Hamburg. Im Schauspielhaus werden zum Saisonstart viele Körperflüssigkeiten verspritzt. Gewaltporno-Murmeltier-Schleife ermüdet schnell.

Mitten im Schauspielhaus stehen drei prachtvolle Nadelbäume. Sie wachsen im Parkett und an den Logen vorbei, es verleiht dem Raum etwas Heimeliges und hat zugleich etwas von einer Eroberung. Jede zweite Reihe ist ausgebaut, Zuschauerinnen und Zuschauer dürfen ihre Getränke in den Saal mitnehmen, es ist freie Platzwahl.

Auf der geteilten Leinwand über der Drehbühne im Dauereinsatz ist gut zu beobachten, wie das Theater sich langsam füllt, eine Kamera schwenkt am langen Arm etwas aufdringlich über die mit ihren Pappbechern eintrudelnden Besucher, aber man war ja vorher korrekt informiert worden: „Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Publikum gefilmt wird.“ Auf denselben Zetteln fand sich auch ein „Hinweis für Allergiker*innen“: „Auf der Bühne kommen größere Mengen Erdnussbutter zum Einsatz.“ Vom Band hojotohot es.

Schauspielhaus: Hitler und Marilyn Monroe stolpern besoffen in Kulisse

Tannen, Wein, Erdnussbutter. Achtsame Aushänge. So weit, so harmlos. Bis Hitler und Marilyn Monroe besoffen in die Kulisse stolpern. Und bis beim letzten raschen Vergewisserungsblick ins Programmheft der Saisonstart-Performance „A&E/Adolf & Eva/Adam & Eve/Hamburg“ unter „Spieldauer“ keine Zeitangabe zu finden ist, sondern bloß ein gefährliches Wort: „variabel“. Man wird sich im Laufe des Abends noch öfter daran erinnern.

Paul McCarthy ist einer der gefragtesten Gegenwartskünstler, Lilith Stangenberg eine preisgekrönte Ausnahmeschauspielerin. Es ist ihre gemeinsame Vorstellung, eine „Komplizenschaft“. Eine Handlung im herkömmlichen Sinne – wie etwa in „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“, an das die Szenenfolge anfangs kurz erinnert – sollte man besser nicht erwarten. Die Figuren arbeiten sich vielmehr im ausdauernden Extremzustand aneinander ab, sie sind der alte Lustgreis und die junge Schönheit, sind Adolf und Eva, Dominierte und Dominierende, Täter und Täterin, mal „mein Führer“, mal Opfer.

Schauspielhaus: Publikum spielt Voyeur im Nachbarzimmer

Sean Towley hat ihnen für ihren expliziten Geschlechterkrieg ein Film-Set auf die Bühne gebaut, ein fleckig-spakiges Wohnlabyrinth aus Küche, Bad und Schlafzimmer, in dem sie in aller Ausführlichkeit übereinander herfallen können. Die Dialoge sind dabei in ihrer Komplexität übersichtlich, sie bestehen weitgehend aus mal gebellten, mal liebevoll gegurrten Beleidigungen und lassen sich sinngemäß wie folgt rasch zitieren: „Fuckfuckfuck, Motherfucker, Cunt, Slut, Dick, fucking Prick, Nazi, Fuckfuck.“ Was im Übrigen auch ganz gut einer Inhaltsangabe entspricht.

Das Publikum spielt den Voyeur im Nachbarzimmer, darf aber auch den Saal verlassen. Zum Wein-Nachtanken oder gleich ganz zur Flucht, was nach einer Weile wiederholt genutzt wird. Die ausgebauten Sitzreihen stellen sich dabei als vorausschauend pragmatisch heraus: Man gelangt schneller zum Ausgang.

Aufmerksamkeitskrawall, wie zwei „Pipikacka“ brüllende Kinder

„What’s wrong here“, lallt Lilith Stangenberg etwa auf halber Strecke, was ist denn hier verkehrt, und das ist wirklich mal eine sehr gute Frage. Schon klar, es geht um Machtgefüge, Hierarchien, das doofe Patriarchat, Faschismus, vermutlich Erotik. Geradezu verzweifelt wirkt allerdings das Provokationsbemühen dieser immer derangierteren Gestalten in ihrer Kampfzone da oben, ein dienstbeflissener Aufmerksamkeitskrawall, wie zwei unermüdlich „Pipikacka“ brüllende Kleinkinder – ach so, Inzestfantasien sind natürlich auch im Angebot.

Immer wieder säuselt Stangenberg einen Kinderreim: „Guten Morgen, weißes Kätzchen, ist hier noch ein freies Plätzchen? (..) Schlapp, schlapp, schlapp, die Milch ist gut. Schlapp, schlapp, schlapp, wie wohl das tut.“

Viele Körperflüssigkeiten am Schauspielhaus: Blut, Schweiß und Tränen

Grenzüberschreitungen am Fließband also. Inspiriert von Liliana Cavanis Film „Der Nachtportier“ von 1974, der die sadomasochistische Beziehung zwischen einem SS-Offizier und einer Holocaust-Überlebenden erzählt, sowie weiteren gemeinsamen Arbeiten von Paul McCarthy und Lilith Stangenberg. Grenzüberschreitungen, die allerdings trotzdem nirgends so recht hinführen und in ihrer Selbstbezogenheit und permanent begleitenden Vokabel-Diarrhoe – „fuckfuckfuck“ – einerseits abstoßen, aber eben auch ermüden. Schlapp, schlapp, schlapp.

Wer hier am Ende durchfeudeln muss, hat gut tun. Blut, Schweiß und Tränen natürlich – und alles andere, was man sich an Körperflüssigkeiten und -festigkeiten aller Art vorstellen kann. Es ist ein brutales, (selbst-)zerstörerisches, natürlich ekliges, schamloses, anspielungsreiches, bestimmt ironisches, vor allem aber: ausführliches und deshalb irgendwann ziemlich langweiliges Gemansche und Gesaue mit dem gesamten Sortiment. Live gefilmt und auf die Leinwände übertragen aus multiplen Perspektiven. Glücklich schätzen darf sich, wer sich im entscheidenden Close-up-Moment an die hoffentlich tatsächlich im Einsatz befindlichen Erdnussbuttermengen erinnert.

Missbrauch, Mord, Kannibalismus zum großen Splatter-Finale

Zweimal wird in dieser Fäkalporno-Regelbruch-Murmeltier-Schleife die Luft besonders heftig eingesogen im Zuschauerraum. Als der böse Adolf einen gänzlich unschuldigen Plattenspieler kaputt macht. Und als die blutverschmierte Frau dem Manne schließlich sein Geschlechtsteil abbeißt (Respekt an den für Make-up und Spezialeffekte zuständigen Lancel Reyes). Der entmannt in einen Teppich verschnürte Kerl wird nicht mehr verschont: Schädel, Baseballschläger, Hirnmasse, Tarantino lässt grüßen, da soll in jeglicher Auslegung dieser Formulierung kein Augapfel trocken bleiben. Missbrauch, Mord, Kannibalismus, höher, doller, weiter, alles dabei zum großen Splatter-Finale. (Aber er hatte ja angefangen, hallo, der Plattenspieler?!)

Wer das alles ausgehalten hat, wird am Ende, nach nicht einmal zwei realen, aber sich sehr viel variabler anfühlenden Stunden erschöpft beklatscht, auf beiden Seiten der Rampe, in Einzelgruppen durchaus euphorisch. Ab September sind hier die nächsten Schlachtfelder zu bestaunen, dann von Shakespeare.

Bloß um die hübschen Parkett-Tannen wird es ein bisschen schade sein.

„A&E/Adolf & Eva/Adam & Eve/Hamburg“, ab 18 Jahren, Termine bis 28.8., Deutsches Schauspielhaus, Kirchenallee 39, Karten unter T. 24 87 13, www.schauspielhaus.de