweise als schlaffes Landei ohne Grund und Boden oder „Dööskopp“ bewusst weich zeichnet, scheint für Bertha kein Staat zu machen zu sein. Sein Standardspruch „As du meenst, Bertha!“ ist und bliebt einer der meistgesagten Sätze der Ohnsorg-Historie.

Komödiantisch in „Dat Hörrohr“ übertroffen von Birte Kretschmer und Erkki Hopf. Als Lieschen und Tobias Quadfasel – auf solch einen Namen muss ein Autor auch erst mal kommen – geben die beiden Ohnsorg-Ensemble-Mitglieder ein Paar ab, das auch heute jeder Comedy-Sketch-Show gut zu Gesicht stünde. Kretschmer ist, ob nun mit Lockenwicklern oder mit grauem Minipli für Arme, eine lustige Schreckschraube und Quasselstrippe in einem, Hopf ist wieder mal ein ganz feiner Komödiant, der mit Gesten auch aus kleinen Rollen wie hier der eines Landbriefträgers, Großes macht, ohne zu überzeichnen. Ähnliches gilt bei seinem plattdeutschen Ohnsorg-Debüt von Christian R. Meyer als Notar. Denn auf den kommt es letztlich an, damit auf Opa Meiners’ Hof alles sein Recht und seine Ordnung hat.

Frank Grupe, ehemaliger Ohnsorg-Oberspielleiter, inszeniert all das mit Sinn für präzise Situationskomik, mehrmals aufgepeppt mit Rock ‘n’ Roll. So bedienen er und das bestens harmonierende Ensemble geschickt eine Sehnsucht nach Nostalgie, nach guten alten Ohnsorg-Zeiten, verbunden mit der Liebe zu Land und Leuten sowie skurrilen Typen – obwohl „Dat Hörrohr“ an machen Stellen insbesondere in Sachen Frauenbild einiges an Patina angesetzt hat.

Viel Beifall für alle Beteiligten

Viel Beifall gab es am Ende für alle Beteiligten, einen besonderen noch für Beate Kiupel: Die Schauspielerin erhielt auf der Bühne für „stolze 35 Ohnsorg-Jahre“ von Christian Breitzke, Vorsitzender der Stiftung zur Förderung des Ohnsorg-Theaters, die hauseigene Verdienstmedaille. Kiupel war zwar völlig perplex über diese Auszeichnung, aber bescheiden, klar und knapp in ihrer kurzen Dankesrede.

Ansonsten gilt bis Oktober im Ohnsorg: Bei Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Hörgeräte-Akustiker!

„Dat Hörrohr“ wieder Di 30.8., 19.30, bis 4.10., Ohnsorg-Theater (U/S Hbf.), Heidi-Kabel-Platz 1, Karten zu 29,- bis 37,-: T. 35 08 03 21; www.ohnsorg.de